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 Lesedauer: 4 Minuten

Gibt es Wunder?

Klingt wie eine rhetorische Frage, weil wir doch alle wissen, dass es keine Wunder gibt. Klingt aber auch wie eine merkwürdige Frage. Weil es so viele Wunder gibt, dass wir sie gar nicht alle aufzählen können. Ich denke an all die technischen Wunder, die uns auf den Mond fliegen oder über grosse Entfernungen miteinander kommunizieren lassen. Oder an die medizinischen Wunder, die Kranke heilen und Leiden lindern. Dazu die Wunder der Natur, die uns in ihrer Schönheit und Üppigkeit verzaubern. Nicht zu vergessen die Wunder des Alltags: die warme Heizung im Winter, das geordnete Miteinander in Politik und Gesellschaft, das Beflügelnde eines coolen Teams, usw..

Das Wunderbare verblasst

Wir könnten in den Wundern baden, uns am Wunderbaren berauschen. Warum tun wir es nicht? Gute Frage. Vielleicht, weil alles einfach da ist. Wir verlassen uns darauf, rechnen damit, gehen damit um; alles wird normal. Das Wunderbare verblasst und wird als selbstverständlich vereinnahmt.

Eigentlich schade. Denn wir verlernen dabei, uns zu wundern. Wer trotzdem am Wunder festhält und sich wundert, gilt als kindlich, naiv, unreflektiert und ungebildet. Und wer will schon so angesehen werden? Niemand.

Dabei ist es gar nicht schwierig, gebildet zu sein und sich trotzdem zu wundern.

Ich war zwar – Morphium sei Dank – nicht dabei, als mich die Ärzte operiert haben; sie haben es mir nachher erklärt. Aber trotz dieses Wissens finde ich es wunderbar, dass ich wieder auf zwei Füssen gehen kann. Und wenn ich darüber vor Freude strahle, freuen sich die anderen mit mir.

Vielleicht kann ich es so sagen: Solange wir den Boden des Wissens und des Selbstverständlichen nicht verlassen, können wir uns wundern so viel wir wollen, und alles ist gut. Aber weil Wissen und Selbstverständliches alles in sich eingemeinden wollen, hat das sich Wundern einen schweren Stand und verblasst.

Das Wunder aller Wunder

Darum haben es auch die biblischen Wunder so schwer. Sie entziehen uns den Boden des Wissens und des Selbstverständlichen. Mit Absicht, damit das Wunder nicht verblasst. Damit wir uns ungehindert wundern können. Und genau damit haben wir die grösste Mühe.

Nehmen wir das Wunder aller Wunder, die Auferstehung. Sie wird zur Tatsache und damit zu einem Gegenstand des Wissens erklärt. Bei denen, die davon ausgehen, dass der tote Jesus aus seinem Grab aufgestanden, mit seinen Jüngern geredet und nachher in den Himmel aufgefahren ist. Glauben heisst für wahr halten, dass das alles so passiert ist. Und auch bei denen, die das als irrational ablehnen. Auch für sie heisst Glauben, dass man für wahr hält, dass das alles so passiert ist. Nur glauben sie nicht daran.

Ohne den Boden des Eindeutigen

Als ob sich niemand über das Wunderbare ungehindert wundern will. Ob es ist oder nicht ist; Hauptsache es ist eindeutig. Und darin liegt das Problem. Das Wunder aller Wunder, die Auferstehung ist alles andere, aber eindeutig ist sie nicht. Die Jünger wussten, dass Jesus tot war. Und sie erlebten ihn als lebendig. Um diese doppelte und widersprüchliche Erfahrung in Worte zu fassen, erzählten sie von der Auferstehung.

Die Auferstehung will und muss ohne den Boden des Eindeutigen, von Wissen und Selbstverständlichem auskommen. Denn sie erzählt von dem Fall, in dem es Beides nicht mehr gibt: Wenn wir tot sind, gibt es kein Wissen mehr, ist nichts mehr selbstverständlich.

Sich Wundern wollen

Die Auferstehung erzählt davon, dass es Leben gibt, wo dieser Boden zerbricht. Schwer zu sagen, ob ich das begreifen kann. Aber es gibt Erfahrungen, die mir eine Ahnung davon vermitteln. In einer tiefen Krise, in der ich Orientierung und Boden verloren hatte, gab es immer wieder Augenblicke, in denen mich die Weite und Leichtigkeit des Lebens angeweht hatte. Sie waren kurz und flüchtig, aber um ihretwillen nahm ich den Rest in Kauf. In ihnen keimte die Hoffnung auf, dass es weitergeht. Mit der Zeit kam die Orientierung zurück. Der Boden auch.

Gibt es Wunder? Vielleicht kommen wir der Frage näher, wenn wir uns fragen, ob wir uns wundern wollen. Über das Leben. Mit und ohne Boden.

2 Kommentare zu „Gibt es Wunder?“

  1. Hans Ulrich Jäger-Werth

    In einem mechanistischen Weltbild hat es für Wunder keinen Platz. Allerdings bildet es nicht die ganze Wirklichkeit ab. Ich bin einmal mit einer offensichtlichen Gebetsheilung in Berührung gekommen. Allerdings sagte mir der Geheilte zehn Jahre später, er wäre damals gescheiter gestorben. Und in einer tiefen Glaubenskrise hatte ich plötzlich den Eindruck, Christus stehe hinter mir. Wie man sich die Auferweckung vorstellen soll, ist dabei unwichtig.

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