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 Lesedauer: 4 Minuten

Nicht falsch und auch nicht ganz wahr

Die Statuen von General Sutter oder Christoph Kolumbus wurden zerstört, über zwanzig Konföderierten-Denkmäler wurden in den USA entfernt. Die Empörung ist verständlich: Die Demonstrant*innen verbinden diese Figuren mit der Wurzel rassistisch-kolonialistischer Übel aller Art. Es ist also richtig, die Statuen und Flaggen, die für diesen Geist stehen zu eliminieren. Aber ist es auch wahr?

In der Schweiz streiten wir über den Begriff „Mohrenkopf“. Das finden manche absurd, weil Mohren ursprünglich doch eigentlich Menschen aus Mauretanien bezeichnet haben. So gesehen seien Mohrenköpfe etwa das selbe wie Wiener Würstchen. Das mag wahr sein. Aber ist es auch richtig?

Schnell empört

Oder gehören die Statuen zur – mitunter sehr problematischen – Geschichte der USA und müssen gerade deshalb gezeigt werden? Oder hat sich seit dem Mittelalter der Begriff Mohr für Menschen mit dunkler Hautfarbe durchgesetzt, bevor er im letzten Jahrhundert in Vergessenheit geriet und stellt damit eine besonders kolonialistische Bezeichnung für Schwarze dar?

Wir empören uns rasch. Auf beide Seiten: Dort über die „Linke Sprach- und Gesinnungspolizei“ hier über die „gedankenlosen Rassisten“. Vor einem Jahr über das „Patriarchat“ oder die „Kampffeministinnen“. Anfang Jahr haben wir uns über „Extinction Rebellion“ und „Klimasünder*innen“ aufgeregt.  Dann kam Corona. Und wir waren für gefühlte zwei Minuten vereint. Schon bald kam Attila Hildmann. Und Drosten gegen Bild. Oder Salathé gegen Koch. Die Empörungsmaschinerie dreht munter weiter. Wozu eigentlich?

Wer profitiert?

Wenn permanente Empörung immer neu sich aufstellender Lager zur Tagesordnung wird, muss man sich fragen, weshalb das so ist. Geschieht dies, weil so viele seltsame Dinge passieren, oder geschieht dies, weil unsere Gesellschaft quasi durch Empörung angetrieben wird? Wer stellt diese Lager auf?

Wie kommt es, dass unsere Aufmerksamkeit auf den Extrempositionen, den Streitereien zwischen prominenten – oder durch den Streit prominent werdenden  – Köpfen liegt?

Weshalb hat uns Greta bis Mitte Februar umgetrieben, unsere Urlaubspläne beeinflusst und ist dann ganz einfach vergessen worden? Gibt es keine Klimaerwärmung mehr? Weisst du noch #metoo? Vor zwei Wochen wusste schon niemand mehr, was Grenzverletzungen sind. Wie kommt das?

Die Medien

Die einfache Antwort wäre: Das machen die Medien!

Nun, das wäre etwa so sinnvoll, wie zu behaupten, dass unser CO2-Ausstoss von den Verbrennungsmotoren kommt. Stimmt zwar. Aber wer zündet den Motor? Oder anders: Warum wollen wir diese Medien? Motoren brennen, weil wir mobil sein wollen. Medien polarisieren, weil…?

Meine These: Medien, die länger als 3 Jahre überleben, tun ziemlich genau das, was wir als Konsument*innen von ihnen wollen. Sie folgen keiner boshaften eigenen Agenda, sondern versuchen betriebswirtschaftliche Ziele zu erreichen. Wir haben also die Medien, die wir verdienen, weil wir sie wollen.

Warum wollen wir das?

Man könnte jetzt leicht kulturpessimistisch werden: Wer sind wir bloss, dass wir diese Art von medialer Darstellung wollen…? Das geht immer. Am besten unter Gleichgesinnten.

Man kann aber auch fragen: Welches Problem löst diese Art der gesellschaftlichen Repräsentation von Problemen für uns?

Medien schaffen damit Ordnung in einem unübersichtlichen Chaos. „Greta gegen Trump“ ist einfacher als „Klimaziele bei Erhaltung wirtschaftlichen Wohlstandes in westeuropäischen Gesellschaften für die kommenden Generationen“. „General Sutter ein Kindersklavenhändler“ ist einfacher als „Unsere Gegenwart im Licht unserer kolonialistisch-rassistischen Vergangenheit“. „Mohrenköpfe: ja oder nein?“ ist einfacher als „Mein durch Sprache verinnerlichter Rassismus“.

