Er wurde Mensch und lebte unter uns.
Jaja, klar, das gilt nach christlicher Überlieferung für den Gottessohn auch, aber ich spreche hier von Bond.
James Bond.
Aber lasst mich zuerst ein wenig ausholen…
Ein einzigartiges Phänomen der Popkultur
Seit nunmehr sechzig (!) Jahren flimmern im Abstand von ungefähr zwei Jahren immer neue Filme mit dem berühmtesten aller Geheimagenten in der Hauptrolle über die Kinoleinwände und Bildschirme unserer Welt.
Das Phänomen «James Bond» ist in der Popkultur der Neuzeit einmalig.
Hervorgegangen aus einer Romanreihe des Autors Ian Fleming ist Bond meines Wissens die einzige fiktive Figur, deren Leinwandpräsenz mehr als ein halbes Jahrhundert überdauert und immer wieder neu besetzt und erfunden wird.
Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und – in den letzten 15 Jahren – Daniel Craig haben Bond schon verkörpert und ihm ihr eigenes Gepräge verliehen.
Der Kompass des jüngeren Zeitgeistes
Das Strickmuster der Bondfilme ist dabei denkbar einfach und verlässlich:
Irgendein kranker Bösewicht mit fremdländischem Akzent versucht die Menschheit mit einer Superwaffe auszulöschen, hat die Rechnung aber ohne unseren Helden gemacht, welcher den Widersacher besiegt und den Tag rettet – und nebenbei einige schöne Frauen erobert und reichlich geschüttelten (nicht gerührten!) Martini trinkt.
Gerade weil die Bondfilme mehrere Generationen abdecken und Variationen derselben Geschichte darstellen, lässt sich an ihnen auf unterhaltsame Weise ein Stück Zeitgeschichte ablesen. Das, was sich an ihren Figuren und Narrativen ändert, spiegelt sehr plastisch die epochalen politischen, gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte wider.
Ein sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier
Besonders augenfällig ist das im Umgang des Agenten mit Frauen.
Zu Zeiten eines Sean Connery oder Roger Moore konnte Bond seinen Girls nicht nur einen Klaps auf den Hintern geben, sondern auch eine Faust ins Gesicht schlagen oder sie gewaltsam zum Sex im Heu drängen.
Solche schauderhaften Szenen wären heute undenkbar. Schon in der Brosnan-Ära wird der Machismo des Protagonisten kritisch unterlaufen, wenn etwa die (weibliche!) «M» Bond als «sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier» bezeichnet.
Und spätestens seit Daniel Craigs Interpretation des Helden haben die «Bond Girls» endgültig ausgedient. Sie heissen jetzt «Bond Women» – und werden nicht mehr nur als schmachtende, dümmliche Schönheiten über die Leinwand geschickt, sondern als eigenständige und widerständige Persönlichkeiten inszeniert. Und neuerdings (Spoilerchen!) sogar als 007-Agentinnen…
Misstrauen gegenüber mächtigen Institutionen
Auch die Bösewichte passen sich den aktuellen geopolitischen Gegebenheiten an. Russland taugt nach dem kalten Krieg nicht mehr als Feindbild, und so treten in den neueren Bondfilmen Gefährdungen aus dem asiatischen oder arabischen Raum in Erscheinung – oder gleich unsichtbare Bedrohungen durch Hacker und Cyberkriminelle.
Vor allem aber werden spätestens seit «Skyfall» die Grenzen zwischen Gut und Böse zunehmend verwischt. Die schwarzweiße Moral der Bond-Welt wird in 50 Grautöne zerlegt.
Vorbei ist das glasklare Setup «die guten Briten treten im Dienste ihrer Majestät gegen die Bedrohung aus der Fremde an»: Bonds Mutterorganisation MI6 erscheint bald selbst im Zwielicht, und «C», der Chef des britischen «Joint Intelligence Service», erweist sich als Marionette der Terrororganisation «Spectre».
Dass sich hier der aktuelle gesellschaftliche Vertrauensabbruch gegenüber mächtigen Institutionen abzeichnet, ist offensichtlich.
«Sehe ich so aus, also ob mich das interessiert?»
