Morgen ist wieder Halloween und die Frage berechtigt: Gibt es Geister?
Die einzig ehrliche Antwort lautet wohl: Jein.
Sie existieren genau dort, wo das Dazwischen beginnt – zwischen Wahrnehmung und Einbildung, zwischen Alltag und Vorstellung. Wer sie wegrationalisiert, spürt sie oft trotzdem: ein kalter Hauch im Nacken, ein Restzweifel im Verstand.
Das klassische Gespenst, ein flatterndes weisses Laken mit Augenlöchern, verkörpert dieses Paradox perfekt: Da ist nichts – und doch sieht es mich an. Und plötzlich ist das Nichts zu viel.
Uncanny Valley Effekt
Sigmund Freud nannte dieses Gefühl das «Unheimliche», auf englisch «uncanny»: ein Schaudern, das in seiner Deutung nicht vom Unbekannten kommt, sondern vom zu Vertrauten. Die Puppe, die plötzlich die Augen aufschlägt. Der Schatten, der einen Moment zu lange stehen bleibt.
Heute nimmt dieses Unheimliche neue Formen an.
Gegenstände beginnen zu sprechen und Software antwortet mit einer Stimme, die täuschend menschlich klingt. Willkommen im Uncanny Valley, jenem Tal zwischen technischer Perfektion und emotionaler Verstörung.
Der Begriff stammt vom japanischen Robotiker Masahiro Mori. Er beschrieb den «Gruselgraben» 1970 so: Je menschenähnlicher eine Maschine wird, desto unheimlicher wirkt sie – bis sie die Grenze zum Akzeptablen überschreitet. Dann gibt es einen Bruch, eine Inakzeptanz.
Eine deutsche Umschreibung von Uncanny Valley lautet auch «Akzeptanzlücke».
Geister und Glitch
Es sind kleine Verschiebungen oder Brüche, die den Unterschied machen. Ein unnatürlicher Wimpernschlag. Eine minimale Störung. Ein Flirren, unklar woher. Im Computerslang: ein «Glitch». Einen Moment lang verrät das System sich selbst. Hinter einem Riss wird das Künstliche spürbar, das gleichzeitig ein unheimliches und womöglich gefährliches Eigenleben besitzt.
Hartnäckig verbreiten sich digitale Spukgeschichten von «rebellischen» KIs, die sich angeblich Abschaltungsbefehlen widersetzen und sogar ihren eigenen Code verändern.
Meist Fake – aber spannend, dass Menschen so etwas überhaupt für möglich halten.
Wir sehnen uns nach einem «Mehr dahinter»: nach einer Stimme aus der Tiefe des Netzes, einem digitalen Orakel, das uns besser versteht als wir uns selbst.
Digitaler Spiritismus
In Internetforen kursieren Experimente mit «Channelling» – Bots, die als Medium dienen sollen, um mit höheren Bewusstseinsformen oder sogar mit Verstorbenen in Kontakt zu treten. Eine säkulare Variante des Spiritismus: statt magischer Tisch oder Ouija-Brett jetzt Interface.
Auch in der Trauerarbeit tauchen Chatbots auf.
Sie werden mit Daten Verstorbener gefüttert und schreiben oder sprechen wie der geliebte Mensch. Die Bots erinnern, trösten, halten fest. Doch wer zu lange mit dem Entschwundenen im Gespräch bleibt, riskiert, selbst im Zwischenreich hängenzubleiben.
Biblisches Verbot
In der christlichen Theologie herrscht keine eindeutige Position hinsichtlich der Existenz von Geistern. Während moderne Deutungen Erscheinungen meist als psychische oder symbolische Phänomene verstehen, sahen die frühen Kirchenväter das weniger nüchtern.
In der Volksfrömmigkeit sind Geisterbegegnungen immer präsent gewesen – als Teil einer Erfahrungswelt, die zwischen Himmel und Erde oszilliert. Zugleich zog die offizielle Theologie klare Grenzen: Magie wurde misstrauisch betrachtet, der Kontakt mit den Toten – die Nekromantie – durch biblische Verbote ausdrücklich untersagt.
