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 Lesedauer: 4 Minuten

Betonierte Freundschaft

Neulich bin ich mit Entschiedenheit korrigiert worden. Ich hatte ein vor einigen Jahrzehnten als ökumenisches Zentrum gegründetes und bis heute von Reformierten und Katholiken gemeinsam getragenes Zentrum «ökumenisch» genannt. Nein, nein, hiess es, ökumenisch, das sei vor dreissig Jahren gewesen. Heute sei man dagegen «postkonfessionell», nämlich für alle Konfessionen, Religionen und auch für Menschen ohne Bekenntnis offen.

Vor einem halben Jahrhundert sah es anders aus. Da hatte der Begriff Ökumene einen verheissungsvollen Klang. Nach langen und bitteren Konfessionskämpfen war die Annäherung der Mainline Churches und die «Einheit der Kirchen» ein mit Leidenschaft angestrebtes Ziel. Mit der Taufe als verbindendes Element und verbunden im Gebet um Einheit, begaben sich die christlichen Konfessionen damals auf Kuschelkurs. Es entstanden nicht nur ökumenische Kooperationen, sondern es wurde auch gemeinsames Bauen empfohlen und forciert.

Mit dem ökumenischen Bauen bildete sich ein vollkommen neuer Bautyp heraus.

Reformierte haben Oberlicht

Das älteste ökumenische Kirchenzentrum der Schweiz wurde vor genau 50 Jahren, 1971 in Langendorf, eingeweiht. Die Planungen reichen in die Konzilszeit zurück, als katholischerseits überhaupt erst Weichen für eine Öffnung gestellt wurden. Zufällig war in dem kleinen Strassendorf gerade Bedarf an einer architektonischen Erweiterung. Zunächst hatten die Langendorfer nur an einen gemeinsamen Kirchtum gedacht, bald aber war ihnen das nicht genug. Auf einer offenen Fläche entstand ein eindrucksvolles Zwillingsgebäude mit zwar getrennten Kirchen, aber einer einheitlichen Bausprache – moderne Asymmetrie – und einem gemeinsamen Platz dazwischen, der an einer Wegstrecke liegt.

Bei der Innenausstattung der reformierten und der spiegelbildlich gegenüberliegenden katholischen Kirche wurden liturgische Besonderheiten berücksichtigt, auch die Beleuchtung variiert je nach Konfession (Reformierte haben Oberlicht!), aber die minimalistische Ästhetik ist die gleiche.

Eine Kuriosität stellt ein Durchblick dar, ein Fenster, durch das man zu den konfessionellen Nachbarn lugen kann. Man späht ein bisschen und lässt ansonsten den anderen in Frieden.

Fallschirmarchitektur

Die quadratische Anlage wurde vom Architekten Manuel Pauli bewusst so angelegt, dass sie quer steht zu Profanbauten der Umgebung. So klingt an, dass die Religion eine über die Alltäglichkeit hinausgehende Sphäre besetzt. Mit ähnlichen Bauten aus dieser Zeit verbindet den Langendorfer Komplex eine gewisse Alienhaftigkeit. Es ist ein Beispiel für «parachute architecture», «Fallschirmarchitektur», die aussieht wie zufällig an einem Ort gelandet.

Ökumenische Zentren – etwa ein Dutzend wurden in der Schweiz binnen weniger Jahre gebaut – zeugen vom Aufbruchsgeist der 60er- und 70er-Jahre. Unterschiede liegen in Graden der Annäherung. Der Schweizer Kunsthistoriker Johannes Stückelberger (Universität Bern) stellte in einem digitalen Vortrag anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des ökumenischen Kirchenzentrums in Langendorf Vergleiche mit ähnlichen Anlagen an. Er unterscheidet Typen von respektvollem Nebeneinander über Miteinander bis hin zu Füreinander.

Guckloch zum Nachbarn

Während Langendorf für ein freundliches Nebeneinander steht, gibt es im ökumenischen Kirchen- und Begegnungszentrum Chilematt in Steinhausen ein gemeinsames Foyer und einen gemeinsam genutzten Taufstein. In Steinhausen ist zusätzlich das Dorfzentrum integriert. In Rüttenen existiert eine gemeinsame Trägerschaft. In Ittigen ermöglicht eine verschiebbare Trennwand die Zusammenlegung der Gebetsräume.

