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 Lesedauer: 4 Minuten

Busse tun und beichten – vom Recht, ein anderer zu werden

Wer Gott gross denkt, denkt über sich selbst auch gross

Es ist wahrlich befreiend und heilsam, ein liebevolles „Ja“ zu sich selbst zu finden. Zeitgenössische Spiritualität bietet da wohltuende Praktiken an, damit aus der Begeisterung von aussen eine gesunde Selbstbegeisterung von innen wird. „Was ist der höchstmögliche Gedanke, den ich über mich selber denken kann?“ (Laura Malina Seiler). Zu lange galt, Christen müssten von sich selbst ganz klein und mies denken, um Gott glauben zu können als „das, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann“ (Anselm von Canterbury).

Seit wann bricht es dem Schöpfer einen Zacken aus der Krone, wenn er uns „wenig niedriger macht als Gott“ und uns göttliche krönt (Ps 8,6)?

Die neue Unlust mir sagen zu müssen, wie wundervoll ich bin

Mittlerweile aber weht ein identitärer Geist der Vereindeutigung zur spirituellen Hintertür rein. Er macht mir ein schlechtes Gewissen. Und zwar dann, wenn ich einen Teil von mir – etwas, das ich fühle, begehre oder tue – als mir fremd entdecke oder gar schädlich empfinde.

Ich spüre den Druck, dass mein Ich über dieses Fremde in mir verfügen und es spirituell zum Verstummen bringen sollte. Damit ich wie bisher weitermachen und mich gut und wundervoll finden kann.

Ich habe darauf aber immer weniger Lust. Denn ich ersehne kein stummes, sondern ein resonantes Selbstverhältnis. Eine Art „genuine Antwortbeziehung“ (Hartmut Rosa), in der ich mir von mir selbst was sagen lasse, um mich dazu verhalten zu können. Ich mag mich einfach nicht mit mir selbst abfinden. Und dafür muss ich mich auch mal schlecht finden dürfen!

Mein gottverliehenes Recht, ein anderer zu werden

Diese heilige Unbescheidenheit, anders zu werden, füllt die widerborstigen Wörter „Sünde“ und „Schuld“ mit neuem Geist. Zu verdanken habe ich das einem Freund, und der hat es von Fulbert Steffensky aus dessen Buch „Schöne Aussichten. Einlassungen auf biblische Texte, Stuttgart 2006“, S. 44-45:

„Wer Sünde und Schuld nicht nennen kann, verspielt eine der wundervollsten Fähigkeiten, nämlich ,das Recht, ein anderer zu werden‘ (Dorothee Sölle); das Recht, sich zu bekehren. Das Eingeständnis der Schuld ist der Abschied von der Selbstverholzung. Ohne Erkenntnis der eigenen Sünde setzt man sich selber fort, bis die letzte Freiheit verspielt ist. Man kann keine neuen Wege gehen, man kann nicht mit sich selber brechen, und so ist man Gefangener des eigenen kärglichen Herzens.“

Wer umkehrt und beichtet, folgt dem freisetzenden Sog des Heiligen Geistes

Bereuen und Busse tun, sind spirituelle Praktiken, in denen wir unser Recht beanspruchen, anders zu werden und neuartig zu leben. Ich lasse mich ergreifen von jener Strömung des Geistes Gottes, die mich in meine Zukunft zieht. Der Apostel Paulus hat das mal so gefasst:

„Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider, und wir werden verwandelt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist“ (2Kor 3,18).

Sog statt Druck. Und nicht nur der spirituelle Zwang, sich unbedingt wunderbar finden zu müssen, verpufft. Gut reformatorisch lasse ich die Angst hinter mir, die mich zur Busse treibt. Auch wenn die Kirche immer wieder gute Geschäfte damit gemacht hat: Ich muss nicht zwanghaft und skrupulös nach irgendwelchen Sünden kramen. Der grosse Beichtvater Martin Luther hielt diesen Zugang zu Busse und Beichte für den verheissungsvollsten: „… so könnte man Lust und Liebe dazu machen“ (aus dem Grossen Katechismus).

Wie wär’s mit einer diebischen Freude, in der wir uns das unverschämte Recht nehmen, welches uns der Geist Gottes verleiht? Busse und Beichte als Medien des Geistes, in denen wir es üben, uns heilsam selbst zu unterbrechen und vielleicht auch mal mit uns selbst zu brechen. Bis dass wir gar nicht mehr unterscheiden können, ob der Impuls dazu uns von aussen zugespielt oder in uns selbst freigespielt wurde. Anders zu werden und erstaunlich neu zu leben ist möglich.

 

Photo by Miguel Bruna on Unsplash

1 Kommentar zu „Busse tun und beichten – vom Recht, ein anderer zu werden“

  1. Ein wundervolles Wort: Das Recht, ein anderer zu werden. Nicht bei sich selbst (hängen) zu bleiben. Um Gottes willen anders zu werden. Diese Freude teile ich mit Dir. „Sog statt Druck.“ Danke für diesen und deine vorangehenden Impulse. Auch wenn ich nicht immer alles von Dir verstehe :-), das gefällt mir!

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