Dein digitales Lagerfeuer
Dein digitales Lagerfeuer

Kathy Ehrensperger: Wie jüdisch ist der christliche Gott?

Über diese Entwicklung reden Andi und Thorsten mit Prof. Kathy Ehrensperger. Sie ist seit vielen Jahren mit der jüdisch-christlichen Geschichte vertraut. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Untersuchung anti-jüdischer Stereotypen in neutestamentlicher Exegese und Theologie – bis heute.

Lange Zeit über galt der eigene Glaube als universal, das Judentum als partikularistisch, Christentum als Gnadenreligion, Judentum als Gesetzesreligion. Noch immer gibt es weit verbreitete Stereotype, sei es das Bild von den gesetzlichen Pharisäern, der alttestamentlichen Warnung vor dem zornigen Gott oder der erst von Jesus entdeckten Ethik der Feindesliebe.

In ihrem Gespräch besprechen Andi und Thorsten mit Kathy Ehrensperger die Herausforderung, lang eingeübte Vorstellungen und Vorurteile zu überwinden. Dass Jesus selbst ganz im Horizont der jüdischen Debatten seiner Zeit gedacht und verkündigt hat, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Weniger klar ist den meisten, dass alle Texte des Neuen Testaments aus einer Zeit stammen, in der es noch gar kein Christentum im späteren Sinne gab. Auch Paulus hat sich Zeit seines Lebens als Hebräer und Pharisäer (Phil 3,5) bzw. Jude (Röm 9,3) verstanden. Zur Trennung der Wege und zur Entstehung zweier unterschiedlicher Glaubensweisen, ja Religionen, kam es sehr viel später.

Was bedeutet das für unseren Glauben heute? Wie können wir lernen, die vielen antijüdischen Klischees in unserem Denken und in unserer Sprache zu entdecken und zu überwinden? Wie können wir von unserem Glauben so reden, dass wir keine Abwertungen des Judentums mehr nötig haben? Wir können wir es würdigen, dass uns mehr verbindet und weniger trennt, als viele wissen – ohne Juden und Jüdinnen in falscher Weise zu vereinnahmen?

6 Gedanken zu „Kathy Ehrensperger: Wie jüdisch ist der christliche Gott?“

  1. Vielen Dank für das informative Gespräch, bei welchem die eigenen Vorstellungen von Gott mit den jüdischen Wurzeln kontrastiert werden. Wie sich diese Einsichten auf die inner-christliche Christologie auswirkten, wäre zu vertiefen.

    Hilfreich dazu wirkt die Doktorats-Schrift von Martin Steiner: Jesus Christus und sein Judesein. Antijudaismus, jüdische Jesusforschung und eine dialogische Christologie. Judentum und Christentum, Band 31. Kohlhammer Stuttgart 2025, 347 Seiten. ISBN 978-3-17-044418-8

    Mein Fazit nach der Lektüre: Jesus aus Nazareth war Jude. Im christlichen Bekenntnis erhielt er als Jesus Christus eine Schlüsselfunktion. Bald verstellten antijüdische Einstellungen die Sicht auf ihn als Jude. Nach der Bruchstelle der Shoah eröffneten sich im Kampf gegen den Antisemitismus neue Wege. Davon handelt die ertragreiche Schrift von Martin Steiner. Sie stellt sich den Fragen, inwieweit die jüdische Jesusforschung seit den Thesen der Konferenz von Seelisberg (1947) in der Christologie berücksichtigt wurde und wie Jesu Judesein zur Entfaltung einer von antijüdischen Vorurteilen freien Christologie beitragen kann.

    Weitere Aspekte kann ich hier nur antönen, Denn in extenso genannt werden «antijüdische Denkfiguren» (27-61) wie die paulinische Antithese ‘Geist-Fleisch’, die sich auf den «ökonomischen Antisemitismus» (34), ‘die Juden’ als ‘Ausbeuter’ bzw. ‘Wucherer’, übertrug oder das Erbe von Luthers ‘Judenschriften’, in denen negiert wurde, «dass die Juden ein eigenes Verständnis der ihnen offenbarten Schrift haben» und «nur eine einzige, christliche Lesart des Alten Testaments» (38) galt. Steiner resümiert, dass «die Geist-Fleisch Antithese als auch der ‘Gottesmordvorwurf’ … als identitätsstiftendes Einfallstor für den christlichen Antijudaismus wirkten» (60). Dieser war weniger theologische Lehre. Theologie und Frömmigkeit förderten ihn durch «Denkstrukturen und Realitäten». Antijudaismus sei lt. H. Frankemölle «ein ‘strukturelles Problem der Kirche’, jedoch nicht allein der katholischen». Auch habe die «penible Tilgungsarbeit aller jüdischen Elemente aus der evangelischen Kirchentradition» mit dem Eisenacher ‘Entjudungsinstitut’ «durch die Streichung des gesamten Alten Testaments … die Beseitigung aller jüdischen Verbindungslinien zur Kirche» angestrebt, unter Inkaufnahme der «Auflösung der bisherigen christlich-protestantischen Identität» (61).

