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 Lesedauer: 5 Minuten

Eine Kirche ohne Mission geht zugrunde

Kaum ein Unternehmen und kaum eine Organisation kann heute darauf verzichten, sich ein Leitbild zu geben. Der erste und wichtigste Punkt eines Leitbilds sind Mission und Vision des Unternehmens bzw. der Organisation. Vom «mission statement» wird da geredet. Ebenso gehören «testimonials» zum gängigen Repertoire vor allem im Dienstleistungsbereich. Klar sind das häufig Hochglanzstatements zu Marketingzwecken und oft leisten sie nicht, was sie vorgeben – eine Leit- und Orientierungsfunktion nach innen und ein klares Bild nach aussen, wofür man steht.

Kontext kontaminiert

Aber interessant finde ich, dass beide Begriffe, die hier so unbefangen verwendet werden, aus dem religiösen Kontext stammen. Nur dass sie in diesem Kontext – mit Ausnahme von bestimmten Kreisen – regelrecht kontaminiert sind. Von Mission und Zeugnis (denn das meint ja testimonial) ist bei eher liberal orientierten Protestantinnen und Protestanten kaum mehr die Rede oder der Missionsbegriff wird regelrecht bekämpft.

Auf der schiefen Bahn

Dafür gibt es gute Gründe. Zu oft war Mission in der Geschichte der Religionen und besonders des Christentums mit Zwang und Gewalt verbunden. Zu oft war Mission mit einem Absolutheitsanspruch verbunden, der hochproblematisch ist oder mit fragwürdigen Formen der Mitgliederwerbung. Die Problematik ist schon im biblischen Missionsbefehl in Mt 28 enthalten: «Machet zu Jüngern alle Völker …». Wird dieser Satz so verstanden, als ob der christliche Glaube der allein wahre Glaube sei und alle anderen Irrtümer und als Aufforderung, Menschen zu bekehren oder möglichst viele Mitglieder für die eigene Kirche oder Gemeinschaft zu werben, dann geraten wir auf eine schiefe Bahn.

Wiederentdeckung

Dennoch plädiere ich entschieden dafür, den Begriff der Mission wiederzuentdecken.

Denn eine Kirche ohne Mission geht zugrunde!

Es reicht nicht aus, dass wir als Pfarrerinnen und Pfarrer, als Kirchenleitende oder als Ehrenamtliche in den Gemeinden uns als Moderatorinnen und Moderatoren des religiösen Diskurses verstehen oder als Organisatorinnen und Organisatoren eines guten und für die Gesellschaft nützlichen Angebotes. Es reicht nicht aus, dass wir für möglichst alles offen sind und nur noch entschieden und klar, wenn es um fundamentalistische Verengungen oder gesellschaftspolitische Fragen geht. Wir sind es den Menschen schuldig, dass wir auch und gerade in religiösen Fragen Stellung beziehen, dass die Menschen spüren, wofür wir stehen und was wir glauben. Es gehört zu den Stärken des reformierten Protestantismus, dass dies in unserer Kirche vielstimmig und widersprüchlich geschieht und dass der Glaubensdiskurs nicht abgeschlossen werden kann. Aber der/die Einzelne sollte greifbar und spürbar sein.

Überzeugung, Leidenschaft und Begeisterung zeigen

Bei allem Wissen um die biographischen Veränderungen unseres Glaubens und um die Legitimität anderer Glaubenshaltungen – wir brauchen starke Überzeugungen und Leidenschaft und Begeisterung dafür.

Wenn wir unseren eigenen Glauben für eine Meinung halten – nur für eine von vielen möglichen –, brauchen wir uns über Wirkungslosigkeit nicht zu wundern.

Wenn wir auf die Frage nach der Relevanz unseres Glaubens keine Antwort haben, kann er auch für andere nicht relevant werden. Klar, ich spitze zu und karikiere, aber so wirkt der reformierte Protestantismus auf viele.

Suche bei mir selbst

Am Anfang steht die Entdeckung dessen, was auf mich zukommt und für mich relevant geworden ist, meinem Leben eine Ausrichtung gibt. Wenn ich dafür einstehe, wenn ich dafür Zeugnis ablege (testimonial!), kann das für andere überzeugend und ansteckend wirken. Es kann aber auch Widerspruch hervorrufen – zum Glück, denn in manchem gehe ich wohl auch in die Irre. Aber es lässt nicht kalt. Ich muss niemanden von meinem Glauben überzeugen. Er ist ein Kleid, das nur zu mir passt. Nur bis zur Unkenntlichkeit entstellen und vor lauter Ausgewogenheit unsichtbar machen darf ich ihn nicht.

