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Das hat sich gewaschen!

Vor kurzem lehnte eine hochverdiente Künstlerin, Hito Steyerl, das Bundesverdienstkreuz mit einer doppelten Begründung ab. In einem offenen Brief an den deutschen Bundespräsidenten erklärte sie, die Republik solle, anstatt grosszügig Orden an Kulturschaffende zu verteilen, lieber strukturelle Missstände beheben. In der Pandemie sei überdeutlich geworden, dass der Stellenwert von Kultur, Bildung und Teilhabe nicht besonders hoch veranschlagt werde. Diese Erklärung der an der Universität der Künste in Berlin Medienkunst lehrenden Professorin leuchtet ein.

Mit der zweiten Begründung lenkte die Künstlerin den Blick auf sich selbst: «Ein Ordensverleihungstermin mit jemandem wie mir wirkt unter diesen Umständen leider eher wie das Diversity-Washing systemischer Missstände.»

Schmutzwäsche

Ich hatte den Begriff «Diversity-Washing» bisher nicht in meinem Wortschatz. Geläufig waren mir das in den 1980er-Jahren geprägte

  • Greenwashing für Aktivitäten, mit denen sich umweltschädigende Konzerne ein grünes Mäntelchen umhängen

Und die später hinzugekommenen:

  • Pinkwashing bzw. Regenbogen-Washing für Produktwerbung mit LGBT-Bezug
  • Bluewashing für Konzernaktivitäten, die sich an das UN-Nachhaltigkeitsprogramm heften
  • Purplewashing oder Gender-Feigenblatt; hierher gehört auch Fremden- und Islamfeindlichkeit, die als «Feminismus» schöngefärbt werden
  • Faithwashing, wenn unter dem Deckmantel «interreligiöser Dialog» politische und ökonomische Missstände strategisch ausgeblendet werden, etwa beim Israel-Palästinakonflikt
  • Social- oder Woke-washing, wenn sozial-gesellschaftliche Anliegen, etwa Antirassismus, als Marketingstrategie missbraucht werden

Mit letzterem verwandt ist wohl das von der 1966 in München geborenen Deutschjapanerin Hito Steyerl hinter der Auszeichnung vermutete Diversity-washing. Man schmückt sich auf symbolischer Ebene mit Vielfalt und bemäntelt mit Schönfärberei Diskriminierung und strukturellen Rassismus, ohne etwas gegen Missstände wie Ausgrenzung Andersaussehnder oder Andersbefähigter zu tun.

Präfiguriert sind die postmodernen «Washings» im «Persilschein» der Nachkriegszeit, der aus Nazis makellose Bürger machte.

Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss in dem Wunsch gestiftet, «verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes und des Auslandes Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen» für Leistungen im Bereich der politischen, wirtschaftlich-sozialen und geistigen Wiederaufbauarbeit und Friedensförderung.

Verwaschene Werte

Es kann durchaus gute Gründe für die Ablehnung einer solchen Ehrung geben. Diversity-Washing gehört aber kaum dazu.

Was wäre denn die Alternative? Dass grundsätzlich nur Menschen ohne Migrationshintergrund («Biodeutsche») auszeichnet würden? Würde sich eine Nation damit nicht erst recht – und zurecht – beissender Kritik aussetzen?

Auch als Künstler:in mit höchsten moralischen Standards ist es in der Praxis nicht einfach, Fallstricke zu umgehen und «clean» zu bleiben. Als Hito Steyerl 2015 Deutschland im «Deutschen Pavillon» der Venedig-Biennale mit einem macht- und medienkritischen Beitrag vertrat, «Factory of the Sun», prangten im Eingangsbereich die Sponsornamen: darunter die Krupp- und die RWE Stiftung. Der Gedanke an Artwashing lag nahe. Nun geht es in dem Werk aber um die schiere Unmöglichkeit, aus Spielen, in die wir hineingestellt sind, auszubrechen, und man kann sagen: Steyerl holt mögliche Kritik reflexiv ein.

An dem Beispiel der Ablehnung der hohen Ehrung durch die Künstlerin mit dem Diversity-Washing-Argument lässt sich Grundsätzliches ablesen: wie leicht man in Zeiten identitätspolitischer Correctness in Fettnäpfchen gerät; wie verbreitet die Logik des Verdachts ist; wie schwer es fällt, etwas anderes zu sehen als Schönfärberei oder Augenauswäscherei; wie verwaschen Werte in Gesellschaften erscheinen, in denen Unternehmen und Organisationen einander darin übertrumpfen, ein sauberes, sündenfreies, korrektes Image zu erschaffen.

