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Neue Wege des Erkennens

Rupert Sheldrake ist als Biologe ein Verfechter des wissenschaftlichen Ansatzes. Er ist aber kein Fan eines ausschliesslich materialistischen Weltbildes. Er mag es nicht, wenn die Wissenschaftler*innen so tun, als hätten sie die Welt bereits erklärt oder stünden kurz davor. In seinem Buch «Der Wissenschaftswahn» dekonstruiert er das konformistische und dogmatische Denken der Naturwissenschaft, das an Bildungsinstitutionen in den allermeisten Fällen gelehrt und vorgelebt wird. Dafür wird er von der wissenschaftlichen Gemeinde als «pseudo-wissenschaftlich» taxiert.

Wissenschaft sollte lernfähig bleiben

Der Autor gibt zu, dass der grosse Erfolg der Naturwissenschaften dem Umstand zu verdanken ist, praktisch jeden Lebensbereich (positiv) zu beeinflussen. Seine These lautet aber: In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts haben Wissenschaft und Technik den Gipfel ihrer Macht erreicht und kommen gleichzeitig an ihren Grenzen, weil sie sich an jahrhundertealten Annahmen festhalten. Wissenschaft würde mehr Spass machen und kreativer werden, wenn sie einen Teil ihrer Dogmen aufgeben würde.

Die naturwissenschaftlichen Glaubenssätze, die die meisten Wissenschaftler*innen annehmen und meistens ungeprüft lassen, lauten:

  1. Alles ist mechanischer Natur.
  2. Materie besitzt kein Bewusstsein.
  3. Die Gesamtheit von Materie und Energie ist immer gleich.
  4. Die Naturgesetze stehen ein für alle Mal fest.
  5. Die Natur kennt keine Absichten.
  6. Biologische Vererbung ist ausschliesslich materieller Natur.
  7. Der Geist, unser Denken und Fühlen, sitzt im Kopf und ist nichts als Gehirnaktivität.
  8. Erinnerungen sind materielle Spuren im Kopf und werden beim Tod gelöscht.
  9. Telepathie ist reine Einbildung.
  10. Mechanistische Medizin ist die einzig wirksame Medizin.

Materialismus als implizite Annahme

Diese Glaubenssätze bilden zusammen die Ideologie des Materialismus. Vielen Wissenschaftlern sei nicht bewusst, dass der Materialismus eine blosse Annahme darstellt, die in den letzten Jahrzehnten widerlegt wurde. Die Quantenmechanik kann beispielsweise nur formuliert werden, wenn man auch das Bewusstsein des Beobachters berücksichtigt. Die bekannten Formen der Materie und Energie machen zudem nur etwa vier Prozent des Universums aus, der Rest besteht aus dunkler Materie und dunkler Energie.

In seinem Buch geht Rupert Sheldrake Schritt für Schritt vor und relativiert die obengenannten 10 naturwissenschaftlichen Glaubenssätze. Richtig stark sind seine Argumente, wenn er Prozesse in der Biologie beschreibt. Nach Sheldrakes Ansicht ist es einer Form, die bereits an einem Ort existiert, ein Leichtes, auch an irgendeinem anderen Ort zu entstehen. Das nannte Sheldrake 1973 ein morphisches Feld, später auch das Gedächtnis der Natur. Kristalle bilden sich auf eine bestimmte Weise, weil sie es vorher bereits getan haben. Der Natur könnte ein Gedächtnis innewohnen und alle Organismen könnten am kollektiven Gedächtnis ihrer Art teilhaben. Selbstorganisierende Systeme haben zudem End- oder Zielpunkte (sogenannten Attraktoren), auf die sie sich zubewegen. Organismen zeigen somit eine zielgerichtete Verhaltensweise, und wenn sie in ihrer Entwicklung gestört werden, finden sie neue Wege zum Ziel. Auch chemische Prozesse (wie z.B. die Proteinfaltung) steuern auf bestimmte Ziele zu. Die Natur kennt wohl Absichten.

Hat der Materialismus ausgedient?

