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 Lesedauer: 5 Minuten

Diskriminierte Katzen und vegane Calzone

Auf Instagram rief die Tierschutzorganisation dazu auf, keine «speziesistische Sprache» zu verwenden – also keine Formulierungen, die Tiere abwerten. Anstatt zu sagen, dass man «mit jemandem ein Hühnchen rupfen» müsse, solle man «mit jemandem eine Rechnung offen haben». Anstatt «die Katze aus dem Sack zu lassen», solle man «die vegane Calzone anschneiden». Nicht zuletzt solle man sich «zwei Erbsen auf eine Gabel laden», anstatt «zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen».

Als Grund gab die Tierschutzorganisation an, dass solche Ausdrücke gewaltvoll gegenüber Tieren seien.

Schweine hätten zum Beispiel ja eben nicht «Schwein gehabt», sondern würden qualvoll in Massenbetrieben geschlachtet.

Sprachkritik ist nichts Neues

Überraschend kommt dieser Vorschlag nicht. Im letzten Jahr haben sich zahlreiche Diskussionen entfacht, ob und wie sich Sprache anpassen und verändern sollte, um gerechter zu werden. Es geht um Gendersternchen, ob beispielsweise Frauen* oder Trans-Menschen eben nicht nur mitgedacht, sondern mitgeschrieben werden. Oder dass man Worte mit einer historisch-unterdrückenden Geschichte wie das N-Wort oder das Z-Wort nicht mehr verwendet, und aufhört, «Du bist so beh*****t» zu sagen, weil es Menschen mit Behinderung abwertet.

Doch warum wird ausgerechnet über Sprache Gerechtigkeit ausgehandelt?

Sprache, Macht und Wirklichkeit

Die Annahmen, die hinter den Debatten stecken, lauten: «Sprache ist Macht» und «Sprache erschafft Wirklichkeit». Wissenschaftlich haben sogenannte «Poststrukturalist*innen» diese Überlegungen mitgeprägt. Am bekanntesten dürfte der französische Philosoph Michel Foucault sein, der über die Macht des Diskurses schrieb und darlegte, wie beispielsweise ein bestimmtes akademisches Vokabular Nichtakademiker*innen ausschliesst.

Poststrukturalistische Diskurstheorie

Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, ein Forschungspaar, das sich mit politischer Theorie beschäftigte, führten Foucaults Argument fort: Sie sagten, dass ein Diskurs – anders als bei Foucault – nicht nur auf einer abstrakten Meta-Ebene stattfinde, sondern immer konkrete Auswirkungen habe. Wenn eine Bauarbeiterin beispielsweise zur anderen sage: «Gib mir bitte diesen Ziegelstein» und diese darauf reagiere, stehe am Ende ein Haus. Ebenso hat es, diesem Gedankengang folgend, wahrnehmbare Konsequenzen, wenn ein erlernter Wortschatz darüber entscheidet, wer an Diskussionen teilnehmen kann – und wer nicht.

Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung

Unter diesen Bedingungen ergibt auch die Behauptung Sinn, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Wird Sprache zusätzlich mit politischer oder juristischer Macht verknüpft, werden durch sprachliche Begriffe gesellschaftliche, politische oder gar juristische Realitäten geformt. So reden manche bewusst und ausschliesslich von «Israel» und manche genauso bewusst und ausschliesslich von «Palästina».

Ein weiteres Beispiel ist das Wort «Flüchtling». Ähnlich klingend wie das Wort «Winzling», mit der verkleinernden Silbe «-ing» am Ende, suggeriert es hilfslose Menschen, die keine Handlungsfähigkeit besitzen. Im Diskurs, der nach Beginn des Syrienkriegs entstand, etablierte sich das neutraler formulierte «Geflüchtete» oder «geflüchtete Menschen». Wenn also auf gleichberechtige Sichtbarkeit für Frauen* oder Transmenschen in der Sprache gepocht wird und rassistische oder ableistische Sprache kritisiert wird, geht es darum, sprachliche Gleichwertigkeit für Menschen zu schaffen, die durch Sprache angesprochen werden

Artgerechte Sprache für Tiere?