Der Kaffeekonzern leistet sich im verarmten Global South ein Community-Projekt, der Internetriese versucht sich das Image eines NGO zu geben, der Rohölkonzern möchte grüner dastehen als der Biobauer. Ein grosser deutscher Autohersteller warb offensiv mit «grünen Autos», bis der Diesel- und Abgasskandal derartige Werbung nicht nur als unglaubwürdig, sondern als obszön erscheinen liess.

Auch Staaten versuchen Einfluss auf ihr Image zu nehmen. Das nennt sich dann «Soft-Power-Strategie». Kulturförderung ist neben Sportsponsoring ein Mittel. Von daher ist nachvollziehbar, dass die Künstlerin die Auszeichnung als nationale lmagewerbung betrachtet. Und doch erscheint fraglich, ob man eine staatliche Ehrung für herausragende Verdienste nach reinen Marketingmassstäben bewerten kann. Und auch hier: Was wäre die Alternative: Kulturschaffende nicht zu ehren?

Ohne Frage antworten Unternehmen und Organisationen heute in oft penetranter Weise auf gewandeltes Konsumentenverhalten («Ethical Consumerism», «Moral Purchasing») und Anlegestrategien, bei denen mit humanen und nachhaltigen Anlageportfolios ein gutes Gewissen erkauft wird (ESG-Anlagekriterien: Environment, Social, Governance). Tatsächliches Engagement aber ist rar. Kaum verwunderlich, dass Werte erodieren.

Sich Business-like aufzustellen und in Marketingschablonen zu denken, wird zunehmend als «normal» angesehen. Selbst Kirchen reagieren auf Krisen reflexhaft mit Imagekampagnen und versuchen etwa dem Mitgliederschwund mit besserer PR («Wir müssen uns besser verkaufen.») entgegenzuwirken. Gleichzeitig erhalten Religionsgemeinschaften und Kirchen mächtig Konkurrenz dadurch, dass das Ethische und Moralische in den Bereich der Imagepflege, Sponsoringaktivitäten und Produktwerbung migriert ist.

«Technology Evangelizer» oder «Business Angel» heissen in verräterischer Sprache Mitarbeitende, die in IT-Konzernen für Markenpflege zuständig sind.

Kinderarbeit in der Textilindustrie, Freisetzung kanzerogener Substanzen, die unter indigenen Communities die Sterblichkeitsrate hochschiessen lassen, gedankenloser Umgang mit Wasser, Luft und Bodenschätzen: all das kommt in den Schleuderwaschgang und heraus kommen lupenreine Brands, die die Erde zu einem besseren Ort machen: «Make the world a better place!» Keine Floskel ist abgedroschener.

Die spezifischen Unterschiede zwischen herkömmlicher Organisationskultur und Moral Brand Cultures hat die schwedische Ökonomin Emma L. Jeanes in einer 2013 erschienen Studie herausgearbeitet: The construction and controlling effect of a moral brand.

Spiritual Washing

Das Prinzip begegnet im Grossen wie im Kleinen. Bei einem Besuch in Ghana vor einigen Jahren fiel mir eine Art von Jesus-Washing auf. Entlang von Autostrassen befanden sich einfache Shops, die unterschiedliche Waren mit dem oft handgepinselten Slogan «Jesus first» anboten. Offenbar war Glaubwürdigkeit in dem afrikanischen Land Mangelware und Jesus musste als Garant für geschäftliche Seriosität herhalten.

Vielleicht kann man von «Spiritual Washing» oder «Spiritual Cleansing» reden, wenn die Geisterwelt dabei helfen soll, verlorene Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen und wenn mit ein bisschen Oberflächenzauber versucht wird, Vertrauen zu erheischen.

Der Begriff «Spiritual Washing» bezeichnet häufig aber etwas anderes. Es geht um Akte ritueller und meditativer Reinigung, bei denen Bedrückendes abgestreift und neue Kraft und Hoffnung geschöpft wird, etwas zu verändern oder ein anderer/eine andere zu werden.

Mit investigativen Recherchen gelingt es immer wieder, Imagekampagnen als Greenwashing, Social Washing etc. zu entlarven. Wenn wir uns aber gar nicht mehr vorstellen können, dass es aufrichtiges Engagement geben kann und stattdessen hinter allem PR wittern, nehmen wir uns jede Möglichkeit, gesamtgesellschaftlich vorbildliche Leistungen – und dazu zählen für mich H. Steyerls augenöffnende, zeitkritsche Videoarbeiten – zu erkennen und zu würdigen.

Photo by Mohsen Shenavari on Unsplash

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