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Superheld:innen in Krisenzeiten

Die grosse Zeit der Comichefte, die Superheld:innen als Hauptfiguren hatten, ist seit langer Zeit vorbei. Das heisst aber nicht, dass Superman, Wonder Woman und Batman weniger wichtig geworden sind. Im Gegenteil: Ihre Geschichten können nun auf Games, Kinoleinwänden und Netflix-Serien miterlebt werden. Die (meisten) Filme sind Kassenschlager geworden, DC- und Marvelfiguren gehören schon lange zur Popkultur und sind als Merchandising-Artikel willkommene Weihnachtsgeschenke. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass Superheld:innen noch nie so berühmt waren wie heute.

Einleitende Bemerkungen

Wissenschaftliche Literatur zu Superheld:innen und ihren Antagonisten ist im deutschsprachigen Raum dünn gesät. Es gibt bei Reclam eine Zusammenfassung von Dietmar Dath zu den wichtigsten «Superhelden». Die folgenden Ausführungen basieren mehrheitlich auf der Dissertationsschrift «Superheld*innen – Gottheiten der Gegenwart?» von Nicolaus Wilder (2022), die eine umfassende historisch-philosophische Übersicht bietet (auf diesen Titel beziehen sich im Folgenden die Seitenangaben).

Was zeichnet Superheld:innen aus?

Es ist kein Zufall, dass Comics mit Superheld:innen besonders in Krisenzeiten nachgefragt wurden. Sie sind Reaktionen auf Katastrophen und Krisen, in denen Menschen sich ohnmächtig gefühlt haben (23ff). Dabei bildeten sie das Gegengewicht zur gesellschaftlichen Desorientierung und zum Chaos. Die politische Dimension der Comics-Narrative darf deshalb nicht ausser Acht gelassen werden:

Neue Superheld:innen entstanden, wenn die Zeit dafür reif war. Sie waren oft Projektionen für unbefriedigte Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte.

Nebst der Orientierung im «Hier und Jetzt» bieten Superheld:innen auch Hoffnung für die Zukunft und zeichnen Utopien für eine bessere Welt (26f).

In einer säkularen Gesellschaft können sie als Gottheiten der Moderne betrachtet werden, die Licht ins Dunkle bringen.

Das Superhelden-Narrativ symbolisiert somit den kollektiven Sinn für Gerechtigkeit, Hoffnung und Zuversicht. Es ist unverkennbar mythisch-religiös geprägt: «Damit sind Mythen und Utopien kulturelle Antworten zur orientierenden Wiederherstellung von Ordnung auf durch Krisen verursachte Unordnung, oder, um an dieser Stelle die Orientierungsterminologie zu verwenden, Desorientierung» (48).

Der Mythos erklärt die Krise in der Retrospektive, währenddessen die Utopie prospektiv ein Ideal für die Zukunft entwirft. Der Mythos kann als Reflex verstanden werden, die Utopie hingegen als Reflexion (vgl. 49).

Superheld:innen sind heroische Figuren, die selbstlos einer Mission folgen.

Sie besitzen aussergewöhnliche Fähigkeiten, Superkräfte und moralische Eigenschaften, die andere inspirieren.

Die ikonischen Kostüme, die sie tragen, symbolisieren entweder ihre Biografie oder ihren Charakter. Durch die Maskierung wird ihre (Doppel-)Identität und die Metamorphose des Helden ausgedrückt (vgl. 76ff).

Die Superkräfte können dabei angeboren (Superman) oder göttlichen Ursprungs sein (Thor), durch Radioaktivität (Spider-Man) oder genetische Mutation (X-Men) verursacht werden. Es gibt aber auch Superheld:innen die «menschlicher» sind und durch Training und fortgeschrittene Technologie reüssieren (Iron Man oder Batman).

Ihre Antagonisten sind Antiheld:innen oder Schurken, die zumeist amoralisch und egoistisch sind. Ihr Kampf ist ein Kampf um die Vorherrschaft (vgl. 88).

Das goldene Zeitalter

Die Geburt der Superheld:innen erfolgte in ihrem ursprünglichen Medium, dem Comic, mit Superman im Jahr 1938 (vgl. 2). Die Figur wurde von Jerry Siegel und Joe Shuster bereits 1934 konzipiert. Beide Autoren waren jüdische Emigrantenkinder. Siegels Vater war bei einem nie aufgeklärten Raubüberfall ermordet worden. Die Bekämpfung des Verbrechens war aus diesem Grund für Siegel zentral. Joe Shuster war hingegen ein Fan des Bodybuildings, das im Amerika der 30er Jahre als Symbol für männliche Stärke und Mut galt. Superman war ein Kind der grossen Depression, der Unterdrückung der Juden in Nazideutschland und der persönlichen Erlebnisse dieser zwei Autoren. Deshalb hatte der Superheld ursprünglich als Slogan «Truth, Justice and the American Way» (97).