Nach rund einem Jahrzehnt geriet das ökumenische Bauen ins Stocken. Das hat mehrere Gründe, aber rückblickend kann man den Eindruck gewinnen, dass oft in liebevoller Detailarbeit minimale Unterschiede in Beton gegossen wurden, während die Architektur nicht selten kühl und unnahbar war.

Ökumene und Ökomonster

Beim «ökumenischen Bauen» wurde bewusst auf günstige Materialien gesetzt. Die Kirchen und Gemeindezentren sollten nicht protzig wirken. Gebäude wurden häufig im Schnellverfahren errichtet. Beton erhielt den Vorzug, weil es seinerzeit irrtümlicherweise als «wartungsfreies» Material galt. Inzwischen sind Bauten aus dieser Zeit häufig Sanierungsfälle.

Bei der Langendorfer Anlage haben sich im Beton Risse aufgetan, die gefugt werden müssen. Zusammengenommen sind es kilometerlange Fugen. Und wie bei vielen anderen Bauten aus dieser Zeit, ist die Isolierung mangelhaft, was die Heizkosten nach oben treibt. 17 000 Liter Heizöl werden pro Jahr verbraucht, für jede der beiden Kirchen der Zwillingsanlage.

Für Kirchengemeinden ist das architektonische Erbe heute oftmals eine kaum zu bewältigende finanzielle Last. Das nachvollziehbare Bestreben geht dahin, architektonische Monumente und kunsthistorisch bedeutsame Sanierungsfälle in öffentliche Trägerschaft zu übergeben.

Matrix für postkonfessionelle Zentren?

Es bleibt fraglich, ob ökumenische Zentren als Matrix für heutige multireligiöse und postkonfessionelle Zentren taugen. Ein postkonfessioneller Bauboom zeichnet sich gegenwärtig nicht ab. Dagegen kommt das im Vergleich zum ökumenischen Bauen sehr viel pragmatischere Modell der Simultannutzung wieder stärker in den Blick, das seit der Reformationszeit existiert. Hier werden bestehende Räume von unterschiedlichen Kirchen und Gruppen abwechselnd genutzt. Diesem Modell dürfte wohl auch vor dem Hintergrund schwindender Mitgliederzahlen von Kirchen die Zukunft gehören.

Foto: Johannes Stückelberger

2 Kommentare zu „Betonierte Freundschaft“

  1. Jürgen Friedrich

    Abgesehen davon, dass ‚ökumene‘ ursprünglich für „bewohnte Erde“ (laut Wikipedia) steht, ist mir die Reduzierung auf kirchenbautechnische Unterschiede erst recht suspekt.
    Hier ein Text-Stück aus Wikipedia:

    Mit dem Wort Ökumenismus wird, zur genaueren Unterscheidung von Ökumene im Allgemeinen, in kirchenamtlichen Dokumenten der römisch-katholischen Kirche die gegenseitige Anstrengung der großen christlichen Konfessionen zur Wiedergewinnung der sichtbaren Einheit der Kirche Jesu Christi bezeichnet. – Zitat Ende

    Ich persönlich finde bei niemanden die aus meiner Sicht viel wichtigeren Gedanken reflektiert, die jenseits sämtlicher religiöser Orientierung zum gelebten Leben von Lebewesen wichtig sind. Bereits vor jeder religiösen Spitzfindigkeit ist eindeutig klar, dass ‚lebendiges Leben‘ in seiner Dynamik ein Ereignis ist zwischen noch nicht existenter Zukunft und schon abgeschlossener Vergangenheit. Also in der Gegenwart. Diese aber ist nichts weiter als ein verbaler Begriff zum Bezeichnen der Trennstelle von Zukunft und Vergangenheit. Wegen der überhaupt nicht vorhandenen zeitlichen Ausdehnung innerhalb dieses Wortes ist das Leben eine rein geistige Erscheinung. Oder nur Einbildung. Oder nur gedacht. Oder konkret-geistig im Sinne vom Jesus-Zitat „ICH bin der Weg, die Wahrheit und das LEBEN“.

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