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 Lesedauer: 4 Minuten

Fastenzeit: Eine Intensivkur in… ja, was eigentlich?

Das ging schnell – eben war noch alkoholfreier Januar, und jetzt hat der Verzicht schon wieder begonnen. Und ich muss gestehen, ich bin etwas ratlos.

Ostern ist mir jedes Jahr ein Rätsel: Was es mit mir zu tun haben soll, dass Jesus Christus vor 2000 Jahren hingerichtet wurde und auferstanden ist, wird sich mir vielleicht nie wirklich erschliessen. Das macht für mich einfach nicht „klick“. Trotzdem versuche ich jedes Jahr, diesem Mysterium auf die Spur zu kommen (siehe entsprechende Blogposts von 2018 und 2019).

Wenn nicht rational, dann körperlich oder ästhetisch

Von der Fastenzeit würde ich mir wünschen, dass sie eine Art spirituelle Lehrzeit ist: Eine Zeit, in der dieses Rätsel, das rational nicht fassbar ist, „einsickert“. Über den Körper, über Rituale, ästhetische Wahrnehmung oder liturgische Wiederholung.

In Bezug auf Weihnachten habe ich genau das letztes Jahr erlebt: Wegen eines Seminars im Theologiestudium besuchte ich jeden Sonntag im Advent einen Gottesdienst. Dadurch nahm ich diese Zeit des Kirchenjahres zum ersten Mal als ein Ganzes wahr. Advent als eine Zeit, in der man erst einmal ganz tief in die Dunkelheit eintaucht, die Sehnsucht nach Frieden auf Erden spürt und am Schluss ein kleines Licht der Hoffnung erkennt.

Sowas ähnliches erhoffe ich mir von der Fastenzeit. Trotzdem bin ich in diesen Prozess noch nicht eingestiegen.

Das Problem ist, dass es kein klares Rezept gibt. Ich muss mich aus der Fülle von Fastenangeboten erst mal für eines entscheiden, das für mich passt. Gar nicht so einfach.

Eskalation der Fastenangebote

Inspiration habe ich erst mal auf Twitter: Auf die Frage, was es so für Fastenmöglichkeiten gäbe, eskalierte meine Timeline mal eben kurz. Einige der Vorschläge, worauf ich verzichten könnte: Fleisch, CO2-Ausstoss, Pessimismus, unnötige Zeitfresser oder – schon fast traditionell – Suchtmittel wie Smartphone, Schokolade, Social Media.

Eine Bekannte geht jede Woche einen Kreuzweg. Jemand schickte mir einen „Fastenbegleiter“ mit kurzen Texten für jeden Tag. Einige empfahlen mir, mich für die Fastenzeit einer Gruppe anzuschliessen. Und einige schlugen mir vor, während der Fastenzeit mal offline von Twitter zu gehen.

Am Spannendsten fand ich den Hinweis auf eine Initiative des Philosophen Peter Rollins, „Atheism for Lent“: Glauben fasten, also 40 Tage Nihilismus. Als Echo zu Jesus‘ verzweifeltem Schrei am Kreuz, „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Kurz und bündig:

Was „Fasten“ bedeutet, kann eigentlich jede*r selber entscheiden.

Für mich ist wichtig, dass die Fastenzeit nicht der Selbstoptimierung dienen soll. Auf etwas verzichtet, weil es mir gut tut, habe ich eben erst.

Und ich weiss auch, dass die „auf etwas verzichten“-Art von Fasten für mich nicht funktioniert:

Vor zwei Jahren beschloss ich, in der Fastenzeit keinen Kaffee mehr zu trinken. Dafür würde ich jedesmal, wenn ich Lust auf Kaffee habe, ein kurzes Gebet für eine Freundin sprechen, der es gerade schlecht ging. Schon nach wenigen Tagen hatte ich den Vorsatz mit dem kurzen Gebet vergessen, obwohl ich noch eine Weile auf Kaffee verzichtete. Der Verzicht wurde leer.

Ich suche die Bibelstelle hervor, wo steht, dass „gutes Fasten“ für Gott heisst, dass jemand im Alltag friedlich mit seinen Mitmenschen umgeht, Armen hilft, Obdachlosen ein Zuhause gibt und gegen Ungerechtigkeiten kämpft.

Und das wiederum erinnert mich an Jesus Christus, der sagte: „Ich hatte Hunger, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“

Das ist mal eine Fasten-Challenge.

Das ist unbequem. Während ich diesen Blogpost schreibe, wird mir „gschmuech“, mein Magen zieht sich ein bisschen zusammen. Ich würde gerne an dieser Stelle aufhören, darüber nachzudenken. So zu fasten, würde heissen, wirklich Opfer zu bringen.

Hinzuschauen, wenn ich Bettlerinnen und Obdachlosen begegne. Mir Zeit zu nehmen, um jemanden zu besuchen, der oder die krank ist. Mich und meine Zeit, meine Tagesplanung nicht für wichtiger zu nehmen als Mitmenschen, denen ich was Gutes tun könnte.

Das sollte eigentlich nicht nur in der Fastenzeit geschehen. Aber sind wir ehrlich, häufig ist man dann doch zu beschäftigt. Doch beim Fasten gilt: Ausreden zählen nicht.

Fasten als eine Intensivkur in Nächstenliebe?

 

Foto von Heather Ford on Unsplash.

