Im «Hallelujah der Woche» schwärmt Stephan aber zuerst von seinen Sommerferien in Italien – und davon, wie gut es sich trotzdem anfühlt, wieder zu Hause zu sein. Manuel steuert ein «Stossgebet» bei, das wohl viele Eltern verstehen: Seit Wochen geht in seiner Familie ein Virus reihum, und er wäre froh, wenn das endlich mal weiterzieht.
Im «Thema der Woche» knüpfen die beiden an die letzte Episode über den Individualismus an – diesmal geht’s um dessen Gegenstück: den Kollektivismus. Die Bibel entstand in Kulturen, in denen Gemeinschaft, Familie und Zusammenhalt selbstverständlich im Zentrum standen. Doch moderne Leser:innen machen aus den «wir»-Botschaften oft «ich»-Geschichten – und verlieren dabei Wesentliches aus dem Blick.
Manuel und Stephan zeigen, wie tief dieser Perspektivwechsel sitzt: Das «Vaterunser» etwa ist kein persönliches Stoßgebet, sondern das Gebet einer Gemeinschaft. Die Geschichte von Josef ist keine Heldensaga eines Aufsteigers, sondern eine Erzählung über Versöhnung und Familienheilung. Und wenn Jesus sagt: «Ihr seid das Licht der Welt» oder Paulus schreibt: «Ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes», dann richtet sich das nicht an spirituelle Einzelkämpfer, sondern an eine Gemeinschaft von Glaubenden.
Im Gespräch streifen die beiden den alten Gedanken des «vierfachen Schriftsinns», diskutieren die Chancen der historisch-kritischen Exegese – und fragen, ob man den Glauben überhaupt richtig verstehen kann, solange man ihn allein denkt.






2 Gedanken zu „Kollektivismus – Vom «Ich glaube» zum «Wir glauben»“
Danke für diese Folge. Gerne gebe ich Einblick in meine Gedanken dazu.
Ich war 34 Jahre lang Mitglied, Mitleiter und zuletzt Ältester und Lehrpastor in einer fundamentalistischen evangelikal-charismatischen Gemeinde mit Wurzeln in den USA und Kanada.
Ich muss gestehen, dass es für mich keinen einsameren Ort gab als die Gemeinschaft der Gläubigen. Auch empfand ich die Gemeinde immer als eine Pseudogemeinschaft mit enorm vielen Tabuthemen, wobei manche nicht einmal bekannt waren. Das führte dazu, dass viele Dinge niemals angesprochen wurden, weil man nicht wusste, ob man dadurch die Zugehörigkeit verlieren oder zumindest das gewonnene Ansehen verlieren würde.
Dies ist ein inhärentes Problem einer Gemeinschaft, die eine hierarchische Struktur und eine Definition der Zugehörigkeit durch Abgrenzung zu anderen hat. Eine christliche Kirche ist in einem gewissen Masse nie frei davon (in ihrem heutigen Verständnis), weil sie sonst Gefahr läuft, in die Beliebigkeit abzugleiten.
Die Rituale in ihrer heutigen Form haben mich nicht mitgenommen. In Reih und Glied zu stehen und gemeinsam einen Gott da draussen anzubeten, beim Abendmahl erst einmal die Ausschlusskriterien nach Paulus zu hören – das hat die verbindenden Elemente für mich überdeckt. Besonders weil ich ein stark introvertierter Autist bin, habe ich Probleme mit Menschengruppen, Gefühlswahrnehmungen und Small Talk.
Gemeinschaftszeiten waren aber genau davon geprägt: Als Mitleiter musste ich mit allen Anwesenden ein paar Worte austauschen, durfte keine tiefen Gespräche mit Individuen führen (weil sich andere ausgeschlossen fühlen könnten) und Diskussionen über Glaubensinhalte waren mir verboten. Ich durfte andere belehren, aber nie alternative Sichtweisen aufzeigen oder kritische Fragen stellen.
Als ich aus der Kirche ausgetreten wurde, ergab sich für mich eine grosse Freiheit. Ich habe da ganz klar die Gefahr erkannt, durch eine individualistische und einsame Bibelauslegung auf Abwege zu geraten. Der Käfig des Dogmas, gepredigt durch die Hierarchie, wurde ersetzt durch die unlimitierte Freiheit der weissen Leinwand.
Darum bin ich froh, eine kleine Gruppe von Denkern um mich zu haben, die sich auch kritisch mit meinen Eindrücken und Einsichten beschäftigt, sodass wir uns gemeinsam einen Rahmen geben.
Ich bin ein starker Verfechter der individuierten Einheit, der individuellen Gemeinschaft. Was paradox erscheint, führt aber zu wahrer Gemeinschaft ohne Tabuthemen, ohne Angst, ausgeschlossen zu werden, ohne Beschränkung des Denkens. Dies zeigt sich dann auch in der empfundenen Tiefe und Echtheit der Rituale.
Am schönsten wäre es, wenn ich diese Art der Gemeinschaft auch lokal leben könnte, in einer kleinen Gruppe, welche sich jetzt nicht unbedingt am Sonntag zu einem Gottesdienst trifft, sondern miteinander Glauben lebt. Und das vernetzt mit anderen kleinen Gruppen, die Ähnliches tun. Die Interaktion kann Sicherheit geben, lehrmässig nicht abzuheben.
Ein Trost und ein Schlüssel für die Freiheit ist mir immer der Gedanke, dass Gott uns vertraut. Wenn ich offen bleibe, ihm und meinen Freunden gegenüber, meine Gedanken ausspreche, ganz gleich, wie unfertig oder abgehoben sie sind, und Korrektur ernst nehme, ohne mich ihr vorauseilend zu unterwerfen, bin ich überzeugt, dass die generelle Richtung zielführend sein wird.
Moin.
Naja, so ganz mit den Erfahrungen und Statistiken deckt sich ja Stephans Finale wohl nicht 😉 Der Kommunismus-Sizialiamus war ja auch eine frohe Botschaft, ging aber so gut wie immer schief. Auch heute noch halten die Sozialisten dagegen es sei halt nicht der wahre gewesen.
Der Hund, die zwei Hunde, liegen in den Prämissen begraben.
Man kann sich ja Mal fragen, was die Leute aus ritualisierten, verinnerlichen Gemeinschaften historisch mindestens meist politisch meist gemacht und gewählt haben. V.a. jenseits teformatorischer Kreise, die sich um Progression bemühen
Thorten Dietz hat ja Mal drauf hingewießen dass zumindest zeitgeschichtlich die atheistischsten länder die mit der geringsten kriminalität sind (skand.)
In schwärmerischen Urtexten wird oft alles Mal gesagt, es sind schlicht wundertüten. Klar, für Fortschritte und Impulse dankbar sein, doch bitte vernünftig und kritisch. War ja oft auch ein rauswühlen (“ich aber sagen euch”) in den Bildern der Zeit, man bräuchte da halt ne religiöse Story, sonst hätte man beim Slam nicht auftreten dürfen…