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 Lesedauer: 6 Minuten

Kirche: Wir halten die Wette und erhöhen den Einsatz

Ja wie beschwingt und grosszügig ist das wohl? Im gar nicht sterilen, kirchlichen Ref-Labor testen Manuel Schmid und Stephan Juette den Satz „Gott braucht keine Kirche“. Das muss sich eine Kirche nun wirklich erst mal leisten! Und wer sich den Podcast bis zum Schluss gönnt, kann erleben, dass die ausgeglaubte Kirche irgendwie neu gestartet wird. Und zwar als Wette. Exakt bei Minute 28 kommt es von Stephan: „Wetten, dass wir Kirche sind! Komm, wir versuchen’s!

Mit dem Beitrag „Kirche – Die Wette gilt“ macht Manuel weiter und präzisiert Kirche als verwegene Wette. Denn sie lebt mit dem Risiko zu scheitern und die Wette zu verlieren. Aber zugleich glaubt sie geheimnisvoll doch an sich selbst, sonst wäre sie eine blinde Zockerin. Ist sie aber nicht, weil sie mit offenen Augen auf eine hoffnungsvolle Vision wettet: Gottes Liebe kann sich – allen Peinlichkeiten und Gebrochenheiten zum Trotz – spürbar und sichtbar ereignen in und durch menschliche Gemeinschaften.

Ich finde das alles derart verheissungsvoll, dass ich die Wette gerne halten und den Einsatz theologisch erhöhen würde. Zugegeben, die Metapher wird dabei ziemlich gedehnt. Trotzdem: Wer wettet eigentlich und mit wem? Auf wen oder was? Der Wetteinsatz wäre …?

Kirche … wettet auf göttlichen Wetteinsatz

Man könnte sagen, die Kirche wettet erst mal mit sich selbst und ihren Kritiker*innen von innen und aussen. Aber dabei kann sie Gott gar nicht aus dem Spiel lassen. „Wetten, dass die Liebe Gottes, die er in Jesus Christus unter Beweis gestellt, auch uns im Heiligen Geist ergriffen hat, und wir uns selbst mit vielen anderen irgendwann als Gemeinschaft der Liebe erkennen werden?“

So formuliert, wettet die Kirche auf jenen unfassbaren Selbsteinsatz Gottes, mit der er die Wette seiner Liebe gewonnen hat.

Kenose nennt die Theologie das. Gott verzichtet um seiner Liebe willen auf alles, was wir von ihm erwarten würden: Identitäre Selbstbehauptung vom eindeutig erkennbaren Gottesstandpunkt aus. Stattdessen partizipiert er an allem, was das Menschsein so würdig und so elend macht. Er stirbt an der tödlichen Lieblosigkeit menschlicher Gemeinschaft, um so die Liebe zur ewigen Gewinnerin zu machen (Philipper 2,5-11). Und damit sieht er aus wie ein leichtfertiger, wenn nicht sogar süchtiger Zocker, der buchstäblich alles, nämlich sich selbst verwettet hat. Der christliche Glaube aber staunt und fragt verdutzt: Wie selbstbewusst kann man sein? Von welcher unergründlichen Erfahrung von Liebe muss dieser Gott herkommen, wenn er sowas aushält?

Hans Urs von Balthasar wagte es und ahnte hinter Gottes leidenschaftlichem Engagement im „Weltabenteuer“ eine ewige Wette der trinitarischen Liebe. Gott ist hier ganz bei sich selbst, weil „er den freien Einsatz vollendet, den er bei der Schöpfung begann;

als hätte er als Schöpfer mit sich selbst gewettet, daß er das scheinbar Unmögliche durchführen kann: in sich stehende geschöpfliche Freiheiten schaffen und sie trotzdem nicht verloren gehen lassen“ (aus dem Aufsatz „Kenose der Kirche?“).

Kirche … Gottes fortgesetzte kenotische Wette

Vielleicht ahnen Sie schon, was jetzt kommt: Was wäre wenn der dreieinige Gott immer noch voll Liebe wettet? Denn sein Selbsteinsatz geht ja weiter. Immer wieder belebt und inspiriert er Menschen.

Er wagt in seinem Heiligen Geist der Liebe und Freiheit eine Gemeinschaft, die so etwas ähnliches werden und sein könnte, wie jene unaussagbare göttliche Communio der Liebe (Johannes 17 oder auch 1. Johannes 4, 11-13).

