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 Lesedauer: 3 Minuten

Über einen Optimisten

Liebes RefLab,

ich habe einen Freund. Er ist Optimist. Und dafür schämt er sich im Moment ganz furchtbar. Dass man ihn belächelt, ist er gewohnt. Doch nun wird er nicht mehr bloss naiv, sondern zynisch geschimpft! Sein Mantra aus „Fürchte Dich nicht“, „Mach Dir keine Sorgen“ und „Ich bin bei euch“ – woher er das Zeug bloss hat? – wird ihm um die Ohren gehauen: Unverantwortlich! Realitätsfern! Von einer anderen Welt! Und definitiv von gestern. – Natürlich, gibt er zu, ist so ein „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gepriesen sei der Name des Herrn.“, schon schwerer Tobak. Aber ihn habe das immer zuversichtlich gestimmt.

Kein fairer Prozess

Heikel wird’s, wenn man ihn auf sein Sektenoberhaupt, den berühmten Herrn Leibniz und dessen Gerechtigkeitsfimmel anspricht. Er wär‘ mir fast unter die Decke gegangen dabei: Sich auf diese Theodizee einzulassen war der klügste Einfall nicht. Und mit Gerechtigkeit habe das schon gar nichts zu tun: Man setzt den lieben Gott, der ja alles so schön schlecht gemacht hat, genau dafür auf die Anklagebank. Dann tritt als Ankläger auf: der Mensch. Als Belastungszeuge sagt aus: der Mensch. Einen Verteidiger hat Gott auf die schnelle nicht gefunden – es waren nur Menschen da. Und das Urteil? Das spricht auch: der Mensch. Sowas kann nicht gut ausgehen. So war’s auch: schuldig in allen Punkten: Erdbeben, Massenmord, Pandemie.

Ein neuer Gott?

Er ist kein Freund von Rechtshändeln, sagt mein Freund. Die Theodizee habe sich der frühneuzeitliche Perückenträger, der übrigens Sachse und nicht Preusse war, nur ausgedacht, um denkend glauben zu können. Und zwar an solche Sätze wie: „Und siehe, es war sehr gut.“ Das fand mein Freund nicht schlecht. – In der Zwischenzeit ist aber viel passiert, sage ich ihm. Man kann das nicht mehr einfach so sagen. Natürlich ist alles sehr gut, wenn etwas ganz neu ist. Aber das nutzt sich ab. Irgendwann ist nichts mehr gut. – Das hat ihn ratlos gemacht. Braucht so eine abgenutzte Welt vielleicht als Ersatzteil irgendwann einen neuen Gott? Sich jetzt aber auf dem Markt der Möglichkeiten einen auszusuchen, das scheint ihm dann aber doch zu preussisch zu sein: Natürlich könne jeder nach seiner Façon selig werden, das sei schon recht. Aber den eigenen Schöpfer auszutauschen, scheint ihm etwas zu viel verlangt.

Und er finde auch keine gute Alternative. Denn das sei es ja gerade mit seinem Gott: der ist zwar zwischendurch mal Mensch geworden – aber sonst ist er ganz anders als die Menschen. Freilich, manchmal verstehe er ihn selbst nicht. Dann klagt und zetert er, sagt mein Freund. – Aber er hat es dann auch ganz vernünftig gefunden, Mensch zu bleiben. Gott traut er sich nicht zu.

Ich bin ratlos. Ich habe lange auf ihn eingeredet: Der Glaubenswechsel will nicht gelingen. – Das wäre aber nur vernünftig oder jedenfalls schön einfach. Hier steh‘ ich nun und weiss nicht weiter: Was meinem Freund sagen? Ist er ein glaubenstoller Hohlkopf?

2 Kommentare zu „Über einen Optimisten“

  1. Herr Goetze, Ihr Freund ist so lange ein „glaubenstoller Hohlkopf“, wie er seine religiösen Überzeugungen für Aussagen über die Welt hält. Stattdessen lässt sich vernünftigerweise, d.h. logisch und erkenntnistheoretisch, gut begründen, dass religiöse Überzeugungen selbstbezügliche Aussagen sind. „Ich glaube, dass…“ sagt etwas über den Sprecher (m/w/d) aus und nicht über die Welt – eine von vielen „Kränkungen“, mit denen der Mensch in den letzten Jahrhunderten konfrontiert wurde und umzugehen lernt.

    Deswegen lassen sie mich Ihrem Freund ein ethisches „Trostpflaster“ anbieten. Lassen Sie uns gemeinsam heute daran arbeiten und für die Zukunft planen, dass das Leid möglichst Vieler empfindungsfähiger Wesen in dieser Welt gemindert und ihr Wohlbefinden, uns selbst eingeschlossen, gemehrt wird. Vielleicht (bildlich gesprochen) liegt dann schon bald das Lamm beim Löwen.

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