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«Vom Glauben abgefallen?» – Gespräch mit Hannah Bethke über eine Kirche am Wendepunkt

Was passiert, wenn sich Kirche mehr um Klimaziele als um Christus kümmert? Ist politisches Engagement immer ein Verrat an geistlicher Tiefe – oder braucht es beides? Wir fragen nach, ob Bethkes Kritik nicht eine falsche Alternative aufmacht zwischen Theologie und Zeitgeist-Anpassung.

Ausserdem sprechen wir mit Hannah Bethke darüber, ob Kirche eigentlich nur dazu da ist, individuellen Glauben zu stärken – oder ob nicht schon im Gedanken vom Reich Gottes ein gesellschaftlicher Auftrag mitschwingt. Und: Wenn die Autorin sich so klar von linkspolitischen, von moralisierenden sowie von persönlich-therapeutischen Kirchenerzählungen abgrenzt – wie sieht dann eigentlich ihre eigene Vorstellung einer zukunftsfähigen Kirche aus? Und nicht zuletzt: Wie kann eine Kirche heute geistlich relevant bleiben, ohne dabei entweder rechthaberisch zu wirken oder in die Beliebigkeit abzurutschen?

Auch Persönliches kommt nicht zu kurz – einleitend erfahrt ihr zum Beispiel, warum Stephan mit dem neuen Arbeitsplatz des FC-Basel-Trainers hadert und wie es dazu kam, dass Manuels Laptop letzte Woche mit Bier volllief…

 

Mehr zur Autorin

Hannah Bethke, 1980 in Hamburg geboren, ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin. Sie hat für zahlreiche überregionale Zeitungen gearbeitet, darunter für die FAZ, die NZZ und Zeit Online. Derzeit ist sie Politik-Redakteurin in der Welt und Welt am Sonntag. Sie hat über «Das politische Denken Arnold Brechts» promoviert und war in Leipzig und Greifswald als Dozentin für Politische Theorie tätig. Hannah Bethke ist gefragter Gesprächsgast im Fernsehen und Hörfunk. Sie ist gläubige Protestantin.

Mehr zum Buch

In ihrem Buch «Vom Glauben abgefallen – Mut zur Christlichkeit statt Angst vor dem Zeitgeist» übt Hannah Bethke eine scharfe Kritik an der gegenwärtigen Verfassung der evangelischen Kirche. Ihrer Analyse zufolge hat sich die Kirche in den letzten Jahren immer stärker dem gesellschaftlichen Mainstream angepasst und dabei ihre theologische Tiefe und spirituelle Substanz weitgehend verloren. An die Stelle eines transzendenten Gottesglaubens sei ein kirchlicher Aktivismus getreten, der sich vor allem durch politische Stellungnahmen – etwa zu Klimafragen oder Migration – profiliert, aber kaum noch spirituelle Orientierung biete. Bethke beklagt, dass die Kirche ihre ureigene Sprache des Glaubens verlernt habe und sich stattdessen in wohlmeinenden, aber inhaltsleeren Alltagsbotschaften verliere. Die Folge sei nicht nur ein dramatischer Bedeutungsverlust innerhalb der Gesellschaft, sondern auch eine gefährliche Entleerung des öffentlichen Diskurses, der ohne religiöse Werteorientierung zunehmend instabil werde.

Doch Bethkes Buch ist mehr als nur kulturkritische Klage. Sie entwirft auch eine Vision für die Zukunft der Kirche, die sich nicht an den Erwartungen des Zeitgeistes abarbeitet, sondern aus der Kraft ihrer eigenen Tradition heraus lebt. Die Kirche, so ihre Forderung, müsse den Mut aufbringen, wieder klar und selbstbewusst von Gott zu reden – nicht als moralische Instanz oder als Mitspieler im politischen Tagesgeschehen, sondern als geistliche Gemeinschaft, die Transzendenz, Gnade und Orientierung vermittelt. Eine solche Kirche wäre nicht rückwärtsgewandt, sondern zukunftsfähig, weil sie dem Bedürfnis vieler Menschen nach Tiefe, Wahrheit und geistiger Vergewisserung gerecht wird. Für Bethke liegt in einer bewusst christlich geprägten Kirche auch eine Chance für die Demokratie: Nur wo gemeinsame Werte, verbindende Sinnangebote und geistige Verankerung vorhanden sind, kann eine freie, pluralistische Gesellschaft Bestand haben. Ihre zentrale Botschaft lautet daher: Die Kirche darf nicht in der Angst vor gesellschaftlicher Irrelevanz ihre Identität aufgeben, sondern muss gerade in dieser Krise zu sich selbst zurückfinden – geistlich, mutig und sprachfähig.

5 Gedanken zu „«Vom Glauben abgefallen?» – Gespräch mit Hannah Bethke über eine Kirche am Wendepunkt“

  1. “Die Kirche darf nicht in der Angst vor gesellschaftlicher Irrelevanz ihre Identität aufgeben, sondern muss gerade in dieser Krise zu sich selbst zurückfinden”

    Die Kirche hatte nie eine eigene/wahrheitliche Identität, sondern war stets ein systemrationaler Teil zum zeitgeistlichen Reformismus. Also bitte keine Rückkehr zum Status quo ante, sondern zur wirklich-wahrhaftigen Interpretation der biblischen Philosophie, denn “Gottes Wege” SIND NICHT unergründlich, sondern ergründlich zur zweifelsfreien Eindeutigkeit eines ganzheitlich-ebenbildlichen Wesens Mensch, in einem unkorrumpierbaren globalen Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingt-konfuse Symptomatik “wie im Himmel all so auf Erden”.

