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 Lesedauer: 3 Minuten

Eine Süssspeise und viele verletzte Gefühle

Wenn die Migros die zurzeit im Fokus stehende Süssspeise unter dem bisherigen Namen nicht mehr anbieten will, ist das nur recht und billig, weil der besagte Name eindeutig rassistisch ist. Hierbei auf Überlieferungen verweisen zu wollen (z.B. der hl. Mauritius), die im kollektiven Gedächtnis schon lange tot sind, ist schlechtester und gleichzeitig verlogener Traditionalismus und entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik: der Name einer Süssspeise als Verteidiger der christlich-abendländischen Tradition! Also bitte sehr …

Bittere Süssspeise

Aber, und hier betreten wir nun heikles Gelände, ich würde keine Süssspeise primär aus dem Grund umbenennen, weil sie die Gefühle von bestimmten Menschen verletzt. Verletzte Gefühle sind zwar ernst zu nehmen, aber sie dürfen in der Kommunikation weder das erste noch das letzte Wort haben. Ich meine, man stelle sich vor, wir würden ständig alle unsere verletzten Gefühle, Empfindlichkeiten und Betroffenheiten in die Waagschale der Beurteilung von Welt und Gesellschaft werfen! Was würde in einer solchen Gesellschaft geschehen, in der der Rekurs auf die Gefühle quasi in ihr forderndes Recht gesetzt wird? Das, was zum Teil jetzt bereits allenthalben geschieht: Dialogimmunisierung (und Social Media bietet hier keine Abhilfe, im Gegenteil). Ja, Gespräche brechen ab, Menschen ziehen sich beleidigt ins Kämmerlein oder ihre selbstreferentielle Blase zurück oder rechtfertigen mit Verweis auf ihre Gefühle ihre Aggressivität und Rechthaberei. (Übrigens: gerade im Bereich des (Inter-)Religiösen ist diese Strategie omnipräsent.)

Zwang des besseren Arguments

Die Dialogimmunisierungsstrategie «Das was du sagst, verletzt meine Gefühle!» ist doppelt gemein und nicht zuletzt feige: Sie entwertet das Gesagte, macht dem/r Anderen ein schlechtes Gewissen und entzieht sich der Nennung von Gründen. Da bevorzuge ich doch die mühsame und gegebenenfalls mich und meine Gefühle in ihrem Anspruch (nicht als Gefühle) delegitimierende Methode des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments (Habermas). Oder anders gesagt:

Mir wäre es lieber, wenn die Menschen sich vermehrt in ihrer Vernunft verletzt sehen und entsprechend argumentieren würden.

Dennoch: verletzte Gefühle sind ernst zu nehmen und gerade dort, wo Minderheiten sich kollektiv diskriminiert fühlen, ist genau hinzuschauen, weil die Verletzungen möglicherweise auf diskriminierende Sachverhalte verweisen, auf blinde Flecken der Mehrheitsgesellschaft. Z.B. ist der Name der zurzeit verhandelten Süssspeise wie gesagt schlicht rassistisch und um dies wieder bewusst zu machen, bedurfte es einer gewissen Empörung durch Betroffene.

Aber die Empörung ist nicht der Grund, weshalb der Name nun geändert werden muss, sondern der im Namen ausgedrückte Rassismus.

Solche Ausdrücke, eine solche Sprache sind aus guten Gründen einfach falsch und sie sind unter unserem eigenen (gesellschaftlichen) Niveau, unabhängig etwaiger emotionaler Befindlichkeiten. Warum also nicht kreativ werden und nach neuen, träfen, originellen, lustigen, frechen und vor allem nicht auf Kosten anderer Menschen gehenden Sprachschöpfungen suchen? Denn Sprache schafft ja bekanntlich Wirklichkeit …

 

Photo by Markus Spiske on Unsplash

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