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 Lesedauer: 4 Minuten

Auf Gottesentzug

Soll es neuerdings gut sein, gott-los zu werden?

Das klingt, als wäre Gott eine schädliche Droge, die ich in einem qualvollen Entzug loswerden muss. Spiritualität als Einübung in eine heilsame Gottlosigkeit … echt jetzt? Ja, ich lass den Stachel erst mal sitzen und würde mich freuen, wenn Sie das mit mir aushalten und weiterlesen. Vielleicht hilft es, wenn ich vorwegschicke, worum es mir nicht geht: Um jene schrecklichen Erfahrungen, in denen Gott auf unerklärbare Weise weder anwesend noch handlungsfähig zu sein scheint. „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“ Wie berechtigt und unverzichtbar diese Klage doch sein kann! Aber, so klagen auch Gläubige, wenn die geistlichen Mittel nicht mehr reichen, um die Dosis göttlicher Gegenwart so hoch wie gewünscht zu halten. Ich spreche aus eigener Erfahrung.

Eine steigerungsgetriebene Spiritualität, die immer mehr von Gott haben will. Ganz intim werden mit Gott, vielleicht sogar um den Preis einer göttlichen Überdosis.

Was, wenn Gott sich da um meinetwillen rausnimmt?

„Gott will im Dunkel wohnen“ – ein verstörendes Weihnachtslied

Dass der allgegenwärtige Gott sich wohlwollend zurückzieht, war für mich lange nicht denkbar. Wenn überhaupt, dann hielte er sich höchstens aus negativen Gründen von mir fern. Aber selbst mit Zorn und Strafe würde er mir ja noch gewaltig zu Leibe rücken. So blieb ich in meiner vorweihnachtlichen Schweigezeit einige Jahre an der Melancholie des Liedes von Jochen Klepper hängen: Die Nacht ist vorgedrungen. Da heisst es: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“ Bis ich an ein Geheimnis rührte: Diese heilige Zeit, in der ich einsam und schweigsam bin, viel mit mir rede und mir selbst begegne, die gönnt Gott mir. Sie wäre gar nicht erfahrbar, wenn er sich nicht zurücknehmen würde.

Liebevoll abwesend

Mittlerweile dehne ich dieses Erlebnis auf mein ganzes Leben aus. Geliebtes Gegenüber Gottes zu sein wäre nicht möglich, wenn er dauernd und undosiert da wäre. Stark, wie der Religionssoziologe Peter L. Berger das fasst: „Sprächen die Engel die ganze Zeit, würde das Lebensgeschäft wahrscheinlich völlig zum Erliegen kommen. Die Gesellschaft könnte nicht überleben, wäre sie starr, unverrückbar auf die Begegnung mit dem Übernatürlichen eingestellt“ (aus: Der Zwang zur Häresie).

Die Liebe spielt mit Nähe und Distanz, auch die göttliche Liebe. Ein permanent verfügbarer Gott, der ständig mitredet und überall mitmischt? Das brächte die spirituellen Resonanzen zum Verstummen.

„Wahrlich, du bist ein Gott, der sich verborgen hält, Gott Israels, ein Retter!“ (Jes 45,15) Ich schätze diese heilsame Entzogenheit Gottes. Ist sie nicht eine intensivierte Form der Gottesbeziehung? Womit er in seiner Abwesenheit geheimnisvoll anwesend wäre. Beides sind wohl keine Gegensätze, und ihr Miteinander gehört zur spirituellen Kunst.

Erwachsen und mündig werden durch Gottesentzug

Es hat lange gedauert, bis ich hinter dem Entzug Gottes seine freundliche Zumutung spürte. „Warum, Gott, bist Du nicht der, für den ich Dich gehalten habe?“ Fühlt sich manchmal an wie ein unbequemer Schups aus der kuschligen Infantilität meiner Gottessohnschaft. Ich darf, ja ich soll spirituell erwachsen werden. Kleinkind bleiben wäre bequemer. Aber die mütterlichen und väterlichen Seiten Gottes drängen wohl drauf, dass ich je länger je mehr Verantwortung übernehme für das, was ich sein und leben will.

Ein solches Loslassen Gottes birgt das Risiko einer Gott-Losigkeit, die ihn aus der Welt herausdrängt.

Dietrich Bonhoeffer hat diesen Zusammenhang zwischen Mündigkeit und der möglichen Abwesenheit Gottes kaum überbietbar geknüpft:

„So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Markus 15,34)!“ (aus: Widerstand und Ergebung).

