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Weder Hagia noch Sophia

Diesen Freitag wird in der Hagia Sophia in Istanbul das erste Freitagsgebet seit Jahrzehnten abgehalten. Rund 2000 Gäste werden erwartet, wahrscheinlich alle mit Corona-Masken. Sie werden zusammen mit Erdogan das Eröffnungsgebet sprechen, das ›VIP-Gebet‹, wie türkische Medien das Ereignis nennen. Mosaike von Maria, Jesus und Heiligen werden während der islamischen Zeremonie mit Vorhängen verhüllt. Um die Stoffe zu befestigen, lässt der türkische Präsident jetzt angeblich Löcher in das spätantike Baudenkmal bohren.

Die Nachricht, dass ein türkisches Gericht die Rechtsgrundlage der Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum aus dem Jahr 1934 für ungültig erklärt hat und das Gebäude wieder (oder immer noch?) Moschee ist, platzte Anfang Juli wie eine Bombe. Inzwischen sind zwei Wochen vergangen und sämtliche Autoritäten, von orthodoxen Metropoliten und Patriarchen über den katholischen Papst Franziskus, die Europäische Union, Russland und die USA haben ihr Unverständnis und ihre Bestürzung zum Ausdruck gebracht. Zurecht!

Der Name Hagia Sophia ist abgeleitet vom griechischen Ἁγία Σοφία ›heilige Weisheit‹. Was wir gerade in Istanbul sehen, ist dagegen weder weise noch heilig, sondern plump. Es ist ein konfrontativer Akt mehr in einer langen Reihe von Machtdemonstrationen eines autokratischen Herrschers.

Dass Journalisten und Menschenrechtsaktivisten wegen angeblicher ›Terrorpropaganda‹ in der Türkei jahrelang hinter Gitter kommen und viele andere politische Gefangene in Erdogans Gefängnissen schmachten, hat sich wie ein Alptraum auf die Stadt am Bosporus gelegt, die noch vor wenigen Jahren eine der weltoffensten Städte im Nahen Osten gewesen ist.

Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist verglichen mit dem Leid von Staatsgeiseln von untergeordneter Bedeutung. Dennoch hat mich die Nachricht in ein temporäres Hirnkoma versetzt. Ich weigerte mich tagelang, die Nachricht zu beachten. Das passiert mir immer, wenn ich mit Unverschämtheiten, Aggressionen, Protzigkeit oder Übergriffigkeit zu tun habe. Ich schalte dann intuitiv auf Standby. Zugegebenermassen keine sehr kluge Strategie, aber immerhin bewahrt sie mich vor Schnellschüssen. In diesem Fall war aber nicht nur Abwehr im Spiel, sondern ein innerer Widerstreit, der mich blockierte.

Es wird wieder gebetet

Zum einen fühlte ich, obwohl keine orthodoxe Christin, den Nachhall einer über ein halbes Jahrtausend alten Verletzung. Die Präpotenz der jetzigen Umwidmung erweckte in mir, merkwürdig genug, so etwas wie einen uralten Groll, von dem ich gar nicht wusste, dass er auch in mir fortleben könnte: Über die Eroberung und Islamisierung des prominentesten Baus der orthodoxen Christenheit.

Wenn die Kreuzzüge in der Islamischen Welt noch heute lebendig sind, dann kann ich das jetzt besser nachvollziehen. Die Geschichte ist nicht nur voller Leichen, sondern auch voller Geister – Rachegeister auch – die nach Wirten suchen, derer sie sich bemächtigen können.

Zum anderen waren es genau solche distanzierenden Selbstbeobachtungen, die ein deeskalierendes ›So what?‹ stärkten. Zumal ja die Istanbuler Hagia Sophia so lange schon eine Moschee war, (davor war sie 900 Jahre lang eine christliche Kirche), und die Säkularisierungsphase verglichen damit lächerlich kurz erscheint. Weshalb sollte der Bau nicht wieder als Moschee genutzt werden? Und ist es nicht sogar schön, wenn in dem Gotteshaus wieder gebetet wird?

