Nummer eins: «Jesus liebt dich!»
Klingt schön – und für viele ist es tröstlich, sich von Gott individuell und bedingungslos geliebt zu wissen. Doch auf Demo-Pappschildern wirkt der Satz oft platt oder sogar übergriffig. Aus dem Zusammenhang gerissen, verliert er an Tiefe.
Unendlich komplexer ist:
«Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.»
Hier ist mit dem Trost eine Einladung verbunden, zu lieben, offen und sozial empfindsam zu sein. Im Unterschied zur Floskel «Jesus liebt dich» steht dieser Satz tatsächlich in der Bibel (1. Johannes 4,19).
Mein Favorit ist das radikale «Liebe – und tu was du willst!» («Dilige, et quod vis fac»). Es stammt vom Kirchenlehrer Augustinus. Dieser fährt fort:
«Schweigst du, so schweige aus Liebe; redest du, so rede aus Liebe; rügst du, so rüge aus Liebe; schonst du, so schone aus Liebe.»
Augustinus will nicht zu Willkür auffordern, sondern sagen: Liebe im Herzen ist die Wurzel, aus der alles Gute spriesst.
Nummer zwei: «Jesus ist für deine Sünden gestorben!»
Klingt wie eine arge Verkürzung, steht aber tatsächlich in der Bibel, z.B. bei Paulus:
«Christus ist für unsere Sünden gestorben nach den Schriften.» (1 Kor 15,3).
Oder im Matthäus-Evangelium: «Denn dies ist mein Blut, das des neuen Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden» (Mt 26,28).
Für viele ist das die zentrale Wahrheit des Glaubens – «Das einzige, was ihr tun müsst, ist glauben», sagt etwa die Insta-Sinnfluencerin Jasmin von @liebezurbibel. Es gäbe keine «krassere» Wahrheit.
Ganz einfach ist das freilich nicht, denn was wird da von mir verlangt: mich total schlecht zu fühlen und gleichzeitig total dankbar. Was für ein Gefühls-Spagat! Und wie riesig muss meine Schuld sein, schon als kleines Kind, dass Gott ein derartiges Opfer verlangt?
Wieso soll ich das überhaupt glauben?
Die Vorstellung, dass ein liebender Gott das Blut seines eigenen Sohnes zur Besänftigung verlangt, folgt dem sogenannten Sühneopfer- oder Satisfaktions-Modell. Heute lesen insbesondere Evangelikale die biblischen Texte so, als habe Gott tatsächlich ein stellvertretendes Opfer verlangt.
Das ist aber nicht die einzige mögliche Interpretation des Kreuzestodes.
Alternative Deutungsansätze sind: Der Tod Jesu wird als Zeichen radikaler Liebe und Hingabe Gottes verstanden, nicht als notwendiges Opfer zur Besänftigung eines zornigen Gottes (symbolische und existenzielle Deutung). Oder: Jesus nimmt freiwillig die Konsequenzen menschlicher Sünde auf sich, um Versöhnung zu ermöglichen, ohne dass Gott ein blutiges Opfer fordert (Stellvertretung).
Oder der befreiuungstheologische Interpretationsansatz: Der Tod Jesu wird als Protest gegen Unrecht und als Akt der Befreiung verstanden, der den Weg für weitere Befreiungen öffnet.
Wer es ganz genau wissen möchte, findet in der aktuellen Episode des Podcasts «Geist.Zeit» von Andi&Thorsten («Was soll das mit dem Kreuz?») Aufschlüsse.
Nummer drei: «Betet ohne Unterlass!»
Die wundersame Madonna von Međugorje wird nicht müde, ihren «lieben Kindern» das immer und immer wieder einzuschärfen. Sie «wünscht» vor allem das Rosenkranzgebet.
In der Aufforderung steckt nicht nur ein unmässiger Anspruch, sondern auch rein praktische Gründen sprechen dagegen: Wenn ich ohne Unterlass bete, komme ich nicht mehr zum Essen oder Schlafen; ganz zu schweigen von der Vernachlässigung meiner Sozialkontakte.
Bereits im mittelalterlichen Mönchtum wurde darüber gestritten, wie «immerwährendes Gebet» praktisch gehen soll.
Hinter Gebetsmaximalismus – der Vorstellung: Je mehr, desto besser – steckt eine einseitig-quantitative Orientierung. Ausserdem kann unbewusst Angst mitschwingen, dass ein göttliches «Über-Ich» nie genug kriegt. In der westlichen Spiritualität wurde Gebet zudem häufig auf verbales Beten reduziert: Der Mensch «redet» ständig und Gott «schweigt».
Das ist auf Dauer natürlich ermüdend und unbefriedigend.
Wenn ich das «Betet ohne Unterlass» aus 1. Thessalonicher 5,17 indes als eine bestimmte Haltung und Lebensweise interpretiere, wie das vorangestellte «Seid allezeit fröhlich», so kann das ein Schlüssel für ein Leben auf neuer Grundlage sein.
Religiöse Rede
Religiöse Rede gehört zum Schönsten, aber auch Schwierigsten. Jede Generation muss eigene Zugänge suchen und um Ausdrucksweisen ringen. Viele Bibelworte sind durch ihre Tiefe eine unausschöpfliche Quelle. Werbemässige Formeln entsprechen der herrschenden Marketingkultur. Sie greifen aber häufig zu kurz – und sind dann eher Verstellungen als Offenbarungen.
5 Gedanken zu „Mehr als nur Floskeln? Jesus liebt dich & Co.“
Danke Johanna, mit deinem Beitrag oben hast du mir das Thema “Liebe als erstes Gott, deinen Nächsten, wie dich selbst” mit einer vielfältigen und offenbleibenden Bandbreite sehr einfach erschlossen. Da steckt Verkündung drin, mit der anzufangen ist. In jeder Zeit und JedeM Anlass.
Pace e bene
Danke, freu mich über den Kommentar!
Was soll das denn mit der “wundersamen Madonna von Medugorje”? Ist das hier eine katholische Seite?
Nein, keine katholische Seite. Aber ich hab eine katholische Seite.
Wunderbare Antwort! 😅
Und mich freuts. Ich persönlich wurde nämlich (auch) zutiefst Katholisch geprägt. Ging mit meiner Tante als Einzige den “Weg der Wahrheit “. Lebte schon als Kind und Jugendliche in unvorstellbarer Angst um meine Familie und all meine mir doch so Lieben (die nicht glaubten). Und endete als Katholische Privatoffenbarungsgeschädigte, der so viel Angst und ungesunde Lebensweise eingetrichtert worden war (Es geht nur darum, Seelen zu retten und null darum, dass du glücklich wirst!), dass sie, um psychisch nicht vollends verrückt zu werden, schließlich ihren Glauben verließ.
Mit den Ängsten lebe ich allerdings noch immer. Frühe Indoktrination sitzt eben tief.
Danke darum für deine Beiträge. Auch wenn sie Katholisch angehaucht sind. 😉
Lieben Gruß aus Österreich!
Julia