Als Erwachsene konnte ich nie etwas anfangen mit der Bibel. Die Geschichten schienen mir so weit weg, ja, leer. Die Bibel war auf jeden Fall nicht der Grund, weshalb ich Theologie studierte!
Als Kind war das ganz anders, ich liebte jene Bilderbücher, die mein Grossmuetti hatte, liebte die Geschichten. Es war, als würde ich Märchen hören. Etwas, was ich sowieso über alles liebte.
Abtauchen in eine andere Welt, in ein anderes Leben.
Ein Weg raus aus dem Hier und Jetzt
Meine Lieblingsbücher sind bis heute Mary Poppins, Alice im Wunderland, alles von Roland Dahl, His Dark Materials oder Narnia, you get the theme.
Lange waren diese Erzählungen vom Fantastischen ein Mittel, um eben meinem weniger fantastischen Alltag zu entkommen.
Dort fand ich es nämlich oftmals nicht so toll, schon als Kind. Bis hin zu ganz ganz Scheisse.
Das hat sich geändert: Dem Hier und Jetzt möchte ich nicht mehr entkommen, sondern immer tiefer reinfallen.
So sind Fantasybücher, oder allgemein Bücher und Filme, für mich zu etwas anderem geworden: ein Fenster oder gar Tor in ein anderes Erleben. Als könnte ich für ein paar Stunden ein anderes Leben ausprobieren, anziehen.
Bibeltexte als direkte Ansprache
Ganz ähnlich geht es mir heute zum Teil mit biblischen Erzählungen. Ich lese die und sehe ganz klar mich selbst gespiegelt in der Erzählung. Etwa vom Auszug aus Ägypten, das fühlt sich glasklar nach einem irgendwo im Unbewussten abgespeicherten früheren Leben an.
Ein früheres Leben, das sich gleichzeitig sehr persönlich anfühlt, aber nicht exklusiv meins war. Im Sinn von: Wir alle waren mal jene Frau, jener Mann, jenes Kind, das Hals über Kopf aus Ägypten flüchten musste.
Oder was für mich fast noch stärker anklingt, ist die Erzählung von Adam und Eva – ich war Eva. Auch in der Jesusgeschichte finde ich so viel, was mich unmittelbar berührt und anspricht. Die momentane Verzweiflung etwa an der gegebenen Lebensaufgabe. Das Gleichzeitige von Leben und Tod.
Daneben gibt es aber noch eine andere Ebene in dieser Textsammlung, die wir Bibel nennen.
Wenn ich zum Teil Jesusworte höre oder lese, fühlt sich das nach direkter Ansprache an.
So, als wären die Worte genau für diesen Moment geschrieben bzw. gesprochen worden. So, als wäre ich Teil gewesen der Geschichte, in jenem Moment vor so langer Zeit. Als bewegte ich mich in den beschriebenen Szenen, als würden sie unmittelbar lebendig in meinem Hier und Jetzt.
Dabei nutze ich keine Methode, wie das zum Beispiel in der «lectio divina» getan wird: Dort wird ein Abschnitt eines biblischen Textes gelesen und jener Vers, der einen besonders anspricht, immer wieder wiederholt und meditiert. Letztlich führt dies zu einer Art Dialog mit Gott, was im Sein mit Gott münden kann.
Doch mein Vorgehen, wenn man dem überhaupt so sagen will, ist viel unmittelbarer und intuitiver.
Keine Zeit – alles ist jetzt
Dabei hat das nichts mit esoterischen Zeitreise- oder Rückführungs-Theorien zu tun. Sondern ist ganz simpel Fakt aus der erlebten All-Einheit.
Wenn alles Eins ist, gibt es keine Zeit.
Es gibt den Moment, der immer schon war und immer sein wird. Alles ist jetzt hier.
Jegliche Grenzen lösen sich auf, es gibt kein gestern oder morgen, kein Du oder Ich, alles ist unmittelbar jetzt hier. Und ich bin alle Menschen: Moses, Jesus, Eva, Maria. Zum Beispiel.
Der Schlüssel, der mir diese direkte Tür zu den Texten aufgeschlossen hatte, war also das unmittelbare Erleben von: Ich bin kein separates «Mansgöggeli», kein separates Ich, sondern die All-Einheit, die sich das Leela-Kostüm angezogen hat.
Klingt komisch? Ja schochli.
Demokratie der Mystik
Ist aber super simpel – und steht jeder und jedem von uns offen. «Wir sind alle Mystiker:innen», schrieb etwa Dorothee Sölle*. Wie auch nicht, lebt doch das Mysterion uns alle.
Oder ganz pragmatisch: Du bist nicht deine Gedanken, sondern da ist etwas, was die Gedanken wahrnehmen kann. Etwas Unangestrengtes. Deine Aufmerksamkeit, man könnte auch Bewusstsein sagen.
Deine Aufmerksamkeit ist nicht getrennt von Allem, was ist. Deine Aufmerksamkeit ist letztlich die All-Einheit selbst.
Mental wirst du das nicht verstehen können, doch im Körper erleben.
Zum Beispiel über verkörperte Meditation, wie hier auf der Aufnahme vom RefLab-Podcast-Festival. Über das wiederholte Eintauchen in eine Stille, die nichts mit der Absenz von Geräuschen zu tun hat, über das wiederholte Eintauchen ins pure Sein.
* «Mystik und Widerstand. «Du stilles Geschrei»», 1997
Mehr übers Eintauchen ins Sein aka Meditation kannst du dir zum Beispiel hier anhören.
1 Gedanke zu „Wenn Bibelworte lebendig werden“
PFINGST-GEIST oder ZEIT-GEIST ?
Die Ruhe sei dem Menschen heilig !
Nur Verrückte haben’s eilig . . . ?
Hier kommen – dazu gegenteilig –
scheinheilig oder sogar heilig (?)
— als gereimte Zweifel —
Galgenstricke für den Teufel.
Der nämlich macht uns allen weis
— und damit oft die Hölle heiß –,
wir müssten ständig uns beeilen,
anstatt in Ruhe zu verweilen.
Eile mit Weile – genau betrachtet –
führt dazu, dass man den m e h r achtet,
der mit seinem Hauptberuf
das SEIN erst dachte und dann auch schuf.
Die ZEIT ist dabei ein Pseudo-Konstrukt,
also noch nicht einmal Neben-Produkt,
weil sie immer sogleich vergeht,
obwohl sie ja zunächst entsteht.
Pfingst-Geist zeigt nun klipp und klar,
was an Wahrheit w i r k l i c h ist und wahr,
dass nämlich nicht “die Zeit” ist wichtig,
sondern was anderes, das aber richtig.
Denn wichtig ist nur die ZWISCHENZEIT
von Zukunft und Vergangenheit,
weil hier macht sich das Leben breit
für Liebe, Freude, Lust und Leid – weltweit.
…und das seit Beginn der Ewigkeit.
27.5.24 FREEWARE, Jürgen Friedrich