Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 8 Minuten

Hinter Klostermauern und Weihrauchschwaden

Ich verlasse den Zug in Bad Saulgau. Eine Kleinstadt irgendwo nördlich des Bodensees. Am Busbahnhof warten einige Jugendliche auf den Bus und eine Perspektive. Das  Franziskanerinnen-Kloster Siessen liegt oberhalb der Stadt. Meine Reise Richtung Kloster endet mit einem halbstündigen Spaziergang, einen birkengesäumten Weg entlang, zwischen Wiesen und Bächlein, den Berg hinauf zum Mutterhaus.

Dreineinhalb Tage im Kloster verbringen. Lebensgestaltung aus dem Glauben heraus, wo, wenn nicht im Kloster, kann ich mich damit konfrontieren. Ich wollte das schon immer machen, nun bin ich also hier. Das ich hier Ostern feiere macht etwas mit mir. Was, weiss ich noch nicht.

Bettwäsche und Handtücher musste ich mitbringen. Das fühlt sich an wie Klassenreise in der Grundschule. In dem kleinen Willkommensheft, das im Zimmer liegt, steht, ich möge bitte das Waschbecken nach jedem Benutzen mit dem vorgesehenen Handtuch auswischen, es habe hier sehr viel Kalk. Im Schrank finde ich eine Wolldecke. Die alten Gemäuer bleiben kalt, auch im Sommer. Ich werde hier viel frieren, das merke ich schon.

liturgisch durchgetaktet

Nach der Begrüssung bekommen wir den Ablauf der nächsten Tage mitgeteilt. Viel Gottesdienst, aber das wollte ich ja so. Die heilige Woche wird in der katholischen Kirche mit dem Triduum Sacrum gefeiert. Eine Liturgie, die am Donnerstagabend mit der Messe zum letzten Abendmahl beginnt und am Ostersonntag mit dem Auferstehungsfest Christi endet.

Das Programm fühlt sich an, als hätte ich liturgisch «einmal alles» bestellt.

Jeden Tag erfolgt eine kleine Einführung in die Liturgie des jeweiligen Tages. Das Sofa und die Stühle im Wohnzimmer der Räumlichkeiten, in denen wir untergebracht sind, erinnern an Gemeindehaus-Einrichtungen. Jugendheimromantik mit Liebe gestaltet. Es gibt selbst gehäkelte Decken, die ich fast schon automatisch auf dem Sofa sitzend um mich schlinge. Mir ist kalt.

Wir sind zu viert, vier junge Frauen zwischen 27 und 33. Dazu drei Schwestern, die uns in dieser Zeit begleiten. Wir gehen überall gemeinsam hin. Zum Essen, zum Gottesdienst, zum Kerzen gestalten. Die Gemeinschaft mit den fremden Menschen ist eine Herausforderung. Besonders, da wir ab Donnerstagabend schweigen werden.

Nach der ersten Messe gehe ich aufs Zimmer. Die Ölbergandacht, die direkt im Anschluss stattfindet, lasse ich sausen. Mich rauszunehmen fällt mir hier besonders schwer. Auch wenn ich weiss, dass es für mich wichtig ist.

gottesdiensten

Der Karfreitag startet mit der Mette um 7:30 Uhr. Insgesamt zehn gottesdienstliche Feiern werde ich in meiner Zeit im Kloster besuchen.

Unter normalen Umständen werden hier nur Laudes und Vesper gefeiert. Damit auch die berufstätigen Schwestern teilnehmen können. Dazu kommt eine individuelle Zeit der Anbetung. Eine stille Zeit in der Kapelle, meistens eine Stunde, die fest eingeplant wird. Das Frühstück findet im Schweigen statt.

Das Triduum fühlt sich für mich fremd an. Am Freitag bin ich noch ganz bei dem Tod, ich kann die Auferstehung nicht schon mitdenken. Karsamstag am Abend bereits die Osternacht begehen ist für mich auch neu. Ich merke, wie ich Ostern nicht zusammenhängend denke.