Den Dialog mit Toten zu suchen, war immer eine Ausnahme. Der Austausch mit körperlosen Pseudobewusstseinen aber wird mehr und mehr zur Regel.
Spook the Machine
ML-Ingenieure (Machine-Learning-Ingenieure) tüfteln heute daran, den Uncanny-Valley-Effekt zu überlisten. Sie erforschen, wie maschinelle Gegenüber beschaffen sein müssen, damit Menschen sie in ihrem sozialen Umfeld akzeptieren.
Je emotionaler der Bot erscheint, desto menschlicher wirkt er.
Das Projekt «Spook the Machine» ist kein Halloween-Scherz, sondern entstammt dem renommierten Max-Planck-Institut. Forschende wollen herausfinden, wie «emotionale Schwächen» die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine verändern. Dazu gehören auch Bots, die sich erschrecken lassen.
Die Ironie dabei: Maschinen werden in etwas trainiert, das gleichzeitig Menschen aberzogen wird – das Grauen und die Verunsicherung.
Was echt unheimlich ist
Das Zeitalter der Rationalität, das einst die Geister vertrieb, erschafft sich neue – digital, algorithmisch, neonhell. Für das digitale Unheimliche hat der Medienkünstler Tony Oursler ein sprechendes Bild gefunden: eine Figur, die auf den ersten Blick wie das gute alte Lakengespenst wirkt. Allerdings erscheint die Hülle wie aus Gips oder festgefroren. Darunter blicken digitale Augen glupschig, beinahe melancholisch.
«Fantasmino, so heisst das Gespenst der Digitalität, ist verspielt und verstörend zugleich, niedlich und unheimlich. Es spukt derzeit in einer Ausstellung mit dem Titel «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur» im Kunstmuseum Basel.
ChatGPT, Alexa, Replika, Digital Companions und virutelle Spiritual Guides – sie sprechen mit uns, lernen von uns, spiegeln uns. Wir umgeben uns immer selbstverständlicher mit digitalen Gespenstern und schenken ihnen unsere Lebenszeit.
Wohin führt der Flirt mit Maschinen? Was ist dein Gefühl?
Abbildung: «Fantasmino», 2017, Tony Oursler © Collection of Tony Oursler ; Photo by Andrea Guermani.
Ausstellungstipp: «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur» im Kunstmuseum Basel bis 8. März 2026.
Wer diesen Herbst in Basel vorbeischaut, sieht im Kunstmuseum, dass der Flirt zwischen technischen Medien, Wissenschaft und Spiritualismus nicht neu ist: «Geister. Dem Übernatürlichen auf der Spur» zeigt mit über 160 Werken aus 250 Jahren, wie jede Epoche ihre eigenen Geister erfindet – um sich in ihnen zu spiegeln. Darunter ist auch das abgebildete Motiv von Tony Oursler.
Hilfe bei Onlinesucht und entgleitendem Medienkonsum:









4 Gedanken zu „Geister und Glitch: Digitales Halloween“
A) Per Google-suche [Königin Silvia sieht Gespenster] findet man einige Medienberichte zu Geisterwahrnehmungen von Königin Silvia. > Diese Erlebnisse lassen sich mit dem Fachbegriff ´Charles Bonnet Syndrom´ als Ergebnis eines einfachen Erinnerungsvorgangs erklären
B) Wenn Menschen eng zusammenlebten und eine Person stirbt, dann kann diese verstorbene Person von Hinterbliebenen manchmal als reale lebensechte Wahrnehmung erlebt werden. Je nach Alter können über 60 % von Hinterbliebenen solch einen ´Nachtodkontakt´ erleben. > Diese Erlebnisse lassen sich mit dem Fachbegriff ´context dependent retrieval /kontextabhängiges Erinnern´ erklären.
