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Die kleine Passion

Passion: Das kommt aus dem Lateinischen passio für Leiden, Mitleid oder auch Krankheit.

In der Kunst wird Passion oftmals als Weg dargestellt. Ich denke etwa an Albrecht Dürers um 1511 veröffentlichtes Werk «Die kleine Passion», welches sechsunddreissig Holzschnitte und ein Titelbild enthält.

«Die kleine Passion» zeigt Wegstationen des Leidens Christi – und der Menschheit. Zum Bildzyklus gehören die Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Garten Eden, der Weg der Menschen hinaus aus dem Leben in Wonne hinein in die leidvolle Welt.

Albrecht Dürer, «The Expulsion from Paradise», 1510, woodcut, Rosenwald Collection

Auch den Abschied Jesu, den Weggang von seiner Mutter, stellt Dürer dar, daran anschliessend Jesu Einzug in Jerusalem. Auf diesem Weg trägt ihn ein Eselsfüllen. Einige Szenen später ist Jesus der Tragende. Er trägt sein Kreuz, schleppt sich mit letzter Kraft an seine Sterbestätte, wo sein irdischer Lebensweg fürs Erste ans Ende kommt.

Doch «Die kleine Passion» geht weiter, führt den Weg fort, unter anderem zeigt sie, wie Jesus die Vorhölle begeht, als Auferstandener den Weg zurückfindet zu seiner Mutter und in den Himmel hinauffährt.

Zu gehende Wege

«Die Kleine Passion» zeichnet einen Weg vom Leben ins Leiden – und vom Leiden ins Leben.

Die kleine Passion: eine grosse Passion. Passion: Das kann Weg bedeuten, langer, langwieriger, unabsehbarer Weg. Eine langsam vor sich hinschleichende Krankheit etwa.

So langsam, als hätte sie ewig Zeit.

Gedachte, gegangene und geträumte Wege, die sich in der Autorität eines Weges auflösen. Eine Krankheit, die zum Lebensweg wird, wenn Leiden und Leben gar nicht mehr zu trennen sind.

Schmerz, der sich zur Identität auswächst.

Identität der Verkümmerung. Krankheitsgeschichte als Lebensgeschichte. Schmale, schwache Lebenslinie ohne Ende. Passion in der Horizontalen.

Kein Weg

Passion: Das kann auch kein Weg sein. Keinen Weg mehr gehen zu können. Und keinen Weg mehr sehen – erst recht nicht einen Ausweg. Passion, das ist auch: Keinen Weg mehr haben – nicht einmal einen Leidensweg.

Brutalität des Bruchs, Gewalt der Absehbarkeit. Leid an Ort und Stelle.

Nicht mehr vom Fleck kommen.

In sich zusammensacken, zusammenbrechen. Erstarrung. Entgleisung. Entfremdung. Freier Fall: durch alle Maschen der Gesellschaft, durch alle sozialen Netzwerke.

Passion in der Vertikalen, in die Vertikale. Die Passion Christi: Sie ist vorüber.

Ist sie vorüber?

Wunde und Wunder

Die Fragen, die Jesu irdischer Lebens- und Leidensweg bei der Menschheit aufgeworfen hat, sind geblieben. Und geblieben sind auch Jesu Wundmale. Geblieben sind die fragenden Blicke verwundeter Menschen auf die unbegreifliche Wunde Gottes in Christus, dem Gekreuzigten.

Geblieben sind die Wunde und das Wunder: das immer wieder stattfindende, langsam, langwierig anwachsende Wunder aus Augenblicken überwundenen Leidens.

Foto von Olia Bondarenko auf Unsplash

Bildergalerie: Albrecht Dürer, «Kleine Passion», 1515, British Museum, Wikimedia Commons

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