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 Lesedauer: 7 Minuten

Das letzte Wort – und die Zukunft der christlichen Beerdigung

Karla Fazius (Anke Engelke) und ihr Mann Stephan feiern Silberne Hochzeit. Noch am Abend stirbt ihr Stephan. Karla landet bei einem klassischen Bestatter. Die Trauerfeier wird eine einzige Enttäuschung. Aus Frustration über die misslungene Trauerfeier beschließt Karla, Trauerrednerin zu werden.

Die Profitabilität des Sterbens

Die Serie lehrt viel über die heutige Kultur im Umgang mit Tod und Sterben. Bestatter sind nicht länger so etwas wie Behörden. Es sind Unternehmen. Sie denken über Zielgruppen und Kundenorientierung nach. Sie entwickeln immer passgenauere Angebote für ihr Klientel. Sie stehen miteinander im Wettbewerb. Karla war bei einem Bestatter gelandet, der sich mit diesem Wandel schwertun. Sein Geschäft läuft nicht gut. In seinem Institut sieht es aus wie vor 30 Jahren. Dass im Logo seines Unternehmens ein großes Kreuz prangt, symbolisiert die Misere.

Als neue Trauerrednerin dieses Unternehmens bricht Karla mit allen Konventionen. Ihre Beerdigungen sind wie eine Wundertüte: Mal tanzen die Abschiednehmenden hinter dem Sarg her. Mal schlagen sie wütend auf den Sarg ein und schreien den Toten ihren Frust hinterher. Der geschockte Bestatter sagt: „Pietät ist wichtiger als Wahrheit.“ In einer solchen Welt hat er sein Geschäft gelernt. Tod, Trauer, Beerdigung – das war eine geregelte Welt. Da, wo alles zusammenbricht, da gibt es Profis, Bestatter und Geistliche, die wissen, was zu tun ist. Sie vermitteln Sicherheit. Diese alte Welt gibt es noch. Vor allem ältere Besucher von Karlas Beerdigung tun sich schwer mit ihren Grenzverletzungen. Aber diese Welt schwindet. Karlas Welt und die vieler Kunden ist eine andere. Sie suchen keine Pietät, sondern Wahrheit. Karlas Überzeugung lautet:

„Ich glaube, dass jeder Mensch einzigartig ist und deshalb eine einzigartige Beerdigung verdient hat.“

Darum ignoriert sie alle Regeln. Karla glaubt an „Kreativität, Ehrlichkeit, Gefühl, Humor“.

Eine Geburtshelferin

Das besondere an „Das letzte Wort“ ist: Es gibt kein letztes Wort mehr im Sinne von feststehend und üblich.

Es gibt keine vorhandenen Formen mehr, die für alle passen. Das letzte Wort – muss jeweils neu gefunden werden.

Und bei dieser Suche nach dem eigenen letzten Wort ist Karla Geburtshelferin. Sie verhilft Menschen zur Ehrlichkeit. Als Trauerrednerin muss Karla keine Botschaft loswerden oder irgendein Programm abspulen. Sie stellt sich 100% ein auf das, was den Menschen Halt gibt. Das kann der Fußballverein sein, mit dem sie sich verbunden fühlten. Oder auch etwas Religiöses. Aber Religion als solche ist in „Das letzte Wort“ nicht mehr der Horizont für den letzten Abschied; sondern ein mögliches Angebot für Menschen, denen sie aus welchen Gründen auch immer in ihrem Leben wichtig war.

Ehrlicher Abschied

Wer (wie ich früher) Beerdigungen im Auftrag der Kirche hält oder gehalten hat, wird sehr genau hinsehen. Was man hier an gelingender Praxis gezeigt bekommt, hat man im Großen und Ganzen in guten Predigerseminaren vor 20 Jahren schon gelernt. Dem jeweils konkreten Fall gerecht werden, Freiräume zu schaffen für den ehrlichen Abschied, auch das Aushalten von offenen Fragen. All das gehört zur Alltagsprofessionalität von Geistlichen.