6 Kommentare zu „Fastenzeit: Eine Intensivkur in… ja, was eigentlich?“

  1. Also beim ersten Lesen dieses Beitrags dachte ich für mich: Nein! Die bevorstehenden wenigen Fastentage (begleitet in einer Gruppe die sich jeden Abend trifft) zu Hause, möchte ich wirklich für mich alleine verbringen. Rückzug halten, Auszeit nehmen nicht schon wieder da und dort tun… Tage nur für mich eben. Wieso soll das nicht grade beim Fasten gut sein? Würde jemand sagen, dass er / sie einmal für ein paar Tage abschaltet, in die Wüste geht, würden das doch alle für gut heissen. Wieso nicht erst recht beim Fasten?! Obwohl ich das doch schon auch „gelehrt“ habe, dass Fasten, Fasten für die Welt ist. Nicht als Egotripp für sich alleine gedacht ist. Nun, so ganz begriffen habe ich das wohl doch (noch?) nicht ganz. Dann überkommen mich gleichzeitig in Gedanken an diese Fastentage, wie ich diese Tag – gut Struktiert, Bewegung, Meditation, Ruhezeiten, und wo und wie genau – genau gestalten will. Ja, auch aus gesundheitlichen Gründen. Und so beim zweiten Durchlesen, denke an unsere eritreische Freundin mit der ich mich doch schon eine Weile nicht mehr getroffen habe. Die um einen Austausch immer erfreut ist (und ich auch von ihr zu hören), oder wie ich bei Freunden im Stallausmisten aushelfen könnte (durch Unfall fehlen 2 Hände), dabei das Schnauben der Tiere hören, die Gerüche, die Ruhe und Wärme die sie beim Kauen Fressen ausstrahlen, gleichsam unser Vereins-Maultier Bellina etwas ausführen, die Bewegung braucht. Geteilte Zeit, so wie es auch mir gut tut. So lese ich den Beitrag doch noch etwas anders, und was ich dann daraus Umsetze? So, dass sich darin Leere und Fülle ergeben mögen. Austreten und Zurückziehen. Danke für die Impulse ;-). Wer weiss ob ich daraus berichte?
    herzlich, Anita

    1. Evelyne Baumberger

      Liebe Anita, danke fürs Teilen deiner Gedanken und danke, dass du den Beitrag zweimal gelesen hast 🙂 Ganz bestimmt braucht jede*r auch Zeiten des Rückzugs und des Auftankens, einfach für sich! Und natürlich kann das auch in der Fastenzeit geschehen. Ohne mich vertieft damit auseinandergesetzt zu haben: Es gibt so viele Fastentraditionen und -Formen – je nachdem, in welcher Lebensphase man sich befindet, fühlt man sich wohl zur einen oder anderen hingezogen. Egal, wie du die kommende Zeit gestaltest: Ich wünsche dir tiefe Begegnungen mit Gott und den Mitmenschen. Herzliche Grüsse!

  2. Liebe Evelyne

    Wie immer wenn ich Texte von Dir lese: ich bin begeistert (auch im tiefsten Sinn des Wortes). Du klingst immer ehrlich und authentisch, lässt uns Leser*innen teilhaben an Deinem Leben – klischeefrei, echt, ohne jede Säuselei. Das gefällt mir sehr!

    Diesmal haben mich Deine einleitenden Zeilen „elektrisiert“, dass sich Dir Ostern nicht erschliesst, dass der Sinn dahinter nicht klick macht, das hat mich erstaunt.

    Nun frage ich mich ernsthaft, liegt hier der Grund weshalb ich mit Ritualen, Liturgien, Förmlichkeiten oft so Mühe habe, in ganz seltenen Fallen nur empfinde ich sie als lebendig, frisch, erfrischend, stärkend. Denn, für mich hat Ostern klick gemacht – und vieles wurde danach nebensächlich. Ich kann Ostern dankbar annehmen, als das Geschenk, das mir Gott gemacht hat, den Preis, den er bezahlt hat. Einfach so, das geniesse ich sehr sehr dankbar!

    Aber klar, Gottes Gedanken HINTER Ostern, warum sowas nötig gewesen ist, weshalb es nicht andere Wege gab, das verstehe auch ich nicht, ich habe bloss die Gelassenheit, es einfach so zu belassen.

    Und jetzt hoffe ich sehr, dass ich mit diesem Text nicht süsslich daherkomme. Ich wünsche mir nämlich genauso bodenständig zu wirken wie Du das immer tust.

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Andreas, einmal mehr herzlichen Dank für deinen Beitrag! Schön, dass du mitdiskutierst, ich schätze deine Gedanken.
      Schön, dass für dich Ostern „Sinn ergibt“! Vielleicht kann ich das auch einmal sagen. Und was die Rituale etc. angeht: Ich glaube, dass es ähnlich wie in der Schule (wo du dich ja auskennst 😉 ) auch im Glauben verschiedene „Lerntypen“ gibt. Die einen finden eher über die Ratio einen Zugang zu Gott, andere über Lieder, wieder andere über Gespräche. Der Austausch darüber ist bereichernd, kann aber den eigenen Zugang nicht ersetzen.
      Herzliche Grüsse und einen frohen Tag!

  3. Liebe Frau Baumberger
    Wie wär‘s, wenn Sie in der Passionszeit das gleiche Rezept anwenden würden wie letztes Jahr in der Adventszeit? Also einfach jeden Sonntag im Gottesdienst miterleben, was die Christengemeinde da hört und feiert?
    Vielleicht hätte das einen vergleichbaren Effekt?
    Ich wünsche Ihnen frohe Ostern.
    Georg Vischer

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Herr Vischer, danke für Ihren Kommentar! Ja, das werde ich im Rahmen meines Praktikums ohnehin auch tun. Für mich hat das Fasten aber noch viel mehr Alltagsbezug.
      (Wie) fasten Sie?
      Beste Grüsse!

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