Ob sich aber in und durch die Kirche Glück und Heil, Segen und Liebe, Glaube und Hoffnung in dieser Welt verbreiten, ist eben gar nicht gesetzt. Anscheinend auch für Gott nicht. Vielleicht ist das ja der tiefe Grund für das Gebet des Sohnes zum Vater: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Wie ist Kirche als Gemeinschaft göttlicher Liebe möglich? Als etwas, „was sich der Christus sterbend vom Vater erbeten hat“, meinte der Schweizer Theologe Adolf Schlatter einmal (aus dem Aufsatz „Die letzte bitte Jesu“). Wie eine Erinnerung des Sohnes an den Vater. Aber nicht ängstlich, sondern hoffnungsvoll. Als wolle er sagen: „Wir halten die Wette und halten daher die Gabe des Geistes nicht zurück, bis man an der Liebe erkennt, dass es Kirche ist.“

Kirche … wird glaubhaft, indem sie sich exzentrisch verwettet

Wenn Gott selbst auf die Kirche setzt, und die Gabe des Heiligen Geistes so etwas wie sein Wetteinsatz ist, dann verbirgt sich hinter der Idee von der wettenden Kirche ein doppelter Clou: Sie ist befreit, sich in ihrer modernen, institutionellen Gestalt aufs Spiel zu setzen.

Sie kann verzichten auf manches, was vielleicht mal zu ihrer Identifikation als Kirche tauglich war, aber heute nur noch als identitäre Selbstbehauptung vom erhabenen Gottesstandpunkt aus missbraucht und auch entlarvt wird. Die kenotische Wette Gottes mitzuwetten wäre dann eine geistgetragene, exzentrische Seinsweise der Kirche, in der sie verletzende Schmerzgrenzen nicht mehr zu ziehen braucht.

Genauso exzentrisch ist aber auch das geistgewirkte Selbstvertrauen der Kirche. Sie wagt sich ja wirklich auf die Äste, wenn sie auf den Erweis des Geistes und der Kraft wettet. Emil Brunner hielt das für eine nötige und heilsame Beunruhigung des Glaubens durch die Frage nach den Früchten des Geistes. Wo „die Früchte des Glaubens aus einer Erweisung des Glaubens zu einem Gegenstand des Glaubens“ werden, da beraubt sich die Kirche intellektualistisch jeder göttlichen oder ausserkirchlichen Ekstatik, durch die sie reformierbar bleibt (aus Gerhard Ebelings Aufsatz „Die Beunruhigung der Theologie durch die Frage nach den Früchten des Geistes“). Es gibt für viele Menschen innerhalb und ausserhalb der Kirche eine kaum noch erträgliche Schmerzgrenze der Unanschaulichkeit des Glaubens. Auch diese Grenze hat eine wettende Kirche nicht mehr nötig.

Und doch scheint mir, dass Kirche dort am glaubhaftesten werden kann, wo sie ihre Wette, Kirche zu sein, krachend verliert.

Wo sie es bekennt und auch lebt: Wir sind weit hinter der Liebe zurückgeblieben, erschrecken über und zweifeln an uns selbst und können jetzt nur noch von der Grosszügigkeit und Vergebung Gottes und der Menschen leben. Aber wäre das nicht der schönste Wetteinsatz, den die Kirche einzulösen hätte? Zu sagen: Für den Fall, dass wir uns aus Liebe verwetten, werden wir nicht aufhören zu lieben, sondern alle Wettpartner*innen um Vergebung bitten und sagen: Es tut uns von Herzen leid.

Und was soll ich mir jetzt wünschen?

So weiss ich gar nicht, was mir mehr gefallen würde: Soll die Kirche nun ihre Wette gewinnen oder verlieren? Vielleicht ist das gar nicht so wichtig und eine Frage für das Ende der Zeiten.

Eine neue, kirchliche Lust zu wetten, davon träume ich. Kirche als wuselige Wetthalle oder gediegenes Casino, in denen sich auch diejenigen treffen, die gegen die Kirche wetten. Auf deren Wetteinsätze wäre ich jedenfalls unheimlich gespannt.

1 Kommentar zu „Kirche: Wir halten die Wette und erhöhen den Einsatz“

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