    Neue Wege ging die Jesus-Forschung (110-246), zu deren «Klassiker» (128-242) im 20. Jhd. Joseph Klausner, Schalom Ben-Chorin und David Flusser gehören. Letzterer attestierte Jesus ein «messianisches Bewusstsein» und fand zu jüdischen «Wurzeln der Christologie» (131). In den synoptischen Evangelien zeige Jesus ein «Hoheitsbewusstsein» (219). Aus derart literarisch-historischen Motiven ist «das Christentum als jüdische Religion» zu verstehen. Flusser prägte den Satz: «Mein Meister und euer Gott» (232) und in der Christologie fand er «jüdische Elemente», neben der «übernatürlichen Empfängnis» (235) auch die «sühnende Kraft des Martyriums» (237).

    Der Forscher deckt später auf, wie etwa Pinchas Lapide Karl Rahner aufforderte, «Jesu geistiges Judesein als unverzichtbaren Bestandteil der Christologie» (250) anzuerkennen. Auch die jüdische Neutestamentlerin Exegetin Amy-Jill Levine regte an, Jesu Judentum christologisch zu «berücksichtigen» (251). Dagegen betonten Martin Buber die «Einzigkeit Gottes» (253) und Michael Wyschgorod inkarnatorisch die «Einpflanzung Jesu in sein Volk» (255, vgl. 300). Im «Riss zwischen Exegese und Dogmatik» (260 lt. Norbert Reck) ging seit der Aufklärung die jüdische Identität Jesu verloren. Sie war schon im 2. Jhd. hellenistisch und ontologisch transformiert, danach «kein explizites Thema auf den Konzilien» (264). Erst angesichts der Shoah kommt es zu «christologischen Umbrüchen» (267-274).

    Der mit der zweiten These von Seelisberg hervorgehobene jüdische Jesus kann nach allem «nicht von einem kirchlichen Christusbild getrennt» (304) werden. Dies bestätigen neben wenigen Ansätzen protestantischer Theologie vorab «lehramtlich-pastorale» Impulse, weshalb M. Steiner die Systematik zu einer «jüdischen Wende in der Christologie» (308) auffordert und den Exegeten Franz Mußner zitiert: «Jesus Christus ‘vere deus – vere homo judaeus’!» (310). Es ist auch ein Bekenntnis angesichts des Gekreuzigten. Im Zuhören auf die jüdische Jesusforschung entsteht damit keine eigene, sondern eine auf antijüdische Leerstellen sensible «dialogische Christologie» (311). Der Sühnegedanke belastet zwar diesen Dialog, ist aber in den Augen des hier Kommentierenden im unverfügbaren Ja Gottes zum Juden Jesus kontrastiert. Jesus Christus ist verschränkt mit dem «bleibenden Wert Israels» (312) und würdigt inklusiv das Judentum selbst. Und weil sich in diesem jüdischen Menschen Gott offenbarte, kann eine Inkarnationstheologie nicht darüber hinwegsehen. Es ist der Weg, den diese wegweisende Studie zugunsten einer «antisemitismusfreien Christologie» (313) eindrücklich geht.

    Antworten
    • Vielen Dank für diesen Hinweis und die informative Zusammenfassung des Buchs! Das finde ich ausserordentlich hilfreich und interessant – ich habe das Buch sofort bestellt. Wir bleiben an diesem Thema dran, keine Frage, denn hier entscheidet sich sehr viel, wie wir überhaupt redlich Theologie treiben können. Liebe Grüsse, Thorsten Dietz

      Antworten
  2. Ich habe in den 90ern Theologie studiert und da ging es an den deutschen Unis langsam los, die jüdischen Wurzeln des Christentums sorgfältig zu erforschen und wertzuschätzen. Ich habe da viel von Klaus Wengst gelernt, der damals an seinem Johanneskommentar gearbeitet hat und ein Seminar mit der jüdischen Judaistin Edna Brocke angeboten hatte.
    Vielen Dank für diese Folge mit der großartigen Kathy Ehrensperger, die einen spannenden Einblick in die neuere Forschung gegeben hat.

    Antworten
    • Danke für den Einblick! Mitbekommen habe ich es damals auch, leider erst sehr viel später umfassend ernstgenommen. Liebe Grüsse, Thorsten

      Antworten
  3. Super interessante Folge, habe viel dazu gelernt, danke ! Ich finde, wenn ihr jetzt eine Reihe zu Jesus macht, dann wäre eine Folge zur islamischen Perspektive auch spannend !

    Antworten
    • Danke für das Lob, freut uns! Jetzt werden wir erst mal bei Jesus dran bleiben, früher oder später werden auch islamische Perspektiven eine Rolle spielen. Liebe Grüsse, Thorsten

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Das RefLab-Team prüft alle Kommentare auf Spam, bevor sie freigeschaltet werden. Dein Kommentar ist deswegen nicht sofort nach dem Abschicken sichtbar, insbesondere, falls du am Abend oder am Wochenende postest.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox