Den ersten Christ:innen wurde diese Frage förmlich zugemutet. Als ihnen Jesus als der Auferstandene erschienen war, begannen sie auf kreative Weise damit, seinen Tod als göttliches Handeln zugunsten und zum Heil der Menschen zu deuten. Dabei konnten sie weder auf Erklärungen Jesu noch auf die Tradition zurückgreifen. Thorsten und Andi stellen die Vielfalt an Bildbereichen und Metaphern vor, mit deren Hilfe das Neue Testament den Tod Jesu theologisch deutet. Was können wir von der Bibel heute lernen? Ab wann steht die Theologie in der Gefahr, die neutestamentliche Vielfalt durch eine Kreuzeslehre zu harmonisieren oder gar einzuebnen?
Und was steckt hinter dem Begriff der Sühne und des Sühnetodes? Was bedeutete es, wenn die Menschen des Alten Testamentes ihre Sühnopfer darbrachten? Thorsten und Andi fassen viele Einsichten der neueren Exegese zusammen, um zu zeigen: Das Sühnopfer ist keine Leistung des Menschen gegenüber Gott, um ihn zu besänftigen, zufriedenzustellen oder versöhnlich zu stimmen.
Schliesslich dreht sich alles um die klassisch gewordene Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury. Was war die erstaunliche Kreativleistung hinter diesem Zugang? Wie gelang es Anselm, das Kreuz Jesu für den Kontext seiner Zeit neu verstehbar zu machen? Wie entwickelte sie sich weiter zu einer fragwürdigen Lehre vom stellvertretenden Strafleiden Jesu?
Andi und Thorsten arbeiten nicht nur kritikwürdige Punkte bestimmter Kreuzestheologien heraus, sondern formulieren auf der Basis alter und neuer Ansätze ihre eigene Antwort auf die Frage: Was ist der Sinn des Kreuzestodes Jesu für uns heute?
33 Gedanken zu „Was soll das mit dem Kreuz?“
Ja, der “Anselm”!? Der hat die christliche Frömmigkeit auf ein total falsches Geleise gelegt. Da soll also der “barmherzige Gott” (den Jesus verkündet hat!) so abgrundtief beleidigt gewesen sein durch die Sünde des ersten Menschen (wo und wann gab es den überhaupt?), dass er als Wiedergutmachung dafür die abscheulichste und grausamste Todesfolter, die Menschen je erdacht hatten, verlangte?? Und die sollte just die “2. göttliche Person” (gibt es die überhaupt?) absolvieren? In welch absurdes Gedanken-Gestrüpp hat uns da Anselm geführt? – Das konnte keine christliche Frömmigkeit erklären. Deshalb hat sie den berühmten Ausweg gefunden und definiert: Das sei ein “Geheimnis”! Geheimnisse aber kann man verehren. Und so ist aus dem abscheulichen Verbrechen, das an Jesus verübt wurde, eine hehre Kreuzestheologie und Kreuzesverehrung geworden.
Danke für die Rückmeldung, die mit guten Gründen sichtbar macht, wie problematisch vermeintlich logische theologische Konstrukte sein können. Genau so etwas, eine Theorie, die alles erklären soll und zugleich mit Berufung auf ihre Geheimnishaftigkeit gegen Kritik immunisiert werden soll, sollte man tunlich unterlassen.
Ich habe mich gefragt: Wie hat der Sohn eigentlich die ihm zurechnete Schuld wieder von seiner Person wegbekommen? Wenn man dann nicht die Antwort gibt: Er hat sie mit seinem Tod abbezahlt/ausgeglichen, sondern die Anwort gibt: aus reiner Gnade – dann kann man damit Anselm mit seiner Satisfaktion aushebeln. Fyi meine Gedanken hier: https://shop.tredition.com/booktitle/Was_ist_Erl%3fsung/W-1_166447 Nicht zuletzt entsteht eine Systematik, die viele der bekannten Bilder vereinen kann.
Tobias
Das dürfte tatsächlich eines der grossen Probleme bei Anselm sein, dass seine Konstruktion der Übertragung von Schuld und Verdienst am Ende eine Verdinglichung in der Bewältigung der Sünde einführt, die dem personalen Charakter von Liebe, Barmherzigkeit, Versöhnung und Vergebung kaum gerecht werden dürfte. Liebe Grüsse, Thorsten
Sie fragen: “Wie hat der Sohn eigentlich die ihm zurechnete Schuld wieder von seiner Person wegbekommen?”
Antwort:
Indem er seine Passion nach dem Willen Gottes auf sich nahm. Denn was nach dem Willen Gottes geschieht, das hat aufgehört, Schuld und Strafe zu sein. Daher heißt es ja in Jesaja 53,4, dass wir ihn für den von Gott geplagten, geschlagenen und gemarterten “hielten”.
“Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber “hielten” ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.”
Jesus Christus hat seine Passion auf sich genommen, uns von dem Irrtum zu erlösen, Gott würde Leid und Tod als Strafe über uns verhängen. Die Wahrheit lautet aber, alles was dem Willen Gottes unterliegt, das wirkt er auch und was Gott wirkt, das wirkt er durch Jesus Christus nun zu unserem Besten.
“Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind.” Röm 8,28
Hammer Folge !!! Wie immer sehr anregend 🙂 !!! Ich denke auch, dass wir im Kreuz von Jesus spüren dürfen, wie ernst Gott es mit uns meint, welchen Weg er gewählt hat und worin seine unzerstörbare Macht eigentlich liegt. Für mich ist das sanfter, liebevoller Ansporn und tiefer, echter Trost zugleich.
Das Christentum is einfach zu KRASS um nicht wahr zu sein 🙂 !!! Freue mich schon sehr auf die weiteren Folgen der Jesus-Reihe.
Danke für die Rückmeldung, freut uns, dass die Folge Dir Anlass zu Trost und Ansporn im Glauben wurde. Liebe Grüsse, Thorsten
Danke Andy & Thorsten. Es gelingt euch, ein enorm breites Deutungsspektrum aufzumachen! Sehr hilfreich – und zugleich: viele weitere Fragen. Den befreiungstheologischen Ansatz z.B. streift ihr kurz – kommt da noch mehr? Mich würde ausserdem eure Sicht auf den Girard‘schen Ansatz interessieren, der gerade im Trump-Umfeld (Vance) und bei Tech-Milliardären wie P. Thiel hochgehalten wird.
Liebe Johanna, Danke für Anregung, Girard wäre auf jeden Fall eine eigene Vertiefung wert.
Leider weist Herr Dietz erst ganz am Ende des Podcasts auf den wesentlichen Aspekt hin, durch den sich die Kreuzestheologie überhaupt schlüssig und glaubwürdig erschließen kann: die Lehre Jesu, die er zuvor verkündete. Sämtliche vorherigen und kirchlich etablierten Modelle trennen das Kreuz von der Lehre Jesu und versuchen, die Passion für sich zu deuten, was aber nicht möglich ist. Das Kreuz ist die unmittelbare und unabänderliche Konsequenz dessen, was Jesus lehrte. Gemäß seiner Lehre der Gewaltlosigkeit und der Hinnahme von Schwäche, Irrtum, Unrecht, Leid und Tod (Sünde) als unabänderliches Geschehen nimmt Jesus diese Dinge nicht mehr nach dem Willen seiner Feinde auf sich, sondern nach dem Willen Gottes, wodurch er ihnen Vergebung zusprechen kann. Allein das, was nach dem Willen Gottes unterliegt, kann und muss gut werden. Nachzulesen auf meinem Blog: https://christophilos.de/fuer-uns-gestorben/
Leider relativiert Herr Dietz danach diese zentrale Aussage wieder, indem er den Begriff der Befreiung unvermittelt mit der “Befreiungstheologie” in Verbindung bringt, wodurch die Hoffnung in eine fragwürdige Richtung gelenkt wird, insofern diese auf eine bessere Welt im Hier und Jetzt hofft.
Danke für den Hinweis, in der Tat, diese innere Verknüpfung der Lehren Jesu mit den Lehren von Jesus halte ich für zentral. Befreiungstheologie würde ich nicht so eng führen auf ein blosses Hier und Jetzt. Die “herrliche Freiheit der Kinder Gottes” (Röm 8,21) sollte nur nicht von den Bewegungen diesseitiger Befreiungen abgekoppelt werden.
Da, wo wir die Lehre und die Passion Jesu als Einheit betrachten, werden Verfolgung, Ausgrenzung, Schmähung, Ächtung, Verrat, Verleumdung, Unrecht, Schwäche, Leiden und Sterben grundlegend gewandelt – d. h. sie werden als Kennzeichen einer vollkommen neuen Authentizität und Identität in Christus erkannt. Siehe (Mt 5,11) und (Joh 15,20). Die Befreiung, die Jesus lehrte, beruht eben nicht auf einer Besserung der Verhältnisse in dieser Welt, wie die Befreiungstheologie glauben machen will. Unsere Befreiung in Christus beruht auf der Gewissheit in Christus. Und diese beruht auf dem Glauben, dass jeglicher Verlust und alle Preisgabe an diese Welt, die wir in seinem Namen erfahren und vertrauensvoll auf uns nehmen, nicht länger sinnlos oder vergebens geschehen werden, sondern Sinn und Bedeutung in Gott finden werden. Das ist der Weg, den Jesus gelehrt und den er in seiner Passion konsequent gelebt hat. Dies besagt nichts anderes, als dass dort, wo wir die Bürden unseres Menschseins in seinem Sinne auf uns nehmen, diese eine grundlegende Wandlung erfahren müssen. So wie die Passion Jesu ihre tiefe Bedeutung dadurch erhielt, dass er um deren Sinn wusste, wird auch für uns alles Leidvolle und Beschwerliche seine tiefe Bedeutung in Gott finden, wenn wir sie im Geist Jesu auf uns nehmen. Denn alles das, was auf diese Weise seine Bedeutung in Gott gefunden hat, das ist gut geworden und was gut geworden ist, das kann nicht mehr verklagt und beschuldigt werden. In diesem Geist konnte Jesus seinen Feinden vom Kreuz herab höchste Vergebung zusprechen. Ausschließlich das, was nach dem Willen Gottes geschieht, kann und wird gut werden. Eine andere Möglichkeit der Vergebung von Schuld ist nicht möglich. Hierin liegt der tiefe Sinn des Wortes:
„Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Mt 26,28
Danke für diesen Kommentar, der sich mir jedoch nicht gänzlich erschliesst. Die Verknüpfung zwischen Jesu Passion und unserem menschlichen Leiden unter dem Stichwort “Sinn” finde ich problematisch. Kommt es auf diese Weise nicht allzu leicht dazu, das Leid der Menschen in einen sinnvollen Zusammenhang einordnen zu wollen? Bleibt Leiden nicht immer dunkel und sinnlos, selbst wenn durch Leiden positive Prozesse und Entwicklungen geschehen?
Vielen Dank für Ihre Antwort. Ganz am Thema bleibend
Folgendes:
Die Verknüpfung zwischen der Passion Jesu und unserem menschlichen Leid unter dem Stichwort „Sinn“ ist tatsächlich der Inbegriff des christlichen Glaubens: Fällt der christliche Anspruch auf Sinnsuche und Sinnfindung weg, muss alles Leid sinnlos bleiben: War also die Passion Jesu sinnlos, dann muss es auch unser menschliches Leid sein und bleiben. In diesem Fall gäbe es für uns weder Hoffnung noch Trost noch Erlösung. Da aber Jesus in seinem menschlichen Leid den Willen Gottes zu erkennen vermochte, können nun auch wir in allem Beschwerlichen und Leidvollen unseres Menschseins Gottes Willen suchen, finden und darin einwilligen – darin liegt unser Trost. (Luk 11,9) Dies bedeutet, dass wir den gleichen Trost durch Gott empfangen, den auch Jesus Christus empfangen hat, so wie er es uns zusagte:
„Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“ Joh 17,22-23
Auf dieser Zusage beruht der christliche Glaube, dass alles, was wir nach dem Willen Gottes auf uns nehmen, Sinn und Bedeutung finden wird, wodurch es gut wird. Insbesondere Schwäche, Irrtum, Krankheit, Unrecht, Leid und Tod.
Was der christliche Glaube nicht bietet, ist eine sinnvolle Einordnung von Unrecht, Leid und Tod als eine Art kollektiven Mechanismus: Das Heil existiert eben nicht unabhängig von der individuellen Sinnsuche und der persönlichen Einwilligung in den Willen Gottes jedes Einzelnen:
„Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht …“ Luk 13,24
Doch dort, wo uns unser eigenes Leiden dunkel und sinnlos erscheint, hat das Licht der Passion Jesu unsere Herzen bisher nicht erfasst. „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Joh 1,5
Vielen Dank für diese spannende Folge! Ich finde es auch hilfreich, den Kreuzestod im Dialog mit Gen 22, der Bindung Isaaks, zu lesen, aufgrund von Johannes 3,16 “So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab”. Die Kreuzigung als Umkehrung von Gen 22 also: Nicht der Mensch muss sein Liebstes opfern für Gott, um seine Liebe, Loyalität zu Gott unter Beweis zu stellen, sondern Gott gibt sein Liebstes für den Menschen, damit so seine Liebe und unbedingte Treue zum Menschen ein für allemal gezeigt ist. Gleichzeitig wäre es auch die endgültige Ablösung/Beendigung von menschenverachtenden Opfern aus “Gehorsam” gegenüber Gott.
Ich werde mir den aktuellen Beitrag „Was soll das mit dem Kreuz?“ morgen anhören und ihn im Rahmen meiner Möglichkeiten durchdenken. Zuvor möchte ich jedoch ein Statement abgeben, das ich bereits vor dem Erscheinen dieser Podcastfolge verfasst habe (8. Mai 2025). Es kann sich daher nicht auf die aktuelle Ausgabe beziehen und ist auch nicht als Kritik an ihr zu verstehen. Das ist mir wichtig.
Michael Schalter (Meckenheim /Pfalz)
.
Jetzt, wo das Kreuz unseres Herrn Jesus so am Boden, im Staub der postchristlichen Theologie liegt, die sich über den Glauben unserer Väter und Mütter und die überkommene Heilsbotschaft so erhaben dünkt, schreibt der Chemietechniker Jorge Mario Bergoglio, von 2013 bis 2025 Papst Franziskus, am Sonntag, dem 20. April 2025, gegen 13:05 Uhr auf x.com/pontifex_de u. a. diesen letzten Satz:
„Im Leiden und Sterben Jesu hat Gott alles Böse der Welt auf sich genommen“
(† Montag, dem 21. April 2025, um 7:35 Uhr.)
.
“Du kannst fünf Abschlüsse in Theologie haben, aber trotzdem den Geist Gottes nicht haben. Vielleicht bist du ein großer Theologe, aber kein Christ, denn du hast den Geist Gottes nicht. …
Oft finden wir uns unter Gläubigen, alten und einfachen Menschen, die vielleicht nicht einmal die Grundschule beendet haben, aber die darüber besser sprechen können als ein Theologe, weil sie den Geist Christi haben.
Das müssen auch wir uns erbitten. Herr, gib uns eine christliche Identität, die, die auch du gehabt hast. Schenke uns deinen Geist. Schenk uns deine Weise des Denkens, des Hörens, des Sprechens: Schenk uns die Salbung des Heiligen Geistes.”
Jorge Mario Bergoglio, Chemietechniker und römisch-katholischer Theologe, von 2013 bis 2025 Papst Franziskus.
Franziskus (Papst), Bergoglio, J. M. (2014, September 2). Papstmesse: Es zählt der Geist, nicht der Theologieabschluss. Radio Vatikan. Abgerufen am 13.08.2024, von archivioradiovaticana.va/storico/2014/09/02/papstmesse_es_z%C3%A4hlt_der_geist,_nicht_der_theologieabschluss/ted-822922
.
“Wir können gehen, wie weit wir wollen, wir können vieles aufbauen, aber wenn wir nicht Jesus Christus bekennen, geht die Sache nicht. Wir werden eine wohltätige NGO [NGO: Non-Governmental Organization, Nichtregierungsorganisation], aber nicht die Kirche, die Braut Christi. …
Derselbe Petrus, der Jesus Christus bekannt hat, sagt zu ihm: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Ich folge dir, aber sprich mir nicht vom Kreuz. Das tut nichts zur Sache. Ich folge dir mit anderen Möglichkeiten, ohne das Kreuz. – Wenn wir ohne das Kreuz gehen, wenn wir ohne das Kreuz aufbauen und Christus ohne Kreuz bekennen, sind wir nicht Jünger des Herrn: Wir sind weltlich, wir sind Bischöfe, Priester, Kardinäle, Päpste, aber nicht Jünger des Herrn.
Ich möchte, dass nach diesen Tagen der Gnade wir alle den Mut haben, wirklich den Mut, in der Gegenwart des Herrn zu gehen mit dem Kreuz des Herrn; die Kirche aufzubauen auf dem Blut des Herrn, das er am Kreuz vergossen hat; und den einzigen Ruhm zu bekennen: Christus den Gekreuzigten.”
Franziskus (Papst), Bergoglio, J. M. (2013, März 14). Eucharistiefeier mit den Kardinälen: Predigt von Papst Franziskus. Sixtinische Kapelle. Abgerufen am 22.08.2024, von vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130314_omelia-cardinali.html
.
“Wenn wir uns von Jesus Christus entfernen, so müssen wir das mit anderen, weltlichen Haltungen kompensieren. … Jesus Christus … das ist der Mittelpunkt unseres Lebens. Wenn dies nicht gegeben ist, so verlieren wir alles. Und was werden wir dann den Leuten geben?”
Franziskus (Papst), Bergoglio, J. M. (2014, Januar 11). Frühmesse im Vatikanischen Gästehaus Domus Sanctae Marthae. In L’Osservatore Romano, Nr. 4, 24.01.2014.
Danke für diese Sammlung an Zitaten, die alle irgendwo interessant sind, aber nicht zum Thema der aktuellen Podcastfolge passen. Für die Zukunft und für alle, die sich hier am Gespräch beteiligen, wäre es besser, wenn wir hier nicht einfach irgendwelche Statements veröffentlichen, sondern uns auf die gemeinsam gehörten Folgen und die jeweiligen Themen und Fragen konzentrieren.
Der kirchliche Vertreter von 1,4 Milliarden katholischen Christen äußert sich wenige Stunden vor seinem Tod in einem letzten Statement zum „Leiden und Sterben Jesu“, dass damit „Gott alles Böse der Welt auf sich genommen“ hat.
Daraufhin ein wackerer evangelischer Schweizer Christ (immerhin gehören rund 1,4 Millionen Menschen in der Schweiz der Evangelisch-Reformierten Kirche an):
„… für alle, die sich hier am Gespräch beteiligen, wäre es besser, wenn wir hier nicht einfach > irgendwelche < Statements veröffentlichen“
Genau dieses unerschütterliche Selbstbewusstsein der Schweizer brauchen wir Evangelischen hier in Deutschland. Ist das nicht großartig?
Ich bin selbst auch evangelisch – aber in diesem Punkt muss ich meinem katholischen Bruder zustimmen. Und leider passt das Thema besser, als ich zunächst befürchtet hatte.
Natürlich wäre es schöner, wenn wir uns alle einfach gegenseitig auf die Schulter klopfen könnten. Aber so ist es eben – im Netz, dem Hort allen Wissens und allen Wahns. Halten wir das aus?
Genau das, was jetzt geschieht, habe ich gemeint: Wir entfernen uns vom Thema des Podcastes und diskutieren andere Themen wie Selbstbewusstsein der Evangelischen in der Schweiz oder in Deutschland. Ich finde das Zitat von Franziskus sehr wohl passend zum Podcast (dass Gott in Jesu Leiden und Sterben alles Böse der Welt auf sich genommen habe). Aber das ist auch der einzige thematische Anknüpfungspunkt, der in Ihrem Kommentar einfach nur hingestellt, aber gar nicht weiter entfaltet wird. Stattdessen kommen weitere lange Statements von Franziskus, die aber nichts zum Thema beitragen. Es hat doch nichts mit Selbstbewusstsein zu tun, wenn ich einlade, dass wir beim gemeinsamen Thema und der Sache bleiben, anstatt andere Themen, die uns individuell wichtig sind, einzuspeisen.
Danke für Eure Anregungen.
Jesus zeigt uns am Kreuz, dass jeder Mensch, imstande ist, sein “weltliches/menschliches” Kreuz (Leid) zu tragen und dabei unabhängig der Schwere der Umstände auf Gottes barmherzige Liebe vertrauen kann (wofür die Auferstehung steht). Menschwerdung (wesenhafte Reifung in liebevoller Lebendigkeit), Tod am Kreuz und Auferstehung sind ein Ganzes (zeigen die sinndienliche, menschenmögliche Liebe auf und stärken damit unseren Glauben/unser Vertrauen/unsere Haltung als Liebende im Leben und auch in Anbetracht unseres Todes/”unserer Erlösung”).
Was ihr in den letzten 10 Minuten der Folge gesagt habt (4 Zugänge zum Kreuztod sowie die sinndienliche Liebe), wäre eine weitere Folge zum Kreuz wert, doch ihr könnt jene Aspekte gut auch in der Auferstehungs-Folge einbauen, zumal sie ja auch nur zusammen DEN Sinn ergeben/ausmachen.
Herzliche Grüsse, viel Freude bei Euren Tätigkeiten und gutes Wohlbefinden
Benedikt
Vielen Dank, dass Ihr Euch dieses Themas angenommen habt. Als Quintessenz würde ich hier gern mitnehmen: Dass Jesu gekreuzigt wurde, war nicht notwendig dafür, dass Gott unsere Sünden vergibt. Würdet ihr das einmal kurz als Richtig oder Falsch kommentieren?
Richtig ist, dass der Mensch erlösungsbedürftig ist (und Jesus hat durch sein LEBEN – bis zum letzten Atemzug am Kreuz – etwas dazu bewirkt). Aber Gott hat in seiner Liebe schon immer den Menschen vergeben, diese Gewissheit lese ich deutlich im Alten Testament heraus, und braucht dazu nicht das Blut von Jesus.
Die beiden Aussagen sind also zu entkoppeln. Richtig?
Mein Eindruck ist, dass man das in den heutigen Gottesdiensten (immer noch) nicht möchte, weder in der Predigt, in der Liturgie, noch in der Liedauswahl. In der Abendmahlsliturgie hatte man(n) sich vor Jahrhunderten für Einsetzungsworte als einen Mix aus den 4 neutestamentlichen Varianten entschieden mit der Formulierung, die nur bei Matthäus zu finden ist: „das ist mein Blut…zur Vergebung der Sünden“. Der alttestamentliche Hintergrund in dieser bildhafte Symbolik, wie ihr das so schön einmal aufgedröselt habt, ist bei den wenigsten Teilnehmern präsent. Wäre es nicht an der Zeit, entweder darauf zu verzichten, weil das zu einer gedanklichen Verkürzung führt oder das bitte genauer zu erklären?
Ich befürchte, dass diese schwer zugänglichen sprachlichen Formen mit ein Grund dafür sind, dass viele die Menschen den Draht zur Kirche, zum Christentum verloren haben.
Vielen Dank für diese Zuspitzungen, die in meinen Augen das Entscheidende treffen. Ja, wir brauchen diese Entkoppelung von zwei Aspekten, die ich so fassen würde: Es geht darum, das Kreuz Jesu als Heilshandeln Gottes zu verstehen, durch das er seine Liebe gegenüber dem Menschen vollzieht, seine Barmherzigkeit, Versöhnung, Vergebung und höhere (eben nicht vergeltende), schöpferische Gerechtigkeit. Hier ist biblisch und theologisch wichtig festzuhalten: Das Kreuz Christi wirkt nicht auf Gott ein, um ihn von zornig, strafend, richtend, abgewandt, vergeltend gerecht, unversöhnlich usw. umzustimmen. Das Kreuz ist der Erkenntnisgrund der Liebe und Barmherzigkeit, der Versöhnungs- und Vergebungsbereitschaft Gottes, die allesamt die göttliche Grundlage für dieses Handeln sind. In diesem Sinne braucht Gott das Kreuz nicht.
Davon losgekoppelt sind aber Aspekte, in denen so etwas wie eine Wirkung des Kreuzes auf Gott erscheint. Gott möchte Versöhnung und Vergebung, Liebe und Gerechtigkeit nicht ohne, sondern immer nur unter Beteiligung des Menschen verwirklichen, den er als freiheitliches Ebenbild und personales Gegenüber geschaffen hat. Eben weil Gott die Menschen liebt, kann er nicht in einem einseitigen Akt von Allmacht einfach alles Sünden vergeben. Das wäre eine tiefe Verletzung unserer Würde, die er uns gegeben hat. Hier tut nun Jesus Christus etwas für mich, um mich daran partizipieren zu lassen (inkludierende Stellvertretung): Er stellt sich der Wirklichkeit dessen, was wir Sünde nennen, er verzichtet auf alle Selbstrechtfertigung und Selbstverteidigung, er überwindet die Scham, die es mir nicht gestattet, mein Fehlverhalten zu erkennen, anzuerkennen und zu bekennen, zuzugeben, dass ich der Vergebung bedürftig bin. Er bittet Gott stellvertretend für mich um Vergebung. Und das hat eine Wirkung auf Gott, wenn ich im Glauben an Jesus ihm folge. Ähnliches müsste man über die Erlösung und Gottes Sieg über die Mächte des Bösen sagen: Auch hier hat das Kreuz eine unfassbare Wirkung auf Gott, weil die lebensverderbenden Mächte des Todes sich an ihm austoben. Christus erleidet stellvertretend für Gott das Böse, ja Gott als dreieiner Gott erleidet es. Und dies alles, um so die eskalierende Spirale des Bösen und der Gewalt zu durchbrechen. Das Böse läuft sich in Gott tot. Weil er es erleidet.
Das mal als vielleicht etwas zu lange Antwort mit konkreten Beispielen, wie aufschlussreich und wichtig diese Entkopplungen sind. Ich glaube, ohne diese Unterscheidungen lässt sich das Kreuz Christi nicht so kommunizieren, dass Menschen darin etwas Heilsvolles für sich entdecken. Freue mich sehr an solchem Austausch, danke.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für diese ausführliche Antwort genommen hast. Die nicht so leicht nachzuvollziehen ist. Aber von dem Anspruch, den Sinn von Jesu Tod am Kreuz einmal klar zu verstehen, bin ich abgerückt, das wird einem vielleicht nach einem langen Leben zuteil.
Aber es ist so wichtig, dass darüber gesprochen und diskutiert wird, das wird es viel zu wenig.
“Gott kann nicht in einem einseitigen Akt von Allmacht alles Sünden vergeben” – in der Geschichte vom verlorenen Sohn hat der Vater das aber doch getan, oder? Wie Thorsten das im Worthaus-Vortrag “der Prozess – Warum ist Jesus gestorben” dargestellt hat, das war für mich wie ein Befreiungsschlag, am Anfang meiner Reise mit dem Thema. Dem Sohn wurde seine Würde bedingungslos zurückgegeben – die Umkehr, der Weg zurück, war vielleicht eine Art Voraussetzung (wie ihr ja gesagt habt), d.h. wir können nicht machen, was wir wollen und stehen automatisch mit weißer Weste da.
Das Kreuz Christi kommunizieren, das ist ein Stichwort – braucht es nicht im (normalen landeskirchlichen) Gottesdienst dafür eine neue Sprache? Für die Menschen, die eher sporadisch da mal reinschauen. Für Fischer und Bauern. Dass sie sich angesprochen und eingeladen fühlen können. Es wäre doch schön, wenn die christliche Botschaft inkludierend wäre.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für diese ausführliche Antwort genommen hast. Die nicht so leicht nachzuvollziehen ist. Aber es ist so wichtig, dass darüber gesprochen und diskutiert wird, das wird es viel zu wenig.
“Gott kann nicht in einem einseitigen Akt von Allmacht alles Sünden vergeben” – in der Geschichte vom verlorenen Sohn hat der Vater das aber doch getan, oder? Wie Thorsten das im Worthaus-Vortrag “der Prozess – Warum ist Jesus gestorben” dargestellt hat, das war für mich wie ein Befreiungsschlag, am Anfang meiner Reise mit dem Thema. Dem Sohn wurde seine Würde bedingungslos zurückgegeben – die Umkehr, der Weg zurück, war vielleicht eine Art Voraussetzung (wie ihr ja gesagt habt), d.h. wir können nicht machen, was wir wollen und stehen automatisch mit weißer Weste da.
Das Kreuz Christi kommunizieren, das ist ein Stichwort – braucht es nicht im (normalen landeskirchlichen) Gottesdienst dafür eine neue Sprache? Für die Menschen, die eher sporadisch da mal reinschauen. Für Fischer und Bauern. Dass sie sich angesprochen und eingeladen fühlen können. Es ist alles sehr komplex, wie Thorsten immer zu Recht betont, aber das Gute, was da geschehen ist, das Heilsereignis, müsste irgendwie auch für uns normale Menschen heute verdeutlicht werden können.
Meine Gedanken zum Thema Hebr. 9,22 finden sich hier: https://churchinbalance.de/und-was-ist-mit-hebraeer-922/
Auf der Seite ist auch der Link zum gesamten Entwurf in Buchform. Ein Theologieprofessor hat das Manusskript durchgesehen und mich ermutigt, es zu veröffentlichen.
Tobias
Angela Pörksen schreibt:
Dass Jesu gekreuzigt wurde, war nicht notwendig dafür, dass Gott unsere Sünden vergibt. Gott hat in seiner Liebe schon immer den Menschen vergeben … //… und braucht dazu nicht das Blut von Jesus. Die beiden Aussagen sind also zu entkoppeln. Richtig?
Diese Auffassung korrespondiert allerdings nicht mit der Lehre Jesu. Nur, weil die Theologen von heute es aufgegeben habe, diese beiden Aussagen inhaltlich zusammenzubringen, werden sie deshalb nicht obsolet. Inwiefern durch den Jesu Tod am Kreuz unsere Schuld vergeben sind ist hier nachzulesen:
https://christophilos.de/schuld-und-vergebung/
Da muss ich entschieden dagegen halten. Die Lehre Jesu von der Vergebung ist ziemlich klar an dieser Stelle. Vergebung ist jener Akt, in dem ich eine Person, die durch ihr Verhalten mir gegenüber an mir schuldig geworden ist, nicht mehr bei dieser Schuld behafte und folglich auf einen Ausgleich, eine Kompensation, eine Wiedergutmachung oder Genugtuung oder Bestrafung verzichte. Jesus lädt seine Nachfolger:innen zu diesem Handeln ein und findet scharfe Worte für diejenigen, die Vergebung von Gott in Anspruch nehmen, ohne sie einander zu gewähren. Wenn nun Gott das Blut seines Sohnes braucht als stellvertretende Ersatzleistung oder als stellvertretendes Strafleiden, um dadurch in die Lage versetzt zu werden, vergeben zu können, dann ist es de facto keine Vergebung. Denn Vergebung braucht derartiges nicht, das ist ja gerade der Clou. Gott will vergeben und muss nicht erst dazu umgestimmt oder durch den Tod seines Sohnes dazu befähigt werden. Das Kreuz Christi ist nicht der Grund dafür, dass Gott uns liebt, uns gnädig ist und vergibt. Es ist der Vollzug dessen, was Gott ist und will: Liebe, Versöhnung, Gnade und Vergebung. Nicht Gott hat den Tod seines Sohnes nötig, um vergeben zu können. Sondern ich habe diesen Tod nötig, damit ich im Glauben an den Gekreuzigten mit ihm um Vergebung meiner Sünden bitten kann.
Die Lehre Jesu ist insofern klar an dieser Stelle, als Jesus selbst mehrfach darauf hinweist, dass er gekommen sei, um zu dienen und sein Leben zur Erlösung für die Menschen hinzugeben bzw. dass sein Blut zur Vergebung der Sünden vergossen werde. Diesen wesentlichen Aspekt seiner Lehre in Abrede stellen zu wollen, hieße, die Botschaft Jesu der Beliebigkeit preiszugeben. Ich stimme Ihnen völlig zu, wenn Sie hier sagen, dass es sich bei diesem Akt der Sündenvergebung nicht um einen Automatismus handelt, der uns von der eigenen Bereitschaft zu vergeben entbinden würde. Auch Ihrem Einwand, dass es nicht sein kann, dass Gott das Opfer Jesu als eine Gegenleistung für die Schuld des Menschen betrachtete, stimme ich vollkommen zu. Das habe ich aber auch gar nicht so ausgeführt. Haben Sie meinen Beitrag gelesen? Ich glaube nicht. Die Sündenvergebung, die Jesus durch seine Passion bewirkt, ist dahingehend zu deuten, dass wir durch seine Hinnahme von Unrecht, Leid und Tod nun selbst in die Lage versetzt werden, die Geisteshaltung Jesu anzunehmen. Welche ist das? Es ist eine Geisteshaltung, in der Gott als Ursache aller unabänderlichen Geschehnisse erkannt wird, sodass man in diese einzuwilligen vermag. Daher ist die Einwilligung Jesu in den Willen Gottes der Schlüssel zum Verständnis der Vergebung durch seine Passion. Erkennen wir (wie Jesus Christus) Gottes Willen und Wirken auch in Unrecht, Leid und Tod, werden wir dadurch fähig, so zu vergeben, wie Jesus seinen Feinden vergab. Warum? Weil wir dann Unrecht, Leid und Tod nicht mehr nach dem Willen unserer Feinde, sondern nach dem Willen Gottes auf uns nehmen. Denn jene Geschehnisse, in welchen wir den Willen Gottes zu erkennen vermögen, können nicht mehr zu unserem Schaden geschehen. Und was nicht mehr zu unserem Schaden geschieht, das kann nicht mehr beschuldigt, angeklagt oder bestraft werden. Wäre es anders, so wäre Gott, der ja die Wahrheit selbst ist, mit sich selbst uneins und widersprüchlich: “Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Gott …” 5. Mose 6,4
Ich danke auch herzlich für die Folge! Es ist immer wieder erhellend, darauf hingewiesen zu werden, dass sich die Interpretation des Kreuzes durch die Geschichte verändert hat. Auch die Anmerkung, dass im Opferkult Tiere nicht geschlachtet und weggeworfen, sondern gemeinschaftsstiftend verzehrt wurden, fand ich hilfreich (übrigens crazy Parallele zum Abendmahl, wenn man will).
