Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 6 Minuten

Wie werde ich nicht verrückt in diesem fast klösterlichen Coronaleben?

Gestern habe ich den SRF-Dokfilm über die «Coronajugend» meiner Freundin Anne-Sophie Keller geschaut. Nicht mehr aus dem Kopf geht mir seither der Satz der jungen Pflegefachfrau, die sagt «mich beschäftigen vor allem die vielen Suizidversuche». Das war im letzten Dezember, noch vor dem zweiten Lockdown. Hätte ich den Film vor meinem Gespräch übers Immunsystem mit Anna Katharina Ehlert geschaut, ich hätte wahrscheinlich nicht so einfach akzeptiert, dass die aktuelle Lösung wohl doch die beste ist.

Schreckhafte Wesen

Es tut mir sehr weh, zu beobachten, wie sehr Menschen unter der Zwangsverlangsamung und dem oftmals vermehrten Alleinsein leiden. Wie sich vitale Personen zu ängstlichen und schreckhaften Wesen verändern. Wie sogar eine der Berufsoptimistinnen auf Instagram schreibt «Auch ich mag nicht mehr. Kein bock. Macht mich alles fertig.»

Und so kann ich gar nicht anders, als ein bisschen davon zu teilen, was mir in den letzten Jahren geholfen hat. Because, you see, ich war schon vor Corona dazu gezwungen worden, einen anderen Weg zu finden. Einen, der beinah klösterlich funktioniert. Der mit dem Alleinsein sehr zufrieden ist. Der für eine Zeitlang fast gänzlich ohne externe Stimuli auskam, weil es nicht anders ging. Alles andere wäre eine riesengrosse Lüge gewesen.

Because, you see, einer dieser Menschen, die an Suizid gestorben sind, war mein Partner. Die Frage nach dem «warum» hat sich mit dem Eintauchen in die Realität, wie sie wirklich ist, mehr und mehr erübrigt. Geblieben ist eine grosse Sensibilität dem Thema gegenüber – und die Fähigkeit, auch im Angesicht des grössten Leidens nicht zu ertrinken.

Es wäre nicht ganz richtig, meine Situation damals mit der aktuellen gleichzusetzen. Ich behaupte, sowas kann niemand nachvollziehen, die nicht dasselbe erlebt hat.

Dennoch gibt es einige wichtige Punkte, die auch jetzt dabei helfen können, nicht unterzugehen. Und es lohnt sich, das zu lernen, bevor du rock bottom erreichst…

