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 Lesedauer: 6 Minuten

We’re busy with revolution!

Als ich vor wenigen Tagen einen iranischen Freund über Facebook kontaktierte, es ging um ein Zeitschriftenprojekt, antwortete er mit einer Vertröstung: Sorry, er würde sich «asap» melden, aber für den Moment seien sie «busy with Iranian revolution».

Protestwellen ergiessen sich einmal mehr über verschiedene iranische Städte. Auslöser war die kürzliche Verhaftung einer jungen Frau, Mahsa Amini (#mahsaamini) durch die iranische Sittenwacht, und ihr mutmasslich gewaltsamer Tod in Gefängnisgewahrsam.

Das Vergehen der 22-Jährigen: Sie hatte ihr Kopftuch, den Hijab, nicht regelkonform aufgesetzt. An ihr wurde ein Exempel statuiert. Inzwischen sind Dutzende Menschen bei Protesten getötet worden.

Seit Längerem interpretieren selbstbewusste Frauen im Iran die Kleidungsvorschriften eigenwillig. Die Kopfschleier sind immer weiter Richtung Nacken gerutscht, die Haare nur teilweise bedeckt.

Aufstand der Frauen

Vor vier Wochen erzählte mir ein Exiliraner aus der Schweiz, wie «mutig» er die Frauen in diesem Sommer im Iran erlebt habe.

«Immer mehr Frauen im Iran sind inzwischen ohne Kopfbedeckung unterwegs. Es ändert sich etwas», sagte der Mann.

Was die jetzige Protestwelle bewirkt, lässt sich noch nicht abschätzten. Der Kampf richtet sich gegen religiös begründete Bevormundung durch Geistliche und deren bewaffnete Truppen wie die Revolutionswächter.

Was als Aufstand der Frauen begann, hat sich ausgeweitet. Das Regime antwortet mit harter Polizeigewalt. Den Frauen haben sich weitere Protestierende angeschlossen. Darunter auch Fromme, die der Ansicht sind, es sei nicht im Sinne des Islam, Menschen religiöse Kleidervorschriften mit Gewalt aufzuzwingen. Und die eine Abkehr von der Religion aufgrund des ausgeübten Zwangs beklagen.

Bilder auf Social Media zeigen junge Frauen bei Strassenprotesten. Sie reissen die verhassten Tücher vom Kopf, schwingen sie wild durch die Lüfte und knallen die Schleier schliesslich ins Feuer. Aber damit nicht genug: Zornig-verzweifelte Frauen scheren ihr fülliges schwarzes oder blond gefärbtes Haar in der Öffentlichkeit.

In gewisser Weise reissen diese Frauen ihre Weiblichkeit vom Kopf. Lieber eine Glatze tragen als ein Weiblichkeitssymbol, das auf der Kopfhaut festgewachsen ist. Das weibliche Haar gilt es ja, als ob es etwas Obszönes wäre, gegen Androhung von Strafen peinlich zu verbergen.

Vor ein paar Jahren habe ich selbst Hijab getragen. Nur zwei Wochen, als Touristin. Anders als die Einheimischen konnte ich das Tuch nach dem Ende der Iranreise einfach in meine Tasche stopfen. Allerdings erst im Flugzeug. Denn wer iranischen Boden betritt, ist, auch als Ausländerin, verschleierungspflichtig.

Das verfluchte Ding

Das Kopftuchtragen fiel mir eigentümlich schwer, und dass nicht nur wegen der sengenden Hitze in Teheran und Kaschan im September. Ich hatte zu Hause in Berlin vor dem Spiegel geübt, hatte sogar Rat bei kopftuchtragenden Türkinnen in Kreuzberg eingeholt. Ich fand für das verfluchte Ding aber keine tragbare Lösung.

Vielleicht gewöhne ich mich vor Ort, dachte ich, und betrachtete es als Schule gegen meine Eitelkeit. Dann siehst du eben zwanzig Jahre älter aus. So what? Aber da war noch etwas anderes, Tieferes:

Ich hatte den Eindruck, das Kopftuch blendet meine Persönlichkeit aus.

Vor allem, wenn wir schöne Begegnungen hatten, kam es mir vor, als sei ich neben meinem Mann zu einer Stoffhülle geschrumpft und könne mich nicht zeigen, wie ich bin. Es war deutlich vor der Coronazeit. Inzwischen haben wir uns alle an Masken gewöhnt und an noch weniger Ausdrucksmöglichkeiten, als ich sie damals mit dem kopftuchgerahmten Gesicht zur Verfügung hatte.