Dass das so ist, wird man nach „Das letzte Wort“ nicht ahnen. Im Horizont dieser Serie steht die christliche Bestattung für etwas anderes: Nicht für das eigene Wort, sondern für das fremde Wort einer Institution aus einer anderen Zeit. Nicht für Wahrheit, sondern für Pietät.

In der vierten Folge sagt der Bestatter Borowski:

„Wenn du mich wirklich fragst, ob es einen richtigen Weg gibt zu trauern – nee. Aber wenn es keinen richtigen Weg gibt, gibt es auch keinen falschen.“

Das ist die Quintessenz der Serie. Ihr postnormatives Credo. Und diese Botschaft tut vielen gut. Es ist das Credo einer großen Erlaubnis. Du darfst von der Rolle sein. Oder auch erleichtert. Es ist nicht schlimm, wenn Du Hass spürst – oder Freude. In der letzten Folge fasst Karla ihre eigenen Erfahrungen zusammen: „Vielleicht haben wir ja doch was gelernt. Womöglich, dass es keine falsche Art zu trauern gibt. Dass es nicht auf jede Frage eine Antwort gibt; Dass der Tod nur schrecklich ist, wenn man ihn zu ernst nimmt. Dass man nicht alles analysieren muss.“

Die angepasste Kirche

Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, die Kirche passt sich heute zu sehr den Wünschen der Menschen an. „Das letzte Wort“ mag die so Denkenden beruhigen. Falls es so ist: Die Menschen merken es nicht. Schon in der ersten Staffel sagt der Bestatter am Telefon: „Also ein Pfarrer oder Priester kommt für die Familie halt gar nicht in Frage.“

Was heißt das für das christliche Angebot? Muss die klassisch christliche Beerdigung dieser Entwicklung des „Marktes“ folgen? Sollte sie Kasualagenturen gründen, die hoch individualisierte Feiern durchführen können? Ganz, ehrlich, ich weiß es nicht.

Die pastorale Ausbildung ist seit langem darauf eingestellt, dem je besonderen Fall gerecht zu werden. Aber je mehr Menschen genau so etwas suchen, desto weniger scheinen sie damit zu rechnen, es in der Kirche finden zu können.

Aus der Sicht kirchlicher Bestattungstheorie kann man sehr gut erklären, was Anke Engelke alles richtig macht. Das Problem ist, dass die Leute niemanden suchen, der erklären kann, was Anke Engelke richtig macht, sondern jemanden, der es macht wie Anke Engelke. Der warmherzig, liebevoll und empathisch ist. Der nicht sein Programm abspult, sondern sich ganz und gar auf das konkrete Gegenüber einlässt, völlig ungebremst durch Konventionen und Gebäude, Liturgien, Kleidungs- und Musikvorschriften. Darauf sind weder kirchliche Ausbildungsgänge noch die institutionellen Vorgaben eingestellt. Und wenn es hier und da und dort Menschen gibt, wo man sagen möchte: aber diese Seelsorgerin kriegt es hin! Dann würde dadurch nicht das Ansehen der kirchlichen Beerdigung steigen, sondern das Ansehen dieser Seelsorgerin.

In Sachen letzter Abschied gibt es keinen Standard mehr. Entscheiden auch wir uns für Wahrheit, nicht Pietät: Die christliche Beerdigung ist längst ein Spartenangebot neben anderen.

Ob sie wenigstens das bleibt, wird auch daran hängen, wie deutlich sie das Profil ihres eigenen Angebotes vermitteln kann.