Zeigen, damit andere deuten können

Mission heisst nicht andere bekehren oder Mitgliederwerbung zu betreiben. Es geht nicht darum, Mitglieder zu gewinnen, sondern Menschen in die Nachfolge Jesu einzuladen und sie zu ermutigen, diesen Weg auf ihre eigene Weise zu gehen. Mission heisst: zeigen wofür wir stehen und anderen die Freiheit lassen, sich dazu zu verhalten. Und anderen zuzuhören, weil ihre Mission mich berühren und verändern könnte.

Zweite Radikalität

Es gibt von Paul Ricoeur in der hermeneutischen Diskussion den Begriff der «zweiten Naivität». Diese zweite Naivität ist durch Kritik und Reflexion hindurchgegangen und kann sich dennoch den Texten wieder unmittelbar zuwenden und sie zu sich sprechen lassen. Dieser Gedanke regt mich an, von einer «Mission zweiter Ordnung» oder einer zweiten Radikalität zu reden. Es wäre dann eine Mission, die sich ihrer eigenen Gebundenheit und Relativität bewusst ist und auf Absolutheitsansprüche konsequent verzichtet, die Freiheit lässt und niemand bekehren muss. Aber es wäre eine Mission, die eigene Leidenschaftlichkeit spüren lässt, Engagement zeigt, sich greifbar und angreifbar macht, mit dem, was uns absolut wichtig ist. Vielleicht könnten wir liberalen Protestantinnen und Protestanten da von unseren pietistischen oder freikirchlich geprägten Schwestern und Brüdern noch einiges lernen, statt ständig zu betonen, dass wir viel offener und liberaler sind.

Relevanz für uns

Ich zögere allerdings von einer missionarischen Kirche zu reden, denn diese ist in Gefahr, zu sehr die Wirkung auf andere, Bekehrung oder Mitgliedergewinnung im Blick zu haben. Das ist aber nicht die entscheidende Frage – vielleicht nicht einmal eine wichtige. Viel entscheidender ist die Frage, wofür wir stehen und welche Relevanz das zuerst einmal für unser Leben und dann vielleicht auch für andere hat. Ganz traditionell und irgendwie auch sehr modern gesprochen: wozu wir uns bekennen und welches Zeugnis, welches «testimonial» wir ablegen.

1 Kommentar zu „Eine Kirche ohne Mission geht zugrunde“

  1. Danke für den Anstoss zum Thema. Es ist schon eigenartig: Nachdem „Mission“ jahrelang ein kirchliches Unwort war, soll man jetzt auf einmal wieder missionieren müssen. Müssen, weil ja der Untergang droht. Und das scheint mir ein sehr zweifelhaftes Motiv zu sein. Durch alle Knopflöcher schaut die Angst um den „Job“ von Mitarbeitern und Gewählten der Kirche.
    „Mission“ – der Autor weist darauf hin – hat längst Einzug gehalten in alle mögliche Lebensbereiche und scheint von dorther in neuem Gewand zur Kirche zurückkehren zu dürfen. Allerdings wäre scharf zu unterscheiden zwischen dem, was Menschen (auch innerhalb der Kirche) zu ihrer persönlichen Mission erklären und der Mission des Evangeliums. Mission hat biblisch etwas zu tun mit der Bezeugung eines ungeschuldeten Widerfahrnisses (die immer persönlich ist). Das Präsentieren seiner Lieblingsgedanken, und sei es mit noch so viel Begeisterung, ist noch lange keine Mission, auch wenn es im kirchlichen Rahmen stattfindet. Der Autor betont darum zurecht den Begriff „Zeugnis“. Dieser kann aber nicht scharf genug abgegrenzt werden gegen das eigenmächtige Behaupten, das doch wieder die Wirkung im Blick hat – und sei es die Abwendung des Untergangs der (reformierten) Kirche. Damit wäre auch der Umstand eingestanden, dass die Fragen des Glaubens heute grösser sind als die Antworten: Mission müsste heute auch das Eingeständnis der eigenen (kirchlichen) Sprachlosigkeit beinhalten.

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