«Als Clark Kent verkörperte er die Ängste und Nöte der Menschen, als Superman deren Lösungen.» (97)

Superman wurde somit zum Prototypen des Superhelden. Es folgten weitere: Captain America war der Gegenspieler Hitlers, Wonder Woman die weibliche Heldin «to fight fascism with feminism». Sie entwickelte sich zum Symbol des in den 40er Jahren aufkommenden Feminismus in den USA (104f).

Das war die goldene Zeit der Superhelden-Comics. Während des 2. Weltkriegs wurden 700 Superheld:innen erfunden und mehr als 70 Mio. US-Amerikaner:innen (die Hälfte der Bevölkerung) lasen Comichefte (vgl. 106)

Mit Kriegsende ging die Nachfrage nach Superheld:innen stark zurück und es setzte ein Bedarf an Kriminal- und Horrorcomics ein.

Zudem wurden die negativen Auswirkungen von Comicheften auf Kinder und Jugendlichen vermehrt politisch kritisiert und das «sexuell abweichende» Verhalten der Superheld:innen öffentlich debattiert. Aus heutiger Sicht waren die Darstellungen der Feinde Amerikas menschenverachtend, rassistisch und stereotypisch, damals aber war das kaum ein Thema (vgl. 107).

In der Nachkriegszeit gab es Boykotte von Kirchen und Gemeindegruppen sowie staatlichen Institutionen, die in öffentlichen Verbrennungen von Comics kulminierten. In Europa sprach man hingegen in den 50er Jahren von «Schundheften». Die Zensur und das Aufkommen des Fernsehens führten dazu, dass das Medium Comic für Superhelden nie mehr so erfolgreich war (vgl. 111).

Unter dem Stichwort «Comics Code» gab es ab dem Jahr 1954 unzählige selbstauferlegte Vorgaben der Vereinigung der US-amerikanischen Comicverleger, um im Rahmen der Selbstkontrolle dieser öffentlichen Kritik proaktiv entgegenzutreten.

Das silberne Zeitalter

Dieses Zeitalter begann mit dem gleichzeitigen Aufkommen wissenschaftlicher Themen im alltäglichen Leben. Die kollektive Angst vor dem Umschwenken des kalten in einen heissen Krieg und der aufkeimende Antikommunismus, die Gefahr durch die Atomenergie und die zunehmende Wichtigkeit der Raumfahrt spielten dabei eine prominente Rolle.

Das Unmögliche schien plötzlich technisch möglich zu sein und beeinflusste die Realität der Superheld:innen.

Zudem rückte die Sexualität in den Fokus von Comics. Als Beispiel gilt hier Jimmy Olsen, dem Reporter und Verkleidungskünstler, der immer wieder seine Identität und sein Geschlecht nach Belieben wechselte (vgl. 112f).

Für den etwas brutaleren Batman war der Comics Code herausfordernder. Mit der Einführung des Sidekicks Robin mutierte er zum verantwortungsbewussten Vater. Insbesondere für den Superhelden Flash war das wissenschaftsbetonte und silberne Zeitalter günstig. Dessen Superkraft bestand schliesslich darin, sich mit Lichtgeschwindigkeit fortzubewegen und über Wassermoleküle zu laufen, unsichtbar zu werden oder durch die Zeit zu reisen (vgl. 115).

Die grosse Revolution dieses Zeitalters wurde aber vom Autor Stan Lee angeführt, der ein Crossover der beliebtesten DC-Superheld:innen konzipierte, ganz nach den Ansprüchen von Erwachsenen und unter Einbezug der realen Welt, mit mehr Realismus und Held:innen, die ganz alltägliche und menschliche Eigenschaften und Probleme hatten und somit näher bei den Lesenden waren (vgl. 116).

Die gesellschaftlichen Sorgen des Sputnikschocks wurden in der ersten Ausgabe der Fantastic Fours dargestellt. Weitere beliebte Superhelden dieser Zeit waren zudem Hulk, der die unkontrollierbare Macht der wissenschaftlich-militärischen Experimente repräsentierte und Spider-Man, ein Teenager namens Peter Parker, der durch den Biss einer radioaktiv verseuchten Spinne seine Superkräfte erlangte (vgl. 117f).

