Anmerkung: Dieser Blogbeitrag lehnt sich an einen Workshop an, welchen der Autor an der Digitalen Kirchentagung 2021 halten wird. Anmeldungen für die Tagung vom 20. März sind bis zum 16. März hier noch möglich.
Ach… könnte ich mir selbst mit «Ja» antworten!
Wenn ich mal wieder an jenem Punkt angekommen bin, an dem mir bewusst wird, dass ich noch nicht bei mir angekommen bin, dann meldet sie sich – die Sehnsucht nach einem grossen und festen Ja zu mir selbst. Sie verbindet mich mit vielen anderen Menschen und ist damit eine kollektive Kraft, die den Zeitgeist antreibt. Ein paar Klicks auf Netflix und Co. sagen hier mehr als tausend Worte. Herrliche und dramatische Geschichten, in denen Menschen sich selbst finden – häufig dadurch, dass sie von anderen gefunden werden. Ab da geht die Story dann anders weiter. Ich liebe es, die Abenteuer derer mitzuerleben, die an sich selbst zu glauben wagen.
Ich dachte, entweder glaubt man an Gott oder an sich selbst
Lange kam mir die menschliche Suche nach Selbstglaube verdächtig vor. Drückt sich darin nicht aus, was reformatorisch gesehen das Verhängnis der Sünde ist – der in sich selbst verkrümmte Mensch?
Verfehlen nicht gerade diejenigen sich, welche statt an Gott an sich selbst glauben wollen?
Klar gibt es hochproblematische Formen von Selbstglaube, die gerade dann toxisch werden, wenn jemand sich wie besessen selbst beweisen muss. Aber das darf uns den Blick nicht verstellen für eine der grossen Gaben Gottes an den Menschen: Die Fähigkeit, sich zu sich selbst verhalten zu können. Und wenn das eine Gabe Gottes ist, dann ist es kein «entweder–oder», sondern ein «sowohl–als auch» zwischen Gottesglaube und Selbstglaube.
Huch … ich stehe mir gegenüber!
Der eigenartige Satz «Ich glaube an mich selbst» erinnert mich daran, dass ich eine Beziehung zu mir selbst habe. Bei genauerer Betrachtung geht es nicht nur um zwei Aspekte, sondern um drei. Denn die Frage schwingt immer mit: Was an mir und von mir bejahe ich so sehr, dass ich mir selbst vertrauen, mich mir selbst hingeben mag, ja, mein Herz mutig in die Hand nehmen kann? Ich glaube an mich selbst als etwas – es bleibt erst mal offen, ob diese drei Momente so miteinander resonieren, dass ein heiles, ganzes Selbst draus wird.
Warum fühle ich mich rumkommandiert?
Nicht nur Lebensverhältnisse, sondern auch Selbstverhältnisse können heute prekär sein. Weil das Bild, das wir von uns selbst haben (wollen), nie ohne die anderen und ihre Erwartungen entsteht. Es ist so irrsinnig beglückend, wenn uns – im Kleinen wie im Grossen – eine Performanz gelingt, durch die uns das begeisterte Publikum unseres Lebens belohnt mit maximaler Aufmerksamkeit und Anerkennung. Verständlich, wenn wir nun das erfüllte Leben zu verwirklichen suchen, indem wir uns weniger von innen und dafür mehr von aussen leiten lassen. Von den vielen Kontakten nämlich, auf die wir uns sensibel einstellen und an denen wir uns flexibel orientieren.
«Das Ich wird zum Ich der anderen und steht dann allerdings vor dem Problem, aus den Tausenden von Spieglungen ein Bild für sich selbst zu gewinnen» (Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, S. 24-25).
Ist das nicht zutiefst ironisch? Die erfolgversprechende Leistung, die klickbare Selbstinszenierung, die bemerkenswerte Performanz gelingt dann, wenn ich authentisch rüberkomme und den Eindruck mache, bei mir selbst zu sein. Der aussenorientierte Mensch wird auf sich selbst zurückgeworfen und verstrickt sich in einer zwanghaften Selbstbezogenheit. Der Glaube an mich selbst wird zu einem unbarmherzigen Befehl für ein gelingendes Leben.
Meine Seele verneigt sich vor dem Geheimnis meiner Person
Der Druck, an sich selbst glauben zu müssen, kann so stark werden, dass wir die unterschiedlichen Stimmen in uns zum Verstummen bringen. Etwa das, wonach ich mich sehne, was ich sein könnte, was ich von mir selbst glauben möchte. Oder auch das, was mir an mir selbst fremd, unangenehm, gar unannehmbar vorkommt. Es mag sich für eine Zeit vielleicht so anfühlen, als sei ich nun im Einklang mit mir selbst. Aber letztlich verliere ich den Klang echter Selbstbeziehung. Den Glauben an sich selbst kann man nicht befehlen. Wahrer Selbstglaube beginnt heute vielmehr mit dem heiteren Mut, sich selbst nicht toll zu finden. Er lebt von einer gütigen Entwicklungsgrosszügigkeit, die wir uns selbst gönnen. Sich selbst zu vertrauen, an sich selbst hinzugeben und sich dann auch was zu trauen, bleibt immer ein Wagnis.