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  2. Die geistige Tiefe haben die Kirchen schon lange verloren. Die Kernbotschaft des Christentums ist die attraktivste, progressivste und revolutionärste, die es auf Erden gibt. Sie besagt, dass du JETZT anfangen kannst dein Leiden zu mindern und schließlich völlig aufzuheben, indem du dich mit deiner unsterblichen Seele identifizierst. Nur durch solche Menschen wird die Welt schließlich besser, ja gut. Wer sich weiter mit seinem physischen Leib identifiziert (die zudem als einzig mögliche von der Naturwissenschaft angesehen wird), kann gar nicht anders als letztes Endes – auch bei allem guten Wollen – nur zerstörerisch wirken, da alle Abhängigkeiten von der Natur negativ sind.

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  3. Danke für die unterhaltsamen und interessanten Folge.
    Ich finde, dass Hannah Bethke immer wieder ausweicht. Wenn sie von “die Kirche”, “meine Kirche” spricht, bleibt sie unkonkret, wer genau das nun ist. Mal ist es die Kirchenleitung, dann wieder die Pfarrpersonen in den Ortsgemeinden, wohl eben nicht der “Deutsche Kirchentag” und irgendwie auch nicht die unzähligen ProtestantInnen. Gleich zu Anfang gesteht sie ein, dass ihre Eindrücke und Anekdoten eben keine valide Basis für eine umfassende Zustandsbeschreibung von “der Kirche” sein können. Spannend auch, dass sie auf Stephans Einwand, dass er schon viele und auch gute Predigten gehört habe, jedoch dabei noch nie ein transzendentales Erlebnis gehabt habe, Hannah Bethke sofort vom Predigtverzicht spricht. Gottesdienst, auch ein protestantischer Gottesdienst ist nicht nur Predigt, sondern auch Lesung, Gesang und Musik.
    Ach, es bleibt ein sehr ambivalentes Gefühl, dass Hannah Bethke auch nicht so recht weiß, wie “die Kirche” sein soll.
    Imho ist es sehr optimistisch zu vermuten, dass unsere Gesellschaft bereit wäre, über die Sinnfragen des Lebens nachzudenken, ohne dabei auf einfache Antworten oder Lösungen verzichten zu wollen. Ein großer Teil der politischen Gesellschaft ist jedenfalls für Propaganda und Parolen zu haben.
    Erprobungsräume, das finde ich einen wichtigen Gedanken, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kirche. Dazu gehört aber auch auf das gesellschaftliche Leben Bezogenes. Ein rein intellektueller Glaube zerbricht an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen.
    Zum Thema Beispiele aus dem Alltag fallen mir die zahlreichen Gleichnisse Jesu ein. Jetzt mag nicht jede banale Geschichte aus dem Alltagserleben einer Pfarrperson die Qualität eines Jesu-Gleichnisses haben, aber das Prinzip von unserem Religionsstifter ist schon irgendwie nicht schlecht.
    Am Ende ist Glaube, Gemeinde und Kirche imho ein Beziehungsgeschehen mit wechselnden Bezugsgrößen. Es nur auf die Predigtinhalte zu reduzieren, wäre mir persönlich zu wenig.
    Vielleicht hilft ja doch dieser Verweis auf Michael Jacksons “man in the mirror”.

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  4. Die Frau hat natürlich im allem recht, was sie sagt. Die EKD kann den meisten Menschen spirituell nichts bieten. Aus persönlicher Erfahrung kann ich zudem berichten, dass mir die Hauptamtlichen der evangelischen Kirchen nicht engagiert genug sind. Ich bin inzwischen seit vielen Jahren in einer Freikirche. Vieles dort ist schräg, vieles meiner Meinung nach zu fundamentalistisch und zugegeben das ein oder andere auch destruktiv – aber es ist Leben drin in der Bude. Was wohl auch damit zu tun hat, dass die Freikirchen im Wettbewerb stehen und attraktiv sein müssen, um weiter existieren zu können. Diese Denke geht den praktisch verbeamteten Verantwortlichen in den Volkskirchen in der Regel ab. Sie verwalten nur. In den allermeisten Fällen den eigenen Niedergang.

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  5. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das Interview irgendwie schwierig fand. Ich hab nicht verstanden was genau Frau Bethke jetzt an der Kirche kritisiert und was Kirche ändern müsste bzw. wie sie sich Kirche wünschen würde. Meiner Wahrnehmung nach kritisiert sie vor allem die Positionen die EKD oder Kirchentag vertreten. Grundsätzlich scheint sie ja kein Problem damit zu haben, dass sich Kirche politisch äußert und ich werde das Gefühl nicht los, dass wenn Kirche sich eher konservativer positionieren würde und eben nicht progressiv/liberal, dann würde sie das befürworten.
    Es ist gut, dass man darüber diskutiert wo die Probleme in Kirche liegen und das sollte auch weiter gemacht werden und vielleicht könnt ihr ja hin und wieder Gäste einladen die von ihrer Vision von Kirche erzählen.

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