Bleibt da nur noch die Perspektive, atheistisch an Gott zu glauben? Begehrenswerter scheint mir der Gottesentzug als immer wiederkehrende Phase. Gott traut mir zu, dass ich erst mal mit mir selbst klarkommen muss. Etwa zu spüren und zu erkennen, was ich eigentlich will, anstatt ständig wissen zu wollen, was von Gott her angezeigt ist. Was wird wohl geschehen, wenn wir aus dieser gottgeschenkten Selbständigkeit heraus vor Gott treten?

Für mich gehört der stachlige Gottesentzug zu einer zeitgemässen Heilkur für eine neue Lebendigkeit des Glaubens.

Oder musste Jesus Christus nicht weggehen, damit der Geist Gotte kommen und das Leben der Gläubigen in ungeahnter Weise entfachen konnte (Johannes 16,7)?

 

Photo by Jan Schulz # Webdesigner Stuttgart

10 Kommentare zu „Auf Gottesentzug“

  1. Wieder Andreas Loos…er hat den Stachel gesetzt..und wie…ja das glaube ich auch, dass Gott sich manchmal aus heilsamen ( im wahrsten Sinne) zurückzieht. Danke fürden Denkanstoss.

  2. Danke fuer den Artikel

    Auf meiner Reise mit Gott, die vor 3 Jahren angefangen hat, richte ich mich vorallem am Apostel Paulus, roemer 11:13 und an seiner Reise mit Gott. Er ist meiner Meinung das beste Beispiel wie wir klarkommen können /sollten mit Gott der der nicht mehr sichtbar ist wie zu Zeiten Israels. Gott lässt ihm ausrichten, und auch somit uns dass seine Gnade genüge (2 kor 2:19). Paulus sagt uns auch wir sollen ihm nachfolgen, sowie er Christus (1 kor 1:11). Paulus redet von einem Frieden der höher als alle Vernunft sei und sagt uns, uns nicht zu sorgen und uns auf die himmlischen Dinge zu konzentrieren und nicht auf die irdischen (kol 3:1-2). Gottes Frieden, verursacht durch die „reconciliation“ mit Gott und durch seine Gnade ist der Motor des Lebens des Gläubigen. Der Friede der daraus resultiert ist… Unbeschreiblich… Auch in schwierigen Zeiten…. Roemer 5:1-3!

    Mit Gottes segen

    1. Danke für diese ehrliche und offene Reaktion. Ich lese sie auch als Hinweis auf eine geistgewirkte Genügsamkeit. So gesehen könnte man vielleicht auch sagen, dass der Gottesentzug eine Art Fastenkur wäre für eine neue Lebendigkeit des Glaubens.

  3. Manfred Reichelt

    Im Grunde ist es ja ein Witz: Gott entzieht sich.
    Die Probleme des Glaubens ergeben sich, dass wir immer noch mit einem anthropomorphen Gottesbild aus archaischer Zeit arbeiten. Gott ist KEINE Person. „Er“ ist das lebendige Sein. Und das kann sich nicht entziehen. Der Mensch würde dann in die „Seinslosigkeit“ fallen.
    Aber selbst, wenn man einen persönlichen Gott denkt: Weshalb sollte er ständig anwesend sein? – Hätte er nicht besseres zu tun, als sich für unsere Dummheiten zu interessieren?
    Gott hat KEINE Emotionen. Also kann man ihn in diesem Sinne überhaupt nicht spüren. Das würde uns ja gefallen, wenn er uns liebte, wie unsere Freundin, unser Freund, sodass wir die Liebe spürten. Aber jeder findet die emotionale Gegenwart einer geliebten Person wichtiger als eine sogenannte „Gegenwart Gottes“.
    Obwohl eben Gott nichts mit einem Weggehen und auf uns Zukommen zu tun hat, erfahren wir durch die Liebe zum Ewigen und zur Wahrheit Befreiung aus unserer Enge und unseren Abhängigkeiten, und damit Liebe, Frieden, Glück etc.
    https://manfredreichelt.wordpress.com/2019/05/14/das-himmelreich-ist-in-dir/