Komplexe Probleme werden durch diese Form der medialen Aufbereitung personalisiert und moralisiert: Sexismus ist Weinstein. Weinstein ist böse. Und das ist sicher nicht ganz wahr.

Was dabei unter die Räder kommt, ist unsere Fähigkeit mit weniger Gutem und nicht ganz Richtigem, mit Uneindeutigem und Missverständlichem umzugehen.

Dann stehen aus der Perspektive der einen die Statuen gegen die hyperempfindlichen Political Correctness-Gefühle und für die anderen die menschliche Empathie-Fähigkeit gegen die „white supremacy“ der Ewiggestrigen. Aber eigentlich verkörpern sie etwas Ambivalentes: Sie gehören als Vorfahren und Gründer zu diesen Orten. Sie sind ein Stück Identität. Aber diese Identität können wir nicht ungebrochen annehmen. Weil in unser „Wir“ solche gehören, deren Vorfahren unter diesen Gründern gelitten haben und denen wir bis heute nicht ihren Platz geben.

Anerkennung

Statuen und Flaggen sind – meistens – ambivalente Symbole. Sie zeigen uns an, wer wir sind. Und wir sind nicht die, die wir füreinander sein sollten. Dieses „Wir“ schuldet anderen von uns mehr Anerkennung, als wir bisher gegeben haben. Als unsere Geschichte hält es eine Schuld in uns wach. Aber wir können sie weder loswerden, indem wir sie leugnen, noch dadurch, dass wir uns verleugnen. Kolumbus und Sutter, aber auch Trump oder Greta fordern uns auf je eigene Weise heraus ein neues „Wir“ zu werden. Zwischen den Polen und mit diesen. Den anderen bleibt nur der Kampf mit Symbolen. Besser wäre ein Ringen um Symbole. Denn diese anderen sollten wir nicht sein wollen.

Photo by Rosemary Ketchum from Pexels

 

 

7 Kommentare zu „Nicht falsch und auch nicht ganz wahr“

          1. Lieber Herr Jütte,
            Besten Dank für das Teilen Ihrer Gedanken. Ich finde den Artikel sehr spannend, jedoch verstehe ich nicht warum er in diesem Format erschienen ist. Könnte genau so gut in der Kommentarspalte einer Tageszeitung stehen. Was hat dieses Thema mit den Kernthemen des reflab, Glaube, Religion und Spiritualität zu tun? Spricht dieser Bezug die Leserschaft nicht an?
            Schreiben Sie mit Ihrer These im Hinterkopf?: „ Medien, die länger als 3 Jahre überleben, tun ziemlich genau das, was wir als Konsument*innen von ihnen wollen. “

            Freundliche Grüsse
            Lukas Streit

          2. Danke für die Nachfrage! Glaube, Religion und Spiritualität sind halt nur ein Teil unseres Statements… In voller Länge heisst es: „Das RefLab ist ein Projekt der Reformierten Kirche Zürich. Wir gehen davon aus, dass die Welt positiv gestaltet werden kann, dass Glaube, Religion und Spiritualität heute wichtiger denn je sind.“ Die Welt positiv zu gestalten, setzt innere Ressourcen voraus, z.B. Glaube oder ein Menschenbild, das einen motiviert. Daraus wollen wir vom RefLab für den je eigenen Glauben lernen.
            Darüber hinaus ist es uns aber wichtig, Akzente zu setzen und selbst positiv mit zu gestalten. Das war es, was ich im Hinterkopf hatte. Und das ist ein Kernanliegen des RefLabs. Unsere Kernthemen finden Sie leicht bei den Blogbeiträgen:
            Aktualität
            Ethik & Gesellschaft
            Kirche
            Kunst & Kultur
            Persönlich
            Politik
            Religion & Glauben
            Satire
            Spiritualität
            Wissenschaft
            Meinen letzten Beitrag habe ich „Aktualität“ und „Kultur“ zugeordnet.
            Mit freundlichem Gruss!
            Stephan Jütte

  1. Im Mittealpunkt der Empörungs-Wellen stehen immer, ausnahmslos >> *Forderungen an andere.* <<

    Allein schon dieser Umstand sollte misstrauisch machen.

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