Ich lasse mich ein auf das Erlebnis, dass ich mir selbst geschenkt werde. Es ist, als würde sich die eigene Seele voll Liebe und Ehrfurcht vor dem Geheimnis ihrer Person verneigen.
Glaubt da wer an mich?
Auch wenn es angesichts manch toller Anleitungen zu einem gesteigerten Selbstglauben eher schwach klingt: Andere Menschen bevollmächtigen mich, an mich selbst zu glauben. Liebevoll erkannt und angenommen zu sein, eröffnet mir Erkenntnis und Annahme meiner selbst. Wo jemand an mich glaubt und für mich hofft, gehe ich mutig in Resonanz mit dem, was ich noch nicht bin. Die verbindenden Drähte zwischen «ich glaube – an mich selbst – als etwas» vibrieren wieder. Letztlich erschliesst sich mir hier die ganz andere, göttliche Liebe, die mich will und mitmenschlich zu mir strömt.
Gibt es einen grösseren Glauben an die Menschen, als dass Gott einer von uns wird und seinen Geist in uns wohnen lässt? Was für ein göttliches Ja wird da über mir ausgesprochen!
Paul Tillich hat den christlichen Glauben treffend erhellt als «die Bejahung dessen, daß man bejaht ist»; als «Annehmen, daß wir angenommen sind». Der mutige Glaube zwischen Gott und mir wird zu einem «Mut zum Sein», zu einer bejahenden Selbstannahme, in der ich an mich selbst zu glauben vermag. Und zwar nicht zur selbstgenüsslichen Steigerung von Aufmerksamkeit und Anerkennung, sondern im Dienst der göttlichen Liebe, die an den Nächsten glaubt. Auf dass der Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung sich ausbreitet bis in das Verhältnis der einzelnen Menschen zu sich selbst. Es braucht nur ein wenig Fantasie, um zu ahnen, dass auf diese Weise sogar die kollektive Seele der Zeit sich verneigen und an sich selber glauben mag.
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3 Gedanken zu „Glaube an Dich selber“
Ein Musiktipp zum Thema:
Die Tracks “Unself”, “Self” und “Personal Shopper” auf dem Ende Januar erschienenen Album “The Future Bites” von Steven Wilson.
Eine Anmerkung:
Wäre es nicht angemessener, von “Ich glaube – an mich selbst – als JEMAND” zu sprechen statt “… als ETWAS”?
Eine Anfrage:
“Ich glaube an mich selbst als etwas – es bleibt erst mal offen, ob diese drei Momente so miteinander resonieren, dass ein heiles, ganzes Selbst draus wird.” – Auch wenn es “erstmal offen bleiben” mag, ist ein “heiles, ganzes Selbst” überhaupt ein erstrebenswertes Ziel? (… oder als Ziel eher Symptom eines unheilvollen Individualismus?) Und wenn ja: Ist es möglich, dies im eigenen Leben zu erstreben, ohne gleichzeitig durch dieses Streben anderen Heil und Ganzheit zu nehmen bzw. vorzuenthalten?
Vielen Dank
für den musikalischen Hinweis aber auch für den sprachlichen Vorschlag. Ich hatte daran auch überlegt – vielleicht ist es wirklich angemessener, durchgehend personal zu formulieren.
Und die Anfrage führt ins Herz der Sache: Einerseits mag ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Momente “Ich glaube – an mich selbst – als jemand” zusammenfinden, eins werden, so dass gesunde Selbstannahme und Selbstliebe wachsen können. Andererseits steht auch mir das nur noch relativ zu sich selbst lebende Ich vor Augen, das eine Art Ganzheitszustand anstrebt, der dann auch unbedingt bewahrt werden muss. Ich verstehe Ihre Anfrage daher als Anregung, die bleibende Prozesshaftigkeit des Selbstglaubens zu würdigen. Der Gedanke, einmal so sehr bei mir angekommen zu sein, dass ich fertig bin mit mir selbst, erschreckt mich da genauso wie die Idee, dass Selbstglaube ohne zwischenmenschliches Glauben, Vertrauen und Lieben erstrebt werden soll.
Vielleicht kommt es auf den relativen Blickwinkel, auf die jeweilige Perspektive und auf persönliches Erleben an.
Die einen sind im Dunkel, die andern sind im Licht. Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.
Bert Brecht
Blendet mich ein Licht, seh’ ich die im Dunkeln nicht.
Bin ich im Dunkel, bezaubert mich das Licht.
Wo du auch immer warst und bist und sein wirst.
Bejahe dich.
Ich bejahe dich. Und du bist ich. Da bin ich. Ich dir.