Die Suche nach Gedächtnisspuren im Gehirn scheiterte bislang. Dies spricht eher für das Konzept, das Gedächtnis als «Resonanzphänomen» zu deuten. Resonanz würde erklären, wie Erinnerungen erhebliche Gehirnschäden überstehen können. Nicht alles könne physikalisch erklärt werden. Die moderne Medizin hat zwar eine erstaunliche Erfolgsgeschichte auszuweisen. Dank Impfkampagnen konnte die Säuglingssterblichkeit stark eingedämmt werden, grosse Fortschritte gab’s auch auf dem Gebiet der Chirurgie. Der physikalisch-chemische Ansatz der Medizin berücksichtige nach Sheldrakes Meinung aber mentale Faktoren nur ungenügend. In Placebo-Studien konnten Hoffnung und Erwartung die Genesung signifikant beeinflussen. Die Gesundheit wird von psychologischen, sozialen und spirituellen Faktoren wie Gebet und Meditation beeinflusst.

Der Biologe Rupert Sheldrake plädiert somit für ein ganzheitliches Weltbild, das Wissenschaft und Spiritualität miteinander verbindet.

Ich möchte diese kurze Rezension mit dem letzten Satz des Autors aus dem Buch «Der Wissenschaftswahn» beenden:

«Mit der Einsicht, dass die Wissenschaften eben nicht alle wesentlichen Antworten bereithalten, wird Bescheidenheit einkehren und die alte Arroganz ablösen, wird Aufgeschlossenheit an die Stelle des Dogmatismus treten. Viel bleibt zu entdecken und wiederzuentdecken, auch Weisheit.»

 

Photo by Vadim Gromov on Unsplash

4 Kommentare zu „Neue Wege des Erkennens“

  1. Der Autor bezweckt sich selbst. Wir alle bezwecken uns selbst. Es ist Selbstzweck.

    Und dazu brauchen wir Gemeinschaft. Das Neugeborene braucht die Amme.

    Warum das alles?

    Weil wir eine Amme hatten. Und wir alle brauchen Stoff. Überall ist Stoff. Für und in allem, was existiert.

    Es bleiben jeweils drei anachronistische , gegenwärtige, und postmoderne Fragen: Woher, wohin, warum?

    Da ist etwas in Sicht.
    Morgen, Übermorgen, in drei Millionen Jahren?

    Und die Nahrung des Geistes …. ist sein Gehirn.

    Ist da nochwas?

  2. Ja. Da ist noch etwas.
    Es ist nicht meine Frage, was/wer den stofflichen Urknall ausgelöst hat. Es ist die Frage nach dem Urknall des Geistes. Wir nennen es Gott. Ein geistiger Urknall? – Weil ich es nicht weiß, will und kann ich glauben.
    Ich glaube.

    Der Artikel ist natürlich schon einen Schritt weiter.

    Ich glaube, jeder Mensch, gebildet, ungebildet, intelligent, weniger intelligent, ist ein permanent beobachtendes und lernendes System, aktiv und passiv, bewusst und unbewusst, individuell und universell.
    „Aufgaben“ sind immer die gleichen.
    Was der Mensch, auch als Kollektiv, immer neu erschafft, es erzeugt Rückkopplungen der Rückkopplungen, unzählige lokale, globale, vielleicht kosmische Rückkopplungen.

    Jeder Mensch durchläuft eine einzigartige Entwicklung. Jeder Mensch hat eine allereigendste Welt in seinem Kopf. Wir brauchen Ammen. Wir brauchen Gemeinschaft.

    Gott vertritt alle Wissenschaften, alle Fakultäten. Er ist alles in allem. Er denkt das Netz. Er ist das Netz. Ihm nacheifern.

    Schmerz teilen und lindern,
    Freude schaffen und teilen.

    Mein Gott.

    Rupert Sheldrake ist der Wissenschaftler.
    Ich habe die Anwendung studiert.

    Liebe ist weiblich.
    😉

    1. Vielen Dank für Ihre anregenden Gedanken, Herr Jacob. R. Sheldrake wird oft kritisiert, weil er seine Theorie (noch) nicht beweisen konnte. Wir vergessen allzu oft, dass die Wissenschaft auch nur eine Perspektive einnimmt, einordnet, kategorisiert, vereinfacht und zumeist dualistisch vorgeht. Ich gehe davon aus, dass Dualismus auf der „anderen Seite“ versagt. In einem anderen Artikel (https://www.reflab.ch/gott-und-die-quantenphysik/) gehe ich stärker auf die Grenzen der Messbarkeit ein. Freundlich grüsst, Luca Zacchei

  3. Die der Wissenschaft unterstellten Dogmen sind entweder aus der Luft gegriffen oder ergeben sich aus Occams Razor. Shedrake wird nicht wegen seiner unorthodoxen Thesen kritisiert, sondern weil seine Experimente nicht reproduzierbar und seine Theorien nicht falsifizierbar sind.

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