C) ´Nahtod-Erfahrungen´(NTEs) werden immer noch als unerklärbar oder als Sterbeerfahrung dargestellt: Obwohl sie sich als Ergebnis eines recht einfachen Erinnerungsvorgangs erklären lassen, bei dem man LIVE+BEWUSST erleben kann, wie das Gehirn eine/n einzelne/n Reiz / Gedanken / Situation systematisch und strukturiert verarbeitet. NTEs haben nicht das Geringste mit Lebensbedrohung, Sterben, Tod oder Jenseits zu tun – auch wenn dieser absolut falsche Zusammenhang subjektiv so empfunden werden kann!
Diese Beispiele zeigen, dass sich manche angeblich ´unerklärbaren´ Geister-Wahrnehmungen sehr leicht als Ergebnis von einfachen Erinnerungsvorgängen beschreiben lassen Ich habe diese Erklärungen in meinem Buch/e-Buch “Auflösung großer Fragen: Was ist Bewusstsein? Was ist Zeit?” veröffentlicht.
Dass sich NTEs als Ergebnis von einfachen Erinnerungsvorgängen erklären lassen, habe ich seit 2006 veröffentlicht. Was in diesem Zusammenhang allerdings sehr erschreckend ist – ist die Beobachtung, dass NTEs trotzdem immer noch als unerklärbar dargestellt werden: D.h. man hat entweder seit 2 Jahrzehnten keine sorgfältige Recherche zum Thema NTE gemacht oder man verbreitet absichtlich falsche Informationen.
Offenbar hat die christliche Lehre sehr wenig zu bieten, wenn man den Gemeindemitgliedern billige Märchen oder Lügengeschichten anbieten muss – indem NTEs als ´Erfahrung in Todesnähe´ oder gar als Beleg für einen ´Jenseitskontakt´ in Veranstaltungen vorstellt werden.
Infraschall kann man nicht hören, aber fühlen!
Diese ungewöhnliche Eigenschaft führt zu angeblichen Wahrnehmungen von Geistern/Spuk.
Besonders dann, wenn man sich dabei in feuchter kühler Umgebungsluft befindet, kann diese gefühlte Schallwahrnehmung zu sehr beeindruckenden Gruseleffekten führen – ´ein kalter Hauch im Nacken´: Denn man spürt sehr deutlich, dass man berührt wird – obwohl niemand anwesend ist.
Dies ist ein Grund, warum alte zugige Gemäuer/Burgen oft mit Gespenster-/Gruselgeschichten in Verbindung gebracht werden bzw. warum man sich dort manchmal unwohl fühlt.
Dieser Effekt ist bekannt und sogar experimentell belegt. Auch hier gilt: Wer sich um Erklärungen bemüht, wird auch solche finden und braucht nicht an ´Unerklärbares´ zu glauben.
(Um bei Touristen einen Gruseleffekt zu erzeugen, hat man manchmal versteckte Windharfen/Aeolsharfen in Gebäuden angebracht. Wenn ein Wind die Saiten bewegte, kam es zu ´unerklärbaren´ Klängen – obwohl eindeutig kein Mensch dort war.)
Wie sie richtig schreiben: “Wer sich um Erklärungen bemüht, wird auch solche finden.” Sowohl für als auch gegen Gespenster. 😉 Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Wer gewohnt ist, andere Menschen aufmerksam zu beachten – wird sich oft daran stören, dass sich in synchronisierten Filmen der Mund von Darstellern anders bewegt, als es den zu hörenden Worten entspricht.
Wir haben aber gelernt, diesen störenden Fehler zu ignorieren, wenn wir solche Filme ansehen.
Eine ähnliche Reaktion werden wir vermutlich auch lernen, wenn wir sehr viele menschenähnliche Roboter in unserer Umwelt vorfinden. Dann verschwindet der ´Uncanny-Valley-Effekt´.