Mit dem Summer of Love 1967 in Amerika und der Bürgerrechtsbewegung wurde die Diversität der Marvel Comics grösser. Es erschien Black Panther, der König eines noch nie versklavten afrikanischen Volkes. Trotz der steigenden Vielfalt der Superheld:innen waren sie aber immer noch stereotypisch geprägt und wurden vorwiegend von weissen Autoren erschaffen (vgl. 125).

Das dunkle Zeitalter

Mitte der 70er Jahre kam es zu einer dramatischen Änderung der Superheld:innen-Welten, und zwar wegen der steigenden Kriminalitätsrate und der Finanzkrise in vielen Städten Amerikas.

Die Comics verliessen die kindlich-unschuldige Fantasie und traten vollständig ins erwachsene Leben.

Es entstanden neue Helden wie The Punisher, ein Vietnamveteran, der zum Einzelkämpfer gegen das Verbrechen wurde und somit zum Symbol für Selbstjustiz mutierte. Der Punisher war die systemkritische Antwort auf den Watergate-Skandal (vgl. 127f).

Die Fokussierung auf soziale Gegenwartsprobleme und auf die Tagespolitik war im dunklen Zeitalter der Comics zentral und hat das Genre revolutioniert: Für diese Epoche waren fotorealistische Zeichnungen charakteristisch, rebellische und systemkritische Anarchisten, sowie die Erkenntnis, dass nicht alles Übel von Schurken kommt und Superheld:innen nicht alle sozialen Probleme lösen können (vgl. 131).

Die Grenze zwischen «Gut und Böse» verschwamm zusehends, neue Antiheld:innen enstanden und das Innerste der Superheld:innen war vermehrt Thema der Narrative (Anbruch des Zeitalters des Psychologisierens). Zu dieser Zeit sorgte ein Zusammenschluss genetisch mutierter Superheld:innen unter der Leitung von Professor X, die sogenannten X-Men, für mehr Ambiguität im Superhelden-Universum. Batman wurde hingegen in ein dystopisches Gotham der Zukunft versetzt, war eher dem Alkohol als dem Leben zugewandt und taugte nicht mehr als Poster-Boy. Das Trauma des Verlusts seiner Eltern wurde Gegenstand seiner Geschichte, eine Kraft, die ihn antrieb aber auch zerstörte (vgl. 135f).

In Watchmen lautet hingegen die zentrale Frage: Wer wacht über die Wächter? Die Superheld:innen müssen sich entscheiden, ob sie ihre Kräfte in den Dienst der Regierung stellen oder zu Antiheld:innen werden.

Der amerikanische Traum wurde dekonstruiert und bestehende Wertesysteme hinterfragt.

Die Superheld:innen verloren somit im Verlauf der 80er Jahre ihre Unschuld (vgl. 139f).

Das computeranimierte Zeitalter

Die Renaissance der Superheld:innen fand in den letzten zwei Jahrzehnten insbesondere im Kino statt. Die X-Men, The Avengers, Iron Man, Spider-Man und The Dark Knight, usw. profitierten von den neuen technischen Möglichkeiten im Hinblick auf CGI (Computer Generated Imagery) und weiterer Spezialeffekte.

Zusammenfassende Bemerkungen

Wir halten somit fest: Superheld:innen geben Halt und Orientierung in Krisenzeiten und bieten eine einfache Unterteilung der Welt in «Gut und Böse» an. Im schlimmsten Fall wurden sie als Propagandamittel instrumentalisiert, im besten Fall halfen sie Teenagern bei ihrer Identitätsfindung.

Die Kraft der Superheld:innen entfaltet sich im Spagat zwischen dem Zeitgeist und ihren fiktionalen Wesen.

Sie sind eine Reaktion auf kollektive Ängste einer Generation und können deshalb Hoffnung spenden.

Sie sind gerade dann populär, wenn sie besonders benötigt werden und befolgen dabei die Grundstruktur der Superheld:innen-Narrative: Ein ewiger Zirkel aus Ordnung, Bedrohung und Zerstörung bis zum Chaos sowie anschliessender Wiederherstellung einer neuen Ordnung durch Superheld:innen (vgl. 167).

 

Quelle: «Superheld*innen – Gottheiten der Gegenwart?» von Nicolaus Wilder (2022).

Illustration: Rodja Galli

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1 Kommentar zu „Superheld:innen in Krisenzeiten“

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