Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 6 Minuten

Von einer, die auszog das Glauben zu lernen…

Es war einmal eine Frau, die auszog das Glauben zu lernen. Dabei lernte sie eine neue Sprache, besuchte einen fremden Ort, zog sich neue Kleider an und wurde in ein altes Geheimnis eingeweiht. Aber Du würdest vermutlich ganz andere Dinge erleben …

Glauben lernen, so mögen manche Menschen sagen, das gehe nicht. Nicht im Sinne von Gedichten zu Weihnachten oder Telefonnummern von Freunden auswendig lernen. Nein, so geht glauben lernen vermutlich nicht. Glauben lernen wie eine Fremdsprache, mit den ganz eigenen Redewendungen und Gepflogenheiten, das scheint schon ein wenig passender.

Sprichst du Gläubisch?

Glauben scheint eine eigene Sprache zu sein, mit der ein Lernender sich vertraut machen kann. Wenn du nicht die Sprache des Glaubens, des Betens und des Zutrauens in etwas Transzendentes sprichst, dann scheint der Film, der manchmal um dich herum abläuft, in einer Sprache synchronisiert zu sein, die du noch nie gehört hast.

Wenn ich aber mit dieser Sprache aufwachse und sie häufig um mich herum wahrnehme, beginne ich zu verstehen. Je mehr ich höre, desto mehr verstehe ich. Vielleicht noch nicht die Zusammenhänge, aber doch einzelne Satzteile, bestimmte Worte und ihre Bedeutungen.

Und so geht Glauben lernen dann vielleicht doch. Nicht nur mit der Fremdsprache, sondern auch mit den Ritualen und Bräuchen, mit dem Habitus, den die Menschen annehmen, wenn sie diese besondere Sprache sprechen.

Einige Menschen wachsen, um im Bild zu bleiben, zweisprachig auf. Andere haben einen Moment, indem sie die Sprache zum ersten Mal hören, die Rituale und Bräuche zum ersten Mal sehen. Sie spüren eine Verbindung, die vorher noch nicht da war. Sie entwickeln ein Sprachgefühl.

Manchmal bleibt es bei diesem Sprachgefühl, manche Menschen aber üben und werden immer besser. Glauben ist wohl auch eine Übungssache.

Sie haben ihr Ziel erreicht

Unter Menschen, die diese Sprache kennengelernt und sprechen gelernt haben, fragt man sich häufig: Wie bist du zum Glauben gekommen? Als wäre der Glaube ein Ort, an den man mit dem Auto fahren kann.

Irgendwo hinter den sieben Bergen, kurz vor Mittelerde, die letzte Abzweigung, bevor man bei Alice und dem Hutmacher landet, da ist Glauben. Eine mittelgroße Kleinstadt mit ein paar Tausend Einwohnern und einer ganzen Schar an Touristen, die im Winter und im Sommer nach Glauben pilgern, um dort etwas zu finden, was es bei ihnen zuhause nicht gibt.

Was genau das eigentlich ist, wissen zwar die Einwohner von Glauben, aber wenn du sie fragst, würde ein jeder von ihnen etwas anderes sagen, was es ist, dass die Menschen bei ihnen zu finden suchen.

Dieser Ort, der sowohl mit dem Auto als auch zu Fuss oder mit dem Fahrrad, nicht jedoch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Glauben ist eben nicht für jeden zugänglich. Wenn du einmal an diesem Ort warst, dann gehörst du dazu, dann bist du eingeweiht, dann verändert sich etwas in dir.

Wie bist du zum Glauben gekommen? Zu Fuss. Es war ein steiniger Weg. Ich war da, bin dann aber auch wieder gegangen und aktuell pendle ich meistens. Das wäre zumindest meine Antwort auf die Frage.

Ein Klassiker

Wenn die Menschen dann an diesem Ort sind und die Sprache sprechen, ziehen sie sich ihren Glauben wie ein weisses T-Shirt an. Sieht immer ordentlich aus, kannst du nicht viel verkehrt mit machen. Selbstläufer. Hat immer funktioniert, dieses weisse T-Shirt. Eine gute Grundlage für alles, was noch kommt. Taufe, Hochzeit, Beerdigung.