Trend zur Anonymisierung

Zur heutigen Realität gehört auch, dass es nicht nur den in der Serie beschriebenen Trend zur Individualisierung gibt. Es existiert auch ein Trend zur Anonymisierung. Immer mehr Menschen finden am Ende kein klassisches Familiengrab mehr, das für Jahrzehnte von den Angehörigen gepflegt wird. Stattdessen wächst vor allem in den Großstädten die Tendenz zur anonymen Beisetzung, ohne Trauerfeier und ohne letztes Wort.

Was ist das christliche Angebot heute? Ein Weg zwischen diesen Trends der Anonymisierung und Individualisierung.

Die klassisch christliche Idee war ja: es gibt Dinge, die ein Mensch sich selbst nicht sagen kann. Die christliche Beerdigung stellt die Geschichte eines individuellen menschlichen Lebens hinein in eine größere Geschichte. Die Geschichte Gottes mit seinen Menschen.  Die Geschichte Jesu Christi. Einer Geschichte, die in Kreuz und Auferweckung von Vergebung und Hoffnung handelt.

In dieser Geschichte geht es um die Einzigartigkeit jedes Lebens. Und um seine Endlichkeit. In diesem „Und“ sehe ich den Markenkern der christlichen Sparte. Ich wünsche mir Abschiede, die beides zusammenhalten.

Menschliches Leben ist zu kostbar, um einfach und anonym zu verschwinden. Wir brauchen die Erinnerung, den Abschied, die Würdigung – und auch den Ort, wo die Gefühle des Abschieds zum Ausdruck kommen dürfen.

Und zugleich bietet die christliche Bestattung einen Schuss Demut an. Jedem gelebten Leben tut es gut, wenn am Ende die Zurückgebliebenen sprechen: „Vergib und unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Auch der letzte Abschied sollte nicht unter dem Druck stehen, irgendwie gelingen zu müssen. Vieles bleibt in dieser Welt unvollendet. Das Bekenntnis zur Auferstehung und zum ewigen Leben enthält auch diese Einsicht. Das kommt für manche nicht in Frage. Aber ich bin dankbar, dass ich mich auf der Suche nach eigenen Worten anlehnen darf an Worte, die mir als letzte Worte zugesprochen werden.

 

Photo by Sharon McCutcheon on Unsplash.

3 Kommentare zu „Das letzte Wort – und die Zukunft der christlichen Beerdigung“

  1. Vielen Dank für diese Gedanken. Als Bestatterin aus Berlin habe ich vieles erlebt und würde Ihren Gedanken gerne noch eine weitere Perspektive hinzufügen: Das Gemeinschaftliche gegenüber dem Performativen. Wenn eine (Wahl-)Familie die Trauerfeier gemeinsam gestaltet, so wie sie vielleicht auch den runden Geburtstag oder die Silberhochzeit gestaltet haben, gibt es eine gewissen Freiheit im Umgang miteinander. Man tut es gemeinsam. Wenn der Pfarrer der Zeremonienmeister ist, mit all seiner Erfahrung, dann geben die Familienmitglieder die Verantwortung aus Unsicherheit oft gerne ab. Und nicht selten wird es zu einer Veranstaltung bei der Menschen Sorge haben etwas Falsches zu tun, wo es darum geht, dass alles perfekt und reibungslos und richtig ist. Die Trauergemeinde nimmt sich dann oft weniger als Gemeinschaft wahr, da sie sich im Rest des Lebens auch nicht als eine Gemeinschaft wahrnimmt in der ein:e Pfarrer:in Platz hätte. Und ich denke da hat sich einfach die Gesellschaft sehr verändert. Oft ist der:die Pfarrer:in eine völlig unbekannter Mensch für die anwesenden. Und leider sind dann die Reden tatsächlich nicht sonderlich individuell und die Tonalität nicht passend.
    Ich würde mich freuen, wenn Bestattungen von Seiten der Kirche wieder ernster genommen würden, damit sie auch dann wieder zu etwas lebendigem, gemeinschaftlichen werden und nicht mehr nur zu einer Performance der Pfarrperson mit den Trauernden als Publikum.

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