  1. Geh raus: Egal wie lange, zieh dir die Schuhe an und geh raus. Wenn du kannst, in den Wald, einen Park oder sonstwo, wo die Natur überhand hat. Egal ob es regnet oder schneit, wenn du dich im Kreis drehst im Kopf, geh laufen. Die Veränderung der Szenerie kann dabei helfen, den endlos Loop zu durchbrechen. Wenn möglich, rieche die guten Waldgerüche, spüre den Wind auf deinen Wangen, sehe das Grün der Blätter.
  2. Höre nur uplifting Musik: Ich habe damals Schuberts Klaviersonaten ebenfalls in endlos Schlaufe gehört, immer wenn ich alleine war. Es hilft, eine gute solche Playlist zu haben, die du einfach spielen kannst und nicht überlegen musst. Vielleicht kann dir jemand eine zusammenstellen? Oder du erstellst dir deine eigene mit deinen Lieblingssongs – aber keine melancholischen Stücke, kein Moll, nüüt serigs, gäll.
  3. Wähle deinen Infektionszirkel aus: Klar sollen wir unsere Kontakte einschränken, aber niemand hat gesagt, dass wir uns zuhause einsperren müssen. Triff dich mit deinen Freunden, statt mit zehn aufs Mal bloss mit zweien. Finde ich persönlich eh angenehmer, da man einander so viel besser zuhören und sich austauschen kann. Man kann wunderbar miteinander kochen, miteinander brunchen, miteinander Disneyfilme schauen, miteinander in der Stube tanzen. Unsere «Diheis» sind ja nicht geschlossen, im Gegenteil: Wenn wir nicht im Lieblingskafi Kuchen essen können, passiert das halt zuhause. Innerhalb des Infektionszirkels (dieselben paar Personen, die du auch sonst regelmässig sehen würdest) immer mal in einem anderen Haushalt, so dass alle in den Genuss kommen «auszugehen».
  4. Bewege dich: Ja ich weiss, neben Homeoffice und Kinderspass auch noch zuhause Sport zu machen, sucks. Doch vielleicht muss für die Dauer dieser elenden Pandemie das Wohnzimmer nicht ganz so aufgeräumt sein wie sonst – vielleicht kannst du dir in einer Ecke dein Yogamätteli ausrollen, deine Hanteln liegen lassen oder was auch immer du für deine Art von Bewegung brauchst. So dass du die props siehst und sie dich daran erinnern, dass es hin und wieder guttut, sich zu bewegen. Vielleicht kann sich das als Ritual für alle im Haushalt Lebenden etablieren? Es gibt eine Fülle von Angeboten online, vieles ist auch gratis – wenn nicht jetzt mit einer #homepractise anfangen, wann dann? Schon nur alleine zehn Minuten machen einen Riesenunterschied für die Chemie in deinem Körper. (Natürlich kannst du auch Joggen gehen und Vitaparcours und all das machen! Ahja und Holy Embodied soll schiins recht tolle Videos im Wochentakt veröffentlichen ;))
  5. Schaue nur Comedies, Cartoons und Disneyfilme: Was du deiner Seele fütterst, schlägt sich nieder. Auch was ich mir auf Netflix einverleibe beeinflusst meine Stimmung. Krimis, dramatische Tragödien oder gewaltvolle Actionfilme helfen wüki nöd, aus einem Tief herauszukommen. So füttern wir das Tief bloss noch, so wie wenn wir ständig in einer eh schon schmerzhaften Verletzung am Finger oder so noch weiter drinumegrüble würden. Bei mir gibt es bloss noch Kinderfilme oder harmlose Serien (wie zum Beispiel «Community», eine meiner Lieblingsserien oder «Unbreakable Kimmy Schmidt» wo zwar die Ausgangslage furchtbar ist, das Trauma aber auf eine Art und Weise angegangen wird, die irgendwie ermutigend ist).
  6. Hol dir Hilfe: Und wenn der Moment kommt, an dem all die Punkte, all die Selbstsorge nicht mehr greift, nimm Hilfe an. Am besten nicht erst, wenn es gar nicht mehr geht. Denn dann hast du vielleicht keine Kapazität auch noch eine gute Psychologin, einen guten Coach suchen. Zudem ist es gar nicht so einfach, jemanden zu finden, die / der das Leiden nicht noch pathologisiert. Wenn du bereits eine gute Beziehung zu einer Seelsorgerin, einem Seelsorger hast, super – sie können dich nach ihren Möglichkeiten unterstützen. Im deutschsprachigen Raum habe ich persönlich leider nicht so viel gefunden, kann aber neben meiner eigenen körperbasierten Arbeit im Einzelsetting zum Beispiel die Naturheilpraktikerin Hanna Bösch empfehlen oder auch die Energetikerinnen hier. Im englischsprachigen Raum ist bestimmt die Psychologin Meghan Roekle eine grossartige Ansprechperson oder meine Mentorin Kiran Trace. Aber welche Hilfe für wen wann wirklich passt, ist extrem individuell und kann – leider – nicht pauschal beantwortet werden. Eigentlich wäre es sinnvoll, sich im Zustand bester Gesundheit umzuschauen und verschiedene Psycholg*innen oder Coaches oder vo mier uus au Psychiater*innen auszutesten. Und sich den einen Guten, die eine Tolle zu merken für den Ernstfall. Ja, vielleicht sollten wir das alle tun. Bevor wir rock bottom erreichen. Ja, das würde mich glaubs im Moment etwas ruhiger schlafen lassen.

In dem Sinn: Hebed öi Sorg, bhüeti und seid lieb miteinander.

 

Photo by Anthony Tran on Unsplash

2 Kommentare zu „Wie werde ich nicht verrückt in diesem fast klösterlichen Coronaleben?“

  1. Danke liebe Leela !
    Diese Offenheit hilft und gibt Nähe – eine wirklich gute Alternative zum „Sozial Distancing“.
    Darüber reden ist so wichtig. Auch ich habe schon zwei mal, in meinem 61-jährigen Leben, den Schmerz des Todes (durch Suizid) von einem mir nahestehenden Menschen erfahren.
    Deine praktischen Hilfsvorschläge in dieser jetztigen schwierigen Zeit finde ich sehr sinnvoll. Und…. Ja, Liebe zueinander gibt Kraft!
    Gruss Verena

    1. Danke für diesen Kommentar liebe Verena – ja nur so geht es, oder? Verschweigen und „so tun als wär nichts“, das bringt niemandem etwas. Ich wünschte uns als Gesellschaft mehr Mut, uns mit der Verletzlichkeit und Verletzungen des Lebens auseinanderzusetzen.
      Herzlich

      Leela

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