Was mich irritiert habt: In den letzten 15 Minuten habt ihr beiden mir etwas zu sehr auf die Verständnisdimension “stellvertretendes Strafleiden” eingedroschen. Mir ist bewusst, in welche Schwierigkeiten dieses Verständnis (absolut gesetzt und von anderen Strängen isoliert) mit sich bringen kann. Aber die Begriffe, die dann doch sehr scharf durch die Luft flogen (patriarchal, Menschenopfer-fordernd, moralisch unhaltbar) ärgern mich dennoch, weil sie die Differenzierung vermissen lassen, die ihr sonst im ganzen Podcast durchhaltet. Gott packt nicht die Schuld der Welt “auf einen anderen”, sondern auf sich selbst, das kann man trinitätstheologisch doch ganz gut lösen. Auch stiftet der Kreuzestod nicht automatisch ein moralisches pattern à la “Ich schneide deinem Kuscheltier den Kopf ab”, weil der Opfertod Jesu den Opferkult sozusagen abschließt und überwindet (so bei Dalfehrt und Gese, die ihr ja auch verarbeitet habt). Und warum sollte es schizophren sein, wenn Gott gleichzeitig vollkommenen Liebe und vollkommene Gerechtigkeit verkörpert? Mir ging es schon hundertmal so, dass eine Person, die ich liebe mich in eine Situation gebracht hat, in der ich nicht einfach fünf gerade sein lassen konnte. Mir bedeutet es viel, wenn die Bibel festhält, dass der Kreuzestod “für mich” geschehen ist. Ich glaube, eine eher Satisfaktionsmäßig-aufgeladene Kreuzestheologie ist für Menschen wie mich gemacht: weiß, männlich, selten Opfer. Denn das Kreuz zeigt mir, wie schlimm meine Sünde wirklich ist. Gott selbst muss dieses Leid meinetwegen auf sich nehmen. So schlimm ist Sünde. So etwas tue ich anderen an. Die Klagen meiner Opfer schauen mich aus Jesu Augen an. Ich kann unter dieser Schuld nur zerbrechen. Und darum stellt sich Gott selbst an den Ort, an dem ich kaputt gehen würde. Er ist das Passalamm, dem ich meine Schuld aufladen darf. Ich bin gerechtfertigt! Was nicht heißt, dass ich zwischenmenschlich keine Reue oder Wiedergutmachung zeigen muss. Ich merke jetzt wieder, wo ich das schreibe: Das ist der Kern meines Glaubens. Und ich werde hellhörig, wenn mir de facto unterstellt wird, dass mich diese Kreuzesinterpretation zu einen tendenziell sadistischen Andrew-Tate-Jünger macht. No front, lieb gemeint! Danke!
Danke, dass Du uns entgegnest und Deine Irritation mit uns teilst. Eindreschen auf den Gedanken des stellv. Strafleidens wollte ich nicht. Denn auch ich zehre in meinem Glauben an Jesus Christus immer wieder davon, dass er in einer geheimnisvollen Weise für mich an dem Ort steht, wo die Folgen und Mächte der Sünde und des Bösen sich voll entfalten. Es wäre sicherlich lohnenswert, diese Stellvertretung so gut wie möglich zu beschreiben und zu fassen. Wo handelt es sich hier um exklusive, wo um inkludierende Stellvertretung. Die entscheidende Frage für mich ist: Welche Wirkungen des stellv. Strafleidens gehen in welche Richtung. Und da meine ich nun allerdings entschieden: Nicht Gott hat etwas davon, sondern ich. Das Leiden Jesu ist nicht etwas, das gegenüber Gott zur Wiederherstellung seiner Gerechtigkeit dient. Die Gerechtigkeit Gottes ist eben mit dem Gedanken einer juristischen, ausgleichenden, kompensierenden oder gar rächenden Gerechtigkeit überhaupt nicht zu fassen. Schon Hos 11 begründet die Vergebung Gottes mit seiner Heiligkeit, in der er sich aus der Spirale von böser Tat und Vergeltung herauslöst. Die Gerechtigkeit Gottes erweist sich für Paulus doch gerade darin, dass sie vergibt, dass sie schöpferische Gerechtigkeit ist. Es entspricht also weder Gottes Gerechtigkeit noch seiner Liebe, wenn er auf einem Ausgleich, einer Genugtuung, einer Strafe beharren würde, die erst geleistet werden müsste, damit er dann gerecht und liebevoll sein kann. Genau das schwingt aber in vielen penal substituion Theorien mit, so dass man immer wieder davon spricht, dass Gott sich mit sich selbst versöhnt, indem er an seinem Sohn jene Strafe vollzieht, die seiner Gerechtigkeit dann Genüge tut. Das Kreuz ist dann in meinen Augen ein absurder Vorgang, der der Versöhnung von Gottesattributen dienen soll, damit sich Gott dann uns gegenüber liebevoll und versöhnlich und vergebungsbereit erweisen kann. Und genauso halte ich es für nicht ratsam, sich einem Gott in Glaube und Liebe und Hoffnung hinzugeben, der seine Gerechtigkeit an einem anderen Strafobjekt herstellt, um sich mir dann barmherzig gegenüber zu gebären. Ich halte das für ein toxisches Beziehungsmodell. Also gegen diesen konzeptionellen Missbrauch des stellv. Strafleidens Christis argumentiere ich. Nicht dagegen, dass es mein Heil ist, wenn jemand an meine Stelle tritt und für mich die Konsequenzen der Sünde und des Bösen auf sich nimmt. Ich brauche das, um leben zu können, und daher müssten wir diesen Gedanken auch tiefer verfolgen. Aber Gott braucht das Leiden seines Sohnes nicht, um gnädig, barmherzig, liebevoll und vergebend sein zu können. Und das persönliche Beispiel hinkt ab dem Punkt, wo es eben nicht um eine Fünf geht, die wiedergutgemacht werden kann, sondern um etwas, was nicht mehr und durch nichts wiedergutzumachen ist. Hier hilft nur noch Vergebung, und sie ist dann Gerechtigkeit, das heisst das Verhalten, das einer Beziehung angemessen ist.