Neben einer Schwester sitzend, habe ich das Gefühl, ich darf nicht in der Bank rumlümmeln.

Ansonsten versinke ich meist in den Bänken, hänge den Worten nach, lege mich in die Musik. Das geht hier alles nicht.

Die Bänke sind unbequem, ich winde mich, schlage das eine Beine über, dann das andere, vielleicht mal gerade hinsetzen. Darf ich meine Füsse auf die Kniebank stellen? Ich weiss es nicht, mache es aber trotzdem. Dann mache ich es nicht mehr.

Die Worte, die vorne gesprochen werden, verhallen irgendwo zwischen Ohr und Herz. Manche bleiben mir im Hals stecken. Ich will nicht für alte weisse Männer, Generalvikare und Weihbischöfe beten. Die Musik, ich kenne kaum eines von den Liedern, die gesungen werden. Immerhin die Antiphon-Gesänge kann ich halbwegs gut mitsingen, Liturgie-Unterricht sei Dank.

Anderthalb Tage brauche ich, bis ich mich bei den Gottesdiensten halbwegs entspannen kann. Bis dahin habe ich schwitzige Hände und Unruhe.

In einer Pause sitze ich auf dem Rasen und flechte einen Gänseblümchenkranz. Später werden Blumen und persönliche Dinge in einer Prozession vor dem Gekreuzigten abgelegt. Ich werde meinen Kranz dazulegen, eine Blumen- statt einer Dornenkrone. Karfreitag ist ein warmer Tag, das erste Mal, dass ich barfuss über Gras laufe in diesem Frühjahr. Obligatorisch sind bei der Prozession drei Kniebeugen. Ich begnüge mich mit einer Verbeugung.

Samstagsausbruch

Samstag früh  gehe ich spazieren. Wobei es sich eher um strammes Wandern übers Land handelt. Irgendwann rufe ich einen Freund an. Ich muss mich mitteilen. Während unseres Gesprächs verlasse ich den Weg und streife ins Unterholz. Ich höre, wie die Blätter des letzten Herbstes unter meinen Füssen zu Bruch gehen. Es fühlt sich so weich an. Ich möchte mich hineinlegen.

Ich setze mich auf einen Wurzelstamm. Er ist mit Moos bedeckt. Das Telefonat habe ich mittlerweile beendet. Viele Bäume sind mit Moos bedeckt. Der Wald freut sich über den Besuch und beschenkt mich mit allerlei kleinen Aufmerksamkeiten. Eine Narzisse die ganz einsam sich über den braunen Boden erhebt. Eine Schar von kleinen Jungtannenbäumen, die zwischen ihren meterhohen Artverwandten den Erdboden für sich beanspruchen.

Als ich zum Kloster zurückkehre, ist meine Seele bewaldet.

In der Bank der Kapelle ist mittlerweile eine Bank für uns reserviert. Kloster auf Zeit steht auf einem kleinen Zettel geschrieben. Ich kenne Din A 4 grosse Reserviert-Schilder, die grosszügig auf die Bank gelegt werden. Dieses Schild ist handgeschrieben und zurückhaltend. Fast alles hier ist zurückhaltend. Sogar die Reserviert-Schilder.

Beim Essen wird beobachtet. Will noch jemand Tee, brauchst du noch Butter? Alles nonverbal. Das ist anstrengend. Esse ich noch ein Brot oder höre ich lieber jetzt schon auf, damit mir nicht alle beim Essen zusehen. Ich habe mühsam lernen müssen auf meine Bedürfnisse zu achten. Hier werden sie wieder untergeordnet, in eine Struktur von Essen und Gottesdienst feiern und Gemeinschaft einsortiert.

