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 Lesedauer: 5 Minuten

Die Sehnsucht nach einem «normalen» Leben

In den letzten Tagen war sie plötzlich wieder da, diese verlockende Geschichte in meinem Kopf von einem «normalen» Leben. Gerne vergleicht sie mit den Leben von Freunden und empfindet den Kontrast als Problem.

Um mich herum wird geheiratet, Kinder kommen zur Welt, Karriereleitern werden erklommen. Und ich sitz hier in meinem Wohnzimmer und blick in die verschneiten, von der Morgensonne beschienenen Hügel des Malcantone (hier habe ich über diesen Umzug geschrieben). Folge einem etwas anderen Rhythmus. Der so deutlich der richtige ist, für dieses Wesen Leela und dieses Leben.

Was, wenn du unendlich viel verpasst?

Dennoch, das, was Eckhart Tolle Schmerzkörper nennt, wirft gerne ab und an Zweifel in den Topf: Was, wenn du aufs falsche Pferd setzt? Was, wenn du am Ende alles verpasst hast? Vielleicht ist dieser freie Fall* keine gute Idee und du solltest doch wieder «normaler» werden?

Basically: Was, wenn du das alles falsch machst und verlierst?

Natürlich weiss ich, dass diese Stimmen lügen. Natürlich weiss ich, dass dieses Leben genau so genau richtig ist für mich.

Doch dieses Wissen genügt nicht im Umgang mit den Stimmen des Schmerzkörpers. Und sie einfach zu ignorieren genauso wenig. Was dann?

Hier sind vier Dinge, die sich pragmatisch bewähren:

1. Den Mut anerkennen

Bisher habe ich meinen eigenen Mut wenig bis gar nicht erkannt. Wenn jemand sagte: «Das ist so mutig von dir», habe ich es eher heruntergespielt. Doch ich merke, es ist viel hilfreicher, anzuerkennen: Jawoll, es ist ein mutiger Schritt, beispielsweise eine Anstellung abzulehnen oder an einen ganz anderen Ort zu ziehen.

Es ist mutig von einer Klientin, ihre Hungersignale nicht zu ignorieren, egal ob sie gerade in einer wichtigen Sitzung ist oder zuhause. Dass ein Klient sich aufs unmittelbare Erleben im Körper einlässt, ist mutig. Jawoll – da können wir uns gut selbst einen Pokal verleihen!

Bei jedem noch so kleinen, mutigen Schritt, der uns aus den eingefahrenen und einengenden Mustern rausführt. Sei das, jemandem «Nein» zu sagen, oder mehr Geld für Käse auszugeben, als unserem Kopf lieb ist. Es sind, tatsächlich, die kleinen Dinge that matter.

2. Den Zweifel willkommen heissen

Oftmals haben wir klare Präferenzen, wie wir uns fühlen möchten, manchmal sind es sogar zimli grosse Erwartungen. Da haben Zweifel oder davon abweichende Empfindungen keinen Platz, meint der Kopf, meint der Schmerzkörper.

Das ist einerseits absoluter Humbug und andererseits von Anfang an zum Scheitern verurteilt:

Dinge via Kopf wegzudrücken funktioniert nie.

Sie sind vielleicht für eine Weile übertüncht, doch brodeln weiter im Hintergrund. Löst rein gar nichts.

Die Erfahrung zeigt, es ist letztlich viel befreiender und transformativer, diese Zweifel zu sehen wie ein zweijähriges Kind, das einen Tobsuchtsanfall hat. Es ist laut, dramatisch, verzweifelt, nicht zu besänftigen.

Mit etwas Übung* ist es allerdings möglich, den Tobsuchtsanfall nicht nur in aller Ruhe wahrzunehmen, sondern ihn sogar willkommen zu heissen. À la «ich sehe dich und höre dich und wann immer du magst, setz dich auf meinen Schoss, ich bin da.»

3. Mitgefühl / Liebe erlauben

Die eigenen Schattenseiten und tobsüchtigen Kleinkinder mögen wir meistens nicht auf Anhieb. Sie «stören» und funken in jeden Bereich des Lebens rein.

Doch wie wäre es zur Abwechslung genau jene Facetten, die wir so gar nicht mögen, genauso liebevoll zu sehen wie zum Beispiel deine Katze / deinen Hund / dein Kind / deinen Partner / einen geliebten Menschen? Anstatt sie ständig zu übergehen und ignorieren, sie nicht nur willkommen zu heissen, sondern sogar mit Mitgefühl zu überschütten?

Probiere es aus, nur für fünf Minuten und schau mal, wie sich das anfühlt. Auch das ist etwas eine Übungssache, aber sowas von möglich. Für alle. Versprochen.

4. Übertreibe die Praxis der Selbstliebe

Gerade in jenen Tagen, an denen die Tobsuchtsanfälle nicht aufzuhören scheinen, kann eine solide Praxis der Selbstsorge und Selbstliebe ein erdender Anker sein.

Wenn innerlich stürmt und tobt, muss ich mich nicht noch unter Druck setzen mit Terminen und einer dichten «to do»-Liste.

Was, wenn ich solche Tage genauso angehe, als hätte ich die Grippe? Vielleicht sogar im Bett bleibe oder sicherlich etwas Zeit in der Badewanne verbringe? Diese Idee von «funktionieren», die macht uns so oder so fertig – an jenen Tagen umso mehr.

Stell dir vor, du hast hiermit die Erlaubnis, mit dir selbst so umzugehen, wie du mit deiner besten Freundin umgehst. Manchmal hilft es, wenn uns jemand anders diese Erlaubnis gibt oder uns daran erinnert. Hier ist sie. Wie sieht so ein Tag aus?

Der Mut, präsent zu bleiben

Inzwischen ist der Schnee geschmolzen und diese Sehnsuchtswolke vorübergezogen. Alles, was es brauchte, war lediglich die Bereitschaft, präsent zu bleiben. Nicht auszuweichen.

Dann sind es Sonnenaufgänge oder auch Begegnungen im Dorf, die zeigen: Du gehörst hierher, genau hier, genau jetzt, genau so.

 

*Meine Freunde von Simple Being machen es so unendlich einfach gerade auch für Anfänger*innen, pures Sein zu erfahren und diesen schweren Mantel vom Tun und Identitäten abzulegen. Für einen Moment oder für immer 😉

Hier gibt’s eine Folge des RefLab-Podcasts «Ausgeglaubt» über Eckhart Tolles Buch «Jetzt»

Und über die Entscheidung, keine Kinder zu kriegen, haben Janna Horstmann und Johanna Di Blasi kürzlich geschrieben – auch in ihren Artikeln geht’s um den Mut, kein 08/15-Leben zu führen.

Foto von FLY:D auf Unsplash

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