Coronamasken aber tragen alle, nicht nur Männer oder nicht ausschliesslich Frauen. Der für Frauen reservierte Hijab aber hat mir das Gefühl der Aussonderung vermittelt, den Eindruck, dass mit mir qua meinem Frausein etwas nicht stimmt. Ich hatte sogar unterschwellig das Gefühl, potenziell straffällig zu sein. Ich trug zwar Kopfschleier, aber trug ich ihn richtig? Und öfters rutschte das Tuch herunter, ohne dass ich es merkte.

Selbstverständlich riskierte ich, anders als die mutigen Iranerinnen, nichts.

Auf grösseren Plätzen geriet ich ins Blickfeld der Tugendwächter. Ihre Aufgabe besteht tatsächlich darin, dazustehen und mit prüfender Miene die Kleidung der Frauen zu überwachen. Ein kurzer, skeptischer Blick auf die Ausländerin. Nun ja, sie kann weitergehen.

Staatliche Tugendwächter

Die Moralhüter, denen ich begegnete, waren überwiegend sehr junge Männer in Uniformen. Unsere iranischen Bekannten erzählten, die Moralpolizisten würden sich mit den selbstbewussten jungen Mädchen gar nicht anlegen. Sie seien ihrer Schlagfertigkeit nämlich nicht gewachsen. Sie würden lieber Frauen herauspicken und abmahnen, bei denen kaum Gegenrede zu erwarten sei. Das kann ich mir vorstellen.

Ich fand es schwierig, mich an die Kleiderkontrolle zu gewöhnen und konnte fast die Frauen in schwarzer Komplettverhüllung, in Tschadors, verstehen. Sack drüber und fertig. Was unter dem Sack ist, geht den Staat nichts an.

«Schau dir an, wie wir uns kleiden müssen, bei der enormen Hitze in unserem Land», sagte eine junge Frau zu mir, «und du wunderst dich nicht mehr darüber, dass wir kaum nach draussen gehen.» Die Kleiderordnung führt nicht zuletzt dazu, Frauen ein öffentliches Leben zu erschweren.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat über Jahre hinweg detaillierte Iran-Reporte veröffentlicht (und diese leider Ende 2021 eingestellt). Darin berichtete sie auch von Tugendwächtern. Immer wieder gab es Razzien. Junge Menschen, die in privaten Häusern Partys feierten, wurden für ihr freizügiges Leben ausgepeitscht.

Bei Hauspartys einflussreicher Geschäftsleute in Teheran waren keine Razzien zu befürchten. Noch nie habe ich so viel Alkohol erlebt, wie bei einer solchen Hausparty. Und noch nie so viel Schwermut. Damals, 2016, waren gerade die jungen Leute aus den Gefängnissen entlassen worden, die bei den Aufständen 2009 inhaftiert worden waren. Die Dachterrassen sind mit Holz verplankt, um die exklusiven Orte vor Blicken zu schützen.

Ich hatte mir zuvor nicht vorstellen können, wie schnell Menschen Schleier vom Kopf reissen können. Kaum über die Türschwelle getreten, rissen Iranerinnen die Tücher vom Kopf, entledigten sich der Mäntel, schleuderten die Hüllen in eine Garderobe und standen vollkommen verwandelt vor uns: So wie sie sein und leben wollen. Während wir wünschten, wir hätten auch ein paar coole Sachen in den Koffer gepackt.

Kopfscheren für die Freiheit

Mit dem Scheren der Haare gehen die Frauen jetzt einen Schritt weiter. Haar abzuschneiden ist ein Symbol der Trauer. Geschorene Köpfe lassen auch an Gefangene denken. Der Verschleierungszwang ist für viele wie eine Haft. Durch das Scheren der Haare berauben sich Frauen eines Teils ihrer Ausdruckskraft.

Von Köpfen demonstrativ getrennte Haare aber sind ein mächtiges Freiheitssymbol.

Ikonisch geworden ist eine Fahne, nicht aus Stoff, sondern mit im Wind wehenden Haaren.

 

Die Iranische Revolution

Die Iranische Revolution führte 1979 zur Absetzung von Schah Mohammad Reza Pahlavi und zur Beendigung der Monarchie im Iran. Die Vorgeschichte ist lang. Die Etablierung der Demokratie durch Premierminister Mohammad Mossadegh war 1953 durch die USA und Großbritannien vereitelt worden. Es gilt als früher Sündenfall westlicher Interventionspolitik.

Photo by saeed karimi on Unsplash

Twitter/Leena Manimekalai

 

Am 1. Oktober ist Weltaktionstag für den Iran unter dem Motto «Frau, Leben, Freiheit»: 14-16 Uhr, Rathausbrücke Zürich.

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