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Ende ohne Ende

Wir begegneten uns vor fünf Jahren in Berlin. Der prominente Kulturunternehmer hatte ein Café in Kreuzberg als Treffpunkt vorgeschlagen. Eines jener Kiez-Cafés, die auf unaufgeregte Weise Grossstadtflair besitzen, und wo man Nachmittage mit Heissgetränken und Lektüre verbringen kann, ohne von Touristen gestört zu werden.

Heller war in Berlin genauso zu Hause wie in Zürich, wo der Sitz seines Unternehmens «Heller Enterprises» war – was für ein Name! Ich hatte Heller zum Gespräch gebeten, weil ich über sein «Humboldt Lab» eine Studie machte.

Der Schweizer Ethnologe, Kunsthistoriker und Kulturunternehmer war 2010 vom damaligen deutschen Kulturstaatsminister Bernd Neumann zum Verantwortlichen für die sogenannte «Agora» des Humboldt Forums in Berlin ernannt worden. In der Folge hatte er das «Humboldt Lab» als «Probebühne» des neuen Kulturschlosses initiiert.

Grosszügig und grossformatig

In Martin Hellers Wesen verband sich Grosszügigkeit mit der Unruhe von Geistern, denen normale Abläufe und Geschwindigkeiten wie Zeitlupentempo vorkommen, weil sie immer schon ein paar Schritte weiter sind. Trotzdem brachte er an diesem Nachmittag die Ruhe auf, sich auf meine Forschungsfragen mit interessierter Geduld einzulassen.

Das «Humboldt Lab» war zu diesem Zeitpunkt bereits vorzeitig beendet worden. Aus dem Traum, künstlerischer Direktor des nationalen Grossprojekts Humboldt Forum zu werden und den Ort, der den Kulturen der Welt gewidmet ist, mit seiner eigenwilligen Handschrift zwischen Kunst, Design und Wissenschaft mitzuprägen, war nichts geworden.

Für den Kulturunternehmer und Ausstellungsleiter war es nur eines aus einer Reihe von Grossprojekten gewesen, die er verantwortete. 2009 war er als freier Kulturunternehmer und Kurator für den Auftritt von Linz als Kulturhauptstadt Europas zuständig. Von 1999 bis 2003 war er künstlerischer Direktor der Schweizer Landesausstellung Expo.02.

Wie ein Traumschiffskapitän navigierte Martin Heller Kunst an ungewöhnliche Orte und inszenierte Events jenseits von Genregrenzen und Erwartungshaltungen.

Fast beiläufig erwähnte er in unserem Gespräch, dass ihm bei der Expo ein Milliardenbudget zur Verfügung gestellt wurde.

Als kultureller Change Manager versuchte er, «festgefahrene Denkweisen zu lockern», und übertrug Ideale aus dem Startup-Unternehmertum auf Kultureinrichtungen: etwa Räume für offenes Experimentieren, Mut zum Risiko und Fehler machen dürfen als Privileg und Chance. Nicht überall kam das gut an. Problematisch wird das Konzept «ambitionierter Popularität» (M. Heller), wenn es auf Kosten wissenschaftlicher Genauigkeit geht und Szenografen auch Inhalte bestimmen.

Was sehr für Heller sprach: Viele arbeiteten gern mit ihm zusammen. Der Kulturveranstalter lehrte auch an Hochschulen, etwa der ETH Zürich und der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe Kulturmanagement. Er verwehrte sich aber dagegen, als «Kulturmanager» bezeichnet zu werden. Zu Recht:

Martin Heller war Visionär, Ermöglicher und nicht nur ein Freund der Kunst, sondern selbst ein Künstler!

Ich verdanke der intensiven und kritischen Auseinandersetzung mit Hellers «Humboldt Lab» wertvolle Einsichten in Potenziale von Kultur- und Medienlaboren, die ich in einem anderen Lab, dem RefLab, fruchtbar zu machen versuche.

Als Kurator des Reformationsjubiläums «500 Jahre Zürcher Reformation» war Martin Heller der Reformierten Kirche im Kanton Zürich bereits bekannt. Mein RefLab-Kollege Luca Zacchei erlebte ihn in Arbeitssitzungen als «engagierte, unarrogante und unaufgeregte» Führungspersönlichkeit, «die die eigene Meinung nicht höher gewichtete als die anderer». Heller konzipierte und begleitete gemeinsam mit Barbara Weber das Langzeitfestival von Mitte 2017 bis Anfang 2019 in verschiedenen Spielstätten in der Stadt und im Kanton Zürich. Mitwirkende waren sowohl die grossen Institutionen Zürichs als auch freischaffende Künstler:innen und Wissenschaftler:innen aus ganz Europa.

Das Programm zeigte die Aktualität der Reformation und verlegte den Fokus von einem innerkirchlichen Ereignis auf die sicht- und spürbaren Nachwirkungen im heutigen Zürich und in der Kultur unserer Zeit.

Lizenz für Weltuntergänge

Ein weiteres Vermächtnis Hellers ist eine Ausstellung in Bern mit dem schönen doppeldeutigen Titel «Weltuntergang – Ende ohne Ende». Es geht um die jahrtausendealte Geschichte des Weltuntergangs und damit verbundene Ängste und Erklärungsversuche.

Man taucht ein in ein Wechselbad aus Analysen, Prophezeiungen, Spekulationen und Angstlust am Untergang.

Besonders berührend sind Installationen von Alzheimerkranken, die sich an den Sinn und Zweck von Alltagsdingen nicht mehr erinnern und diese an überraschenden Orten ihrer Wohung in überraschender Weise arrangieren.

Heller kommentierte Weltuntergang so: «Der Weltuntergang geht alle an. Eine Ausstellung zu dieser Thematik bewegt sich zwangsläufig und ständig zwischen High und Low. Sie wechselt locker von kultureller und wissenschaftlicher Reflexion zu alltäglichen, populären Wahrnehmungen. Und: Sie darf sich ungeniert mit Trash einlassen und muss doch ernsthaft sein. Etwas Schöneres kann einem als Ausstellungsmacher kaum passieren – der Weltuntergang als Lizenz für Rollenspiele der feinsinnigen wie der grobstofflichen Art.»

Für Martin Heller ist die Welt kurz vor seinem 69. Geburtstag untergegangen, nach schwerer Krankheit. Die Weltuntergangsschau überdauert ihren Impresario. Sie ist noch bis November 2022 im Naturhistorischen Museum in Bern geöffnet.

Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Martin_Heller_2007.jpg

 

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