    1. Danke für diese bedenkenswerten Hinweise. In der Tat können personal-theistische Gottesvorstellung zu problematischen Annahmen über Gott und das Gott-Welt Verhältnis führen. Dazu gehört sicherlich auch die Überzeugung, dass Gott sich mit uns so in Beziehung setzt, wie wir es mit anderen Personen tun. Derartige theologische Vereinnahmungen Gottes sind immer die Gefahr, menschlicher Rede von Gott. Ist nicht gerade an dieser Stelle die Idee von der Entzogenheit und Verborgenheit Gottes ein Grundelement aller menschlichen Bemühungen um Gotteserkenntnis und Gottesrede?
      Wo ich aber gegenhalten möchte: Die Zurückweisung anthropomorpher Rede von Gott wäre genauso ein Witz wie ein unreflektiertes anthropomorphes Gottesbild. Die Aussage „Gott ist KEINE Person. ‚Er‘ ist das lebendige Sein“ ist doch wohl genauso anthropomorph wie alle andere Aussagen, die wir über Gott machen. Und die zu befürchtende „Seinslosigkeit“ bildet den verständlichen, menschlichen Ausgangspunkt für die Negation der Entzogenheit Gottes. Ist das nicht unsere gemeinsame Basis? Dass niemand von uns die Angemessenheit eines Gottesverständnisses kritisch prüfen kann durch einen Vergleich mit der Wirklichkeit Gottes an sich? Was wir vergleichen, sind Gottesveständnisse, und die sind immer anthropomorph. Sollte dem so sein, dann fände ich es mit Blick auf Spiritualität mehr als vielversprechend, wenn wir nach der pragmatischen Bewährbarkeit personaler, theistischer, post-theistischer und vieler anderer Gottesvorstellungen fragen.

  4. Lieber Andreas, vielen Dank für den wunderbaren Artikel. So habe ich Gott in letzter Zeit auch erlebt: Als liebevolle Zuneigung, die aus dem Spiel von Nähe und Distanz lebt. Es tut so gut, solche Worte zu lesen und auch glauben zu dürfen, dass eine Phase der Glaubens – Dekonstruktion keine gottlose Zeit ist.

    1. Liebe Josephine
      wie freut mich das, wenn Worte und Texte wohltuende Kraft entfalten. Ich wette, Dein Erzählen von Glaubens-Dekonstruktion wird anderen auch gut tun.

  5. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…… sagt Jesus.

    Kleine Kinder sind unbekümmert, ständig auf Entdeckungsreise, natürlich, angstfrei, fröhlich, neugierig, unschuldig, Mutter und Vater immer in Sichtweite, deren Hände greifbar nahe.

    Dann geht’s auf die Zeitreise der Erfahrungen.

    Fürsorgliche Eltern lassen schrittweise, angemessen, verantwortungsvoll los, bleiben in Erinnerung, geben frei zu Selbst- und Welterfahrung, Erdung, Ich-Werdung.

    Kelche mundender Weine, Kelche mit zu Essig gewordenem Wein. Lehrjahre, Wüste, Exerzitien. Schatten und Licht.

    Aus der Raupe wird immer ein Schmetterling.

    Ich nenne es die Wiedergeburt erwachender, erwachsender, erwachsener Kinder zur Freiheit der Herrlichkeit in Ernst-Haftigkeit.

    Vielen Dank für den begreifenden und ergreifenden Beitrag.

  6. Starke Gedanken. Provozierend und herausfordern, aber auch heilsam. Auf jeden Fall anregend. Danke!! Hier meine Gedanken dazu:

    – In wie weit kann ich als Mensch Gott tatsächlich ein Gegenüber sein?? Überschätzen wir da nicht unsere Geschöpflichkeit?

    – Liebevoll abwesend, mündig durch Gottesentzug – sind nicht gerade DAS Floskeln einer übersteigerten Spiritualität, die selbst die Verborgenheit Gottes zu einem emotional anstrebenswerten Ziel machen sollen?!?

    – Gottesentzug als Notwendigkeit um geliebtes Gegenüber Gottes zu sein – was für eine Auswirkung hätte das auf unser Verständnis der neuen Erde/des Himmels, in der Gott immer unter uns wohnen soll. Soll es etwa himmlisch sein, wenn Gott sich uns entzieht? Ist nicht gerade die unangreifbare Nähe zu Gott Teil unserer Vorstellung vom Himmel?

    Trotz der provokativen Rückfragen bin ich sehr beschenkt und bereichert durch Deine Überlegungen. Was für ein hoffnungsvoller Perspektivenwechsel und Reichtum Du der Verborgenheit Gottes abgerungen hast! Möge er vielen Menschen Trost spenden.

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