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Thomas von Aquin: Braucht jede Zeit ihre eigenen Gottesbeweise?

Thomas von Aquin gilt nicht nur als wichtigster Theologe seit Augustin, sondern auch philosophisch als einer der bedeutendsten Denker des Mittelalters. Thomas ist ein Modernisierer, der viel Widerstand weckt und sogar als Irrlehrer verurteilt wird, aber schon wenige Jahrzehnte nach seinem Tod von Papst Johannes XXII heiliggesprochen wird. Er tritt als junger Mann in einen Bettelorden ein und kämpft für eine Reform der Kirche.

In dieser Folge von «mindmaps» kommen wir dem umfassenden Werk von Thomas auf die Spur. Peter zeigt, wie innovativ dieser versucht, die etablierte scholastische Philosophie, welche wesentlich platonisch geprägt war, mit der Philosophie des Aristoteles zu vereinen und den Glauben damit auf der Höhe der Zeit zu halten. Wie schon Anselm ist auch Thomas durch fünf zusammenhängende (später so genannte) «Gottesbeweise» bekannt geworden.

Wir greifen in unserer Diskussion die massive Kritik auf, die der neue Atheist Richard Dawkins an den Gottesbeweisen des Thomas von Aquin übt. Dabei wird deutlich, dass Dawkins den mittelalterlichen Denker grundlegend missversteht – und dass (wie schon Anselm) auch Thomas nicht vorhatte, einen voraussetzungslosen Beweis für Gott zu erbringen. Braucht also jede Zeit ihre eigenen Gottesbeweise?

 

Zu den Beitragenden

Manuel Schmid ist Co-Leiter von RefLab. Er wurde mit einer religionsphilosophischen Arbeit promoviert und liebt es, unsere Zeit und Gesellschaft durch vertieftes Nachdenken und angeregtes Diskutieren besser verstehen zu lernen.  

Heinzpeter Hempelmann ist Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, Autor von über 40 Büchern und 500 Aufsätzen (viele davon sind hier kostenlos abrufbar). Er ist ausgewiesener Experte in Fragen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sowie der Lebensweltforschung – und er hat eine Leidenschaft für die verständliche Vermittlung komplexer philosophischer und theologischer Sachverhalte.

2 Kommentare zu „Thomas von Aquin: Braucht jede Zeit ihre eigenen Gottesbeweise?“

  1. Manfred Reichelt

    Ich denke schon, dass jede Zeit ihren eigenen Gottesbeweis benötigt, denn in jeder Zeit treten besondere Zweifel, Fragestellungen und Unklarheiten auf. Ich bin der Meinung – das kann jetzt überheblich klingen – den für unsere Zeit besten Gottesbeweis geliefert zu haben. Er ist hier zu finden:https://www.academia.edu/47776276/Ursprung_und_Ziel_Wie_die_Evolution_weitergeht_ (oder auch hier: https://drive.google.com/file/d/1QTQTvKZCdW8EyCRbnBzNequwxIve5FgV/view ) Ich bin auch gern bereit darüber zu diskurtieren.

  2. Liebe beide,

    herzlichen Dank für diese spannende Diskussion und Kontextualisierung von Thomas von Aquin, einem intellektuellen Genie, wie es in unserer Weltgeschichte nur ganz wenige gab.

    Eure Darstellung des „ersten Weges“ war meines Erachtens aber etwas verkürzt. Wenn Thomas von Aquin von der „ersten Ursache“ (prima causa) spricht, meint er gerade NICHT eine erste Ursache in ferner Vergangenheit als Anfang einer Kausalkette, die bis zum Heute führt.

    Man ersieht dies an seinem Beispiel im „ersten Weg“, dass die Hand den Stab bewege. Die Hand verursacht die Bewegung des Stabes; diese Bewegung findet aber nicht nach jener der Hand statt, sondern eben gerade gleichzeitig! In der Tat war Thomas der Meinung, dass ein unendlich existierendes Universum (und damit auch ein unendlicher Kausalregress) philosophisch nicht ausgeschlossen werden kann, weshalb er auch skeptisch war gegenüber dem Kalam-Gottesbeweis.

    Was also meinte Thomas mit „erster Ursache“? Er bezeichnet damit eine „grundlegende“ bzw. „fundamentale“ Ursache, die in jedem Augenblick aktiv ist, also eine ontologische Abhängigkeit. Anders gesagt, es interessiert Thomas nicht, wann die Kausalkette begann. Er versucht vielmehr zu verstehen, warum es überhaupt eine Kausalkette gibt, und warum in diesem Augenblick Bewegung und Veränderung möglich sind.

    Um ein Bild im Zusammenhang mit Bewegung bzw. Veränderung zu nutzen: Wenn wir uns die Kausalkette des Universums als eine Reihe von Eisenbahnwagen vorstellen, dann schliesst Thomas nicht aus, dass dieser Zug unendlich sein könnte. Es interessiert ihn vielmehr, warum es überhaupt diesen Zug gibt, warum er sich bewegt, und was die Voraussetzung ist, damit diese Bewegung in diesem Augenblick stattfinden kann.

    Seine Begründung lautet, dass es ein notwendig existierendes, sich selbst erklärendes Fundament braucht, welches Existenz und Veränderung überhaupt ermöglicht. Somit entspricht die thomasische „prima causa“ weitgehend dem Konzept des „Groundings“ in der heutigen analytischen Philosophie. Aus diesem Grund greifen auch die Argumente eines naiven Atheismus à la Dawkins zu kurz, da sie Thomas schlicht missverstehen.

    Die Konzept der „prima causa“ von Thomas hat übrigens auch wichtige theologische Implikationen. Denn aus Thomas‘ Sicht fand die Schöpfung nicht irgend einmal in der Vergangenheit statt, sondern die Schöpfung findet heute und in jedem Augenblick statt, indem Gott seine Schöpfung in geordneter Existenz hält und damit seine Wertschätzung uns gegenüber im Hier und Jetzt demonstriert. Meines Erachtens ein ausserordentlich schönes Bild von Schöpfung, welches künstliche Kontroversen mit den Naturwissenschaften eliminiert. 

    Und damit schliesst sich dann der Bogen zu einem Eurer Gedanken am Schluss zu den Voraussetzung von Wissenschaft, nämlich dass Wissenschaft ein geordnetes und damit für uns verständliches Universum braucht, was mit dem Konzept der „prima causa“ naheliegend natürlich-theologisch interpretiert werden kann. 

    Herzliche Grüsse

    Jean-Marc

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