Ich ziehe mir den Glauben an und habe erstmal ein bisschen «Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst» als Basis, ein bisschen Nächstenliebe für den gepflegten gesellschaftlichen Umgang. Das kann ich dann mit individuellen Überzeugungen kombinieren. Weisse T-Shirts sind vielseitig. Zum Glück.

Glauben bietet eine Lebens-(Outfit-)Gestaltungsgrundlage. Viele Dinge, die das weisse T-Shirt mit sich bringt, sind hilfreich. Ein paar gute Werte, einen Katalog an Feiertagen, eine Perspektive für den Tod, der ja eher schwer verdaulich ist. Der wird durch das T-Shirt auch ein bisschen heller.

Einige ziehen es nur im Winter an, um darüber noch zwei bis drei weitere Lagen Kleidung zu schichten. Glaube kann warmhalten. Besonders ein Glaube, der aus stabiler Wolle gestrickt ist.

Natürlich musst du dein T-Shirt pflegen und ab und an ein bisschen bleichen, Weisswaschmittel benutzen, damit es seine Strahlkraft behält.

Die Reinheit verliert das weisse T-Shirt aber schon beim ersten Tragen. Da musst du dir keine Gedanken machen. Irgendwann hat es Löcher, am Hals und unten am Saum. Und der kleine rote Fleck von der Erdbeertorte letzten Mai, der geht auch nicht mehr weg.

Pssst

Glaube ist nicht nur eine Sprache und ein Ort oder ein T-Shirt, dass ich mir anziehe. Glaube ist auch ein Geheimnis. So wie die Menschen, die in Glauben leben, wissen, was es mit dem Ort auf sich hat, ist Glaube etwas von dem geflüstert wird.

Hinter verschlossenen Türen, meistens sind sie alt und hölzern, treffen sich Menschen, die davon erzählen. Die Dame, deren weisse Haare fein säuberlich zusammengesteckt sind, flüstert es zu ihrer Tochter. Der Mann vorne auf den Stufen flüstert es laut.

Oft singen die Menschen auch, weil ihnen die Worte fehlen für das Geheimnis. Die Türen sind dabei verschlossen, weil die Welt sonst so laut ist und die Menschen, die sich Glauben zuflüstern, ihren eigenen Worten nicht mehr trauen können. Einige nuscheln, weil sie nicht genau wissen, worum es wirklich geht, aber sie möchten so gerne dazugehören.

Worin das Geheimnis liegt, bleibt unklar.

Es gibt natürlich eine offizielle Version, die auch ausserhalb der Mauern, draussen vor der Tür weitergegeben wird. Ob das Geheimnis eine Wahrheit ist, darüber munkelt man noch. Bestimmt nicht so etwas wie: Josef liebt Maria, oder: Jakob wird von seinen Brüdern gemobbt.

Worin das Geheimnis besteht, weiss nur, wem es zugeflüstert wird. Nicht hinter den verschlossenen Türen, sondern draussen, in der Stadt unter freiem Himmel, an einem Herbsttag mitten im Mai.

Wenn die ersten Erdbeeren durch den Schnee stieben und aus meinem Mund keine Worte, sondern Wolken purzeln. Dann puste ich diese Wolken dem nächsten entgegen, der mich nach dem Geheimnis fragt.

Es war einmal eine Frau, die auszog, das Glauben zu lernen. Dabei lernte sie viel über die Menschen, wie sie miteinander sprechen und was sie verstehen. Sie verstand, dass Menschen sich nach einem Ort sehnen, der für sie ein Zuhause ist. Dass jeder etwas braucht, das einen warm hält, wenn es Winter wird. Und einige Geheimnisse wohl nie gelüftet werden. Es war einmal… und wenn sie nicht gestorben ist, dann ist sie immer noch auf der Suche.

 

Nicht wie man den Glauben findet, sondern an was wir glauben, haben wir bei RefLab auch veröffentlicht. Unter der Beitragsserie Glaubensdinge findest du unsere persönlichen Glaubensbekenntnisse.

Foto: dzymitry tselabionak @unsplash

 

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