Ein Symbol der Staatsmacht

In der postmodernen Museologie hat es eine Mode der Resakralisierung gegeben. Museumsleute haben funktionierende Altäre in Museumsräume hineingestellt. Für seine Ausstellung »Altäre – Kunst zum Niederknien« hatte Jean-Hubert Martin im Jahr 2001 knapp siebzig zeitgenössische Altäre aus über dreissig Ländern ins Museum Kunst Palast in Düsseldorf geholt. Zur Eröffnung waren Priester und Künstler aus aller Welt versammelt. Mit sogenannten ›Ritualinstallationen‹ wurde und wird das Museum als Raum der Aufklärung und ideologischen Neutralisierung herausgefordert.

Die reislamisierte Hagia Sophia aber wird keine Ritualinstallation sein, sondern eine Staatsinstallation, und das ist das Empörende daran.

Die Instrumentalisierung der Religion für machtpolitische Zwecke und nicht die Frage nach Kirche oder Moschee ist es, die bei vielen religiösen Menschen Wut erzeugt, egal ob sie Christen sind oder Muslime, und bei Agnostikern die Religionsablehnung weiter vertieft.

Ungenierte staatsreligiöse und machtpolitische Ausschlachtung heiliger Orte gibt es sowohl auf muslimischer wie auch auf christlicher Seite. Ich erinnere mich an einen Moscheebesuch im Norden der iranischen Hauptstadt Teheran am Fusse des malerischen Dorfes Darband. Es war mein erster Besuch in einer iranischen Moschee. Ich war fasziniert von der spirituellen Kultur des gelassenen Miteinanders. Einige tranken Tee, einige machten ein Nickerchen, ein Mann schluchzte und wurde getröstet. Beim Hinausgehen verflog der Zauber: durch monumentale Porträts finster blickender Mullahs an der Moscheefassade und riesige LED-Bildschirme, die auf dem zum Sakralbereich gehörenden Vorplatz politische Hassparolen in Endlosschleifen zeigten.

Eine Bühne für den Präsidenten

Bei einem Moskaubesuch vor ein paar Jahren war ich erpicht darauf, einen Blick in die berühmte Christ-Erlöser-Kathedrale zu werfen, in der der russische Präsident Wladimir Putin medienwirksam den Schulterschluss mit der russischen Orthodoxie zelebriert und wo die Punkmädchen von Pussy Riot ihre umstrittene Aktion ab- und Putins Ärger auf sich gezogen haben. Die Kathedrale ist in den 1990er Jahren mit Spendengeldern wiederaufgebaut worden, auf Betreiben politischer Kreise. In der kommunistischen Zeit befand sich an der Stelle ein beheiztes öffentliches Schwimmbad, über dem im Winter immer eine Dunstwolke lag.

Bei meinem Besuch war die Christ-Erlöser-Kathedrale prall gefüllt mit Touristen und Gläubigen. Unter den Betern waren Frauen deutlich in der Überzahl. Alle weiblichen Besucher, mich eingeschlossen, trugen Kopftücher. Es mangelte nicht an sakraler Atmosphäre. Gleichzeitig haftete dem Ganzen etwas Glattes und Showmässiges an, so als würden jeden Moment Putin und das russische Staatsfernsehen auftreten. Ich habe mich in der goldglänzend-protzigen Kathedrale unwohl gefühlt und kann nachfühlen, dass manche Moskauer das öffentliche Schwimmbad zurücksehnen.

Und das ist vielleicht der tiefere Grund für die Frustattacke durch die Umwidmung der Hagia-Sophia: Sie spiegelt, weit über diese Entscheidung und den Islam hinaus, die ganze Ambiguität jener ›Rückkehr der Religion‹, von der seit einem Vierteljahrhundert die Rede ist, eine Ambiguität, die auch meine Seele durchzieht:

Die säkulare Moderne schien, solange sie übermächtig war, die kulturelle und religiöse Vielfalt der Welt plattzumachen und ich freute mich über Anzeichen der Wiederkehr der Religionen. Je mehr dies geschieht, umso mehr aber wird Religion wieder von der Politik instrumentalisiert, – und umso mehr beginnt die säkulare Ära als (kurze?) Blüte der Vernunft, Weltoffenheit und Toleranz zu erscheinen.

 

Photo by Zen zeee on Unsplash

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