Dass das Ganze jetzt auch auf Tiere angewandt werden soll, wirft natürlich sofort die Frage auf: Sind Tiere und Menschen gleichwertige Wesen? Menschen, die vegan leben, würden das vermutlich mit «Ja» beantworten. Für nicht-vegan lebende Menschen, die tierische Produkte konsumieren und nutzen, ist das eine Frage, die komplizierter zu beantworten wäre. Denn die Gleichstellung tierischer Diskriminierung mit menschlicher Diskriminierung würde bedeuten, dass jedes Tier durch solche Metaphern dieselbe Ungerechtigkeit erleidet, wie wenn jemand als «fauler, sozialhilfeschmarotzender N-Wort» beschimpft wird.

Verständigungsprobleme

Das Hauptdilemma bei diesem Thema ist doch, dass Tiere menschliche Sprache nicht verstehen.

Wie kann ein Tier durch Sprache diskriminiert werden, die es nicht versteht?

Die Vorschläge von PETA müssen hauptsächlich für Menschen gedacht. Damit wir Menschen uns bewusst machen, dass Tiere und auch Nutztiere Lebewesen sind und ein Hofhuhn ebenso geachtet werden muss wie ein seltener Jaguar.

Konkrete Auswirkungen fehlen

Unabhängig davon, wie jemand diese Gleichstellungsfrage für sich beantwortet, führt sie darüber hinaus zur Frage:

Inwiefern verbessern sich die Lebensbedingungen für Tiere durch diese sprachliche Anpassung?

Erreichen Tierschützer*innen damit, was sie sich wünschen, nämlich die Wertschätzung tierischen Lebens?

Sprache muss mit Handlung verbunden sein

Indem wir Menschen nur eine Sprache sprechen, in der keine Tiergewalt vorkommt, ist Tieren noch lange nicht geholfen. Die Forderung passt zu einer Organisation wie PETA, die sich auch aktiv für Tierschutz und Tierrechte einsetzt. Bevor jedoch eine Sprache angepasst wird, ist Tieren mehr geholfen, wenn man darauf achtet, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden, deren Produkte man konsumiert oder nutzt, oder beispielsweise konkret die «Initiative gegen Massentierhaltung» unterstützt.

Menschen vorzuschreiben, wie gesprochen wird, kann auch nach hinten losgehen – gerade bei einem Thema, das so heiss diskutiert wird wie Veganismus.

Der Kunstgeschichte-Professor Jörg Scheller twitterte kürzlich: «Die Antwort auf Probleme darf nicht immer lauten: mehr Gesetze, Regeln, Ordnung, Behörden, Kontrolle, Planung, Berechnung, Überwachung, Konditionierung, Staat. All das schafft Bedingungen, unter denen immer mehr von selbigen nötig wird. WENIGER kann auch eine Antwort sein.»

Sprachkritik ist notwendig

Dass Sprache kritisch hinterfragt wird, ist eine notwendige gesellschaftliche Aufgabe. Sprache ist menschengemacht und als solche an historische menschliche Formulierungen und Interpretationen von «Realitäten» gebunden. Man denke nur daran, dass Frauen das Stimm- und Wahlrecht verweigert wurde mit dem Argument, der Verfassungstext rede von «Schweizer Bürgern», nicht aber von «Schweizer Bürgerinnen». Sprache unterliegt nicht derselben Logik wie mathematische Formeln.

Fazit

Insofern ist es nur richtig, Abwertungen aus der Sprache zu streichen. Doch wie viel ist tatsächlich dabei gewonnen? Im Fall von tiergerechter Sprache erscheint es sinnvoller, sich zuerst um das leibliche Wohl von Tieren zu kümmern – und sich in einem zweiten Schritt – der deswegen nicht ausgelassen werden muss – um die sprachliche Ebene zu kümmern.

 

Bild: Paul Hanaoka auf Unsplash

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