Am markantesten ist aber die Wandlung im Charakter und «Innenleben» des Geheimagenten selber. Dass eine neue Ära angebrochen ist, wurde jedem Zuschauer von «Casino Royal» (2006) spätestens in dem Moment klar, als Bond auf die Frage des Kellners, ob er seinen Wodka-Martini geschüttelt oder gerührt haben möchte, antwortete: «Sehe ich so aus, also ob mich das interessiert?»
Im originalen Skript zum Film hiess es noch derber «Do I look like I give a fuck?». Es ist diese Zeile, die Daniel Craig veranlasst haben soll, die Rolle als Bond überhaupt anzunehmen.
Er sah darin die Möglichkeit vorgezeichnet, die überkommene Bondfigur in ihrer snobistischen Souveränität subversiv zu unterlaufen und neu zu erfinden. Bond wird mit Daniel Craig normaler, er verliert den «Upper Class»-Nimbus, diese unantastbare Aura der Überlegenheit.
Eine ausgeprägte physische Präsenz
Dazu tragen auch körperlich raue Szenen bei. Kein früherer Bond hätte sich vom Widersacher nackt auf ein Stuhlgestell binden und sein Gemächt mit dem Knoten eines dicken Seils malträtieren lassen.
Bonds Gemächt war bisher tabu. In «Goldfinger» stoppte der wandernde Laserstrahl noch kurz vor dem Schritt des Helden. Aber Craigs Bond wird nicht verschont.
Er zeigt eine physische Präsenz und Unmittelbarkeit, die man vorher nicht kannte. In Schlägereien steckt Bond seit der Neuverfilmung von «Casino Royale» erheblich mehr ein, und er wird dabei sichtbarer beschädigt. Vorbei sind die Zeiten, in denen Bonds Frisur auch nach Prügeleien und haarsträubenden Stunts noch im perfekten Scheitel glänzte:
Der neuste Bond schwitzt, blutet… und er weint.
Grosse Gefühle und eine eigene Biografie
Auch das hat man noch nie gesehen. Erst mit Daniel Craig bekommt Bond ein eigentlich menschliches Gefühlsleben:
Gegen alle Protokolle verliebt er sich in die Doppelagentin Vesper Lynd, deren Betrug und Tod ihm das Herz bricht. Er ist kein Durchlauferhitzer für willige und letztlich austauschbare Bondgirls mehr, sondern jemand, der (wohlgemerkt als Kind der «Generation Beziehungsunfähig») an die grosse Liebe glaubt.
Vespers Verlust verfolgt ihn durch die folgenden Filme, in welchen auch Bonds Vergangenheit als Waisenkind, seine Beziehung zum Pflegevater und dessen Sohn zum Thema wird. Im neusten und letzten Streifen mit Daniel Craig in der Hauptrolle tritt er nun (Spoilerchen!) sogar als Vater einer kleinen Tochter in Erscheinung.
Erst in der Adaption des 21. Jahrhunderts ist Bond in unserer Welt angekommen. Er ist ein Mann mit einer eigenen Biografie geworden, ein authentischer Mensch mit Gefühlen.
Endlich Mensch!
Und spätestens hier müssen wir auf den inkarnationstheologischen Einstieg zurückkommen.
Bond wurde Mensch und lebte unter uns.
Der Held, dessen Image über ein halbes Jahrhundert hinweg zum Brand für Coolness, Unabhängigkeit und Souveränität geprägt wurde, erscheint auf einmal ganz nahbar und verletzlich.
Bond, James Bond lässt seine Leidensunfähigkeit und Unsterblichkeit hinter sich, überbrückt seine erhabene Distanz von allem Geschehen und tritt hinunter in den Staub und Dreck, in die Leiden und Zerbrüche unseres Menschseins.
Und es ist dieser Bond, der an den Kinokassen mit seinen Filmen alle bisherigen Rekorde schlägt. Offenbar kann unsere Zeit mit nahbaren, verletzlichen Helden einiges anfangen.
Dazu hätte, wie gesagt, das Christentum auch eine gute Geschichte zu erzählen…
PS: Im Podcast «PopcornCulture» habe ich übrigens mit Fabienne Iff über den neusten Bondfilm gesprochen – hör doch hier mal rein!
2 Gedanken zu „Menschwerdung eines Helden“
Sehr schön, dieser Vergleich mit Jesus! Am Anfang dachte ich, das ist jetzt schon etwas weit hergeholt, nach der Lektüre nicht mehr!
Danke Christoph für die ermutigende Rückmeldung!