Nach dem Mittagsessen heben wir das Schweigen auf. Endlich Zeit für Austausch mit den Schwestern. Kleidung, Leben, Berufstätigkeit, Einkleidung, Ringe, Erstprofess, Ewige Profess, dürftet ihr euch die Haare färben? Habt ihr Urlaub? Durch den stillen Freitag haben sich die Fragen zum Leben im Kloster aufgestaut.

Neben der Neugier über das Leben dort steht auch immer die Frage: Könnte ich das?

verschwinden

Samstagabend sitze ich nicht in unserer vorgemerkten Reihe. Ich verschwinde in dem Rest der Gemeinde in der vorletzten Reihe. Bei einigen der Kniebeugen lehne ich mich an die Sitzbank, um Energie zu sparen.

Performance hat nichts mit diesem Ort zu tun. Vielleicht wirkt der Priester deshalb auch auf mich so befremdlich. Er ist der Einzige, der performt. Auch die Schola, die so schön singt, wie ich noch selten Menschen habe singen hören, sie tragen eine Demut in ihren Stimmen.

Das Individuum verschwindet, ist zurückhaltend, dient. Was ich bin, ist mein Tun. Selbstausdruck zeigt sich in den Ringen, die zur Ewigen Profess geschenkt werden, den Fleece und Wolljacken in den unterschiedlichsten Graunuancen, die über das Ordenskleid gezogen werden und den Schuhen, ebenfalls meist grau oder schwarz.

Ordenskleider werden weitergegeben, Fleecejacken auch. Es gibt eine Näherei und eine Kleiderkammer. Immer wenn die Ärmelenden ausfransen, werden sie neu umgenäht. Daher werden die Ärmel mit den Jahren der Trägerinnen auch immer kürzer. Das Wort Effizienz passt nicht an diesen Ort, aber irgendwie ist es genau das. Aber eben auf einem sehr old school way.

glaubensfrauen

Dass ich eine evangelische Pfarrerin bin, spricht sich rum. Weshalb ich dort sei, werde ich nach der Osternacht gefragt. Meine Spiritualität pflegen ist meine Antwort. Wobei ich ehrlicherweise nicht weiss, ob das hier so funktioniert hat, wie ich es mir vorstellte.

Eine Schwester erzählt mir von einer evangelischen Ordination, die sie erlebt hat. Wie traurig sie darüber ist, dass ihnen einige Möglichkeiten verwehrt bleiben, sie niemals eine Pfarrerin sein wird. Ich frage nach Beteiligungsmöglichkeiten. Es gäbe einen liturgischen Rat, der arbeite jedoch kaum inhaltlich. Eine Andere erzählt mir von dem ersten Wortgottesdienst, den sie spontan halten musste. Nicht alle Schwestern finden es gut, wenn Frauen in der Messe predigen.

Glaubensgespräche mit den Schwestern finden kaum statt, die geistliche Begleitung fällt schwer in dem durchgetakteten Osterplan. Weshalb sie tun, was sie tun – ich sehe es ihnen an.

Ihr Glaube verbirgt sich hinter Formeln und Postulaten. Offenbaren tut er sich anderswo. Er wohnt in den Filz- und Stoffumschlägen, mit denen die Schwestern ihre Gebetsbücher geschmückt und umhüllt haben. Er spricht in die Stille, mit der die Schwestern per Du sind. Beim Frühstück und nach der Messe, wenn sie noch in ihren Bankreihen verweilen und der letzte Hauch Weihrauch schon hinausgetragen wurde. Ihr Glaube erklingt in ihrem Ordensnamen, der für sie sowohl Zuspruch als auch Auftrag ist.

Als ich am Ostersonntag wieder in den Zug steige, frage ich mich, worin sich mein Glaube wohl offenbart. Ich verlasse das Kloster mit mehr Fragen als Antworten. Ich habe noch nicht zu Ende gedacht. Was ich mitnehme: ein paar Sticker, ein kleines Holz-Tau, das Zeichen der Franziskanerinnen und ein Osternest mit Schokohase. Das gab es für jede Schwester, natürlich handgepackt, zum Frühstück.

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