Machen diese Unterscheidungen Sinn?
Gott vollzieht doch aber die Strafe nicht an einem anderen Objekt, sondern an sich selbst? Ein Beispiel, das ich passend finde (zugegebenermaßen aus der calvinistischen Ecke): Wenn mein Freund mein Auto zu Schrott fährt, kann ich ihm vergeben und würde es auch, der Schaden bleibt aber bestehen. Entweder, er bezahlt oder ich nehme die Last auf mich, kein Auto mehr zu haben. Ich muss mich entscheiden, wo das Leid liegt, bei mir oder bei ihm.
Außerdem möchte ich gern darüber nachdenken, wie Gottes Vergebung unser Vergeben zusammengeht. Das Modell der Vergebung, das Gott vorlebt, muss doch eine Art Paradigma für unsere Art der Vergebung sein (“wie auch wir vergeben…”). Und in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ist es doch wichtig, dass Vergebung und Gerechtigkeit/Wiedergutmachung/Sühne nicht komplett auseinander fallen. Siehe Bsp. Südafrika, wo Vergebung sozusagen “offiziell” durchgeführt wurde, sich aber an den Besitzverhältnissen nichts geändert hat.
Lieber Leon, Danke für die Kommentare, hilfreich! In vielen Gesprächen merke ich, dass viele die Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Sühne, Stellvertretung etc. leicht durcheinanderbringen. Wir halten ja diese Begriffe nach wie vor für sehr wichtig, aber eben auch klärungsbedürftig. Bei deinem letzten Beispiel: Natürlich, wenn ein Freund mein Auto zu Schrott fährt, genügt kein sorry. Da hätte ich schon gerne ein Neues. Das nennt man restorative justice – und das ist sozial, politisch und theologisch wichtig und im Grunde ja auch selbstverständlich, oder?
Was wir kritisieren wäre: Es reicht nicht, dass er mir mein Auto bezahlt. SEIN Auto muss jetzt auch zu Schrott gefahren werden, ich will Vergeltung, Rache, die Genugtuung, dass er so leidet wie ich. Und hat er kein Auto – dann halt das seines Vaters. So etwas – fände ich untersittlich. Solche Logik der Vergeltung und der Strafnotwendigkeit entspricht nicht dem, was wir als ethische Verkündigung Jesu kennen.
In manchen Formen von penal substitution geht es in eine solche Richtung, sie machen Vergeltung in einer Weise notwendig, die der ganzen biblischen Idee von Barmherzigkeit und Vergebung widerspricht und nicht entspricht. Darum verweisen wir ja auch auf die katholische Bearbeitung des Sühnegedankens, die darauf hinausläuft: durch seine Liebe leistet Jesus Sühne, nicht nur das Erleiden der Folter und der Qualen. Und klar, das mit dem Auto ist nur ein Beispiel, aber es zeigt m.E. gut, welche Gerechtigkeit wir wichtig finden, und welche m.E. nicht mehr biblisch nachvollziehbar ist. Liebe Grüsse, Thorsten
Ich finde, dass Deine Anmerkungen hier sehr schön zeigen, was zu diskutieren wäre. Ich bleibe bei Deinem Beispiel, denn es trifft den Nagel auf den Kopf. Weil ein Auto ersetzt werden kann, ist hier Vergebung vielleicht noch gar nicht nötig, wenn dein Freund es schrottet. Vergebung wird ja erst ab dem Moment nötig, wo keine Gegenleistung und auch keine Strafe etwas, was geschädigt oder zerstört worden ist, wieder zurückbringen, ausgleichen, kompensieren, wiedergutmachen oder gar heilen kann. Auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ist ausgleichende Gerechtigkeit durch Wiedergutmachung oder retributive Gerechtigkeit durch angemessene und verhältnismässige Strafe wichtig, aber eben etwas anderes als Vergebung. Vergebung verzichtet eben auf all das. Spannend wird es, wenn wir fragen: Musst Du dich denn jetzt noch mal selbst bestrafen, wenn Du auf die Strafe Deines Freundes verzichtet hast? Gibt es da noch etwas in Dir, was unbedingt gestillt werden muss? Irgendeine Wut, ein Zorn, eine Rachlust gar? Und musst Du die jetzt an einem anderen oder gar an Dir selbst ausleben? Das wäre doch ziemlich übel, oder nicht? Du vergibst doch Deinem Freund, weil Du ihn magst, liebst und das Beste für ihn willst. Da ist doch jeglicher Strafgedanke weg. Und wenn er Dir das Auto nicht ersetzen kann, weil er das Geld nicht hat, dann nimmst Du aus der Fülle Deines Lebens und der Liebe von Deinem Geld oder bekommst vielleicht von einem anderen Geld geschenkt, wenn Du ein neues Auto brauchst.
Ganz abgesehen davon frage ich mich, ob der Vergleich nicht hinkt: Nimmt unsere Sünde Gott etwas weg, dass er unbedingt braucht?
Nachdenkliche Grüsse von Andi Loos