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Spiritual Warfare

Beten ist etwas Intimes, zutiefst privat und persönlich. Es geht um innere Sammlung, Hingabe an Gott (oder das Göttliche) und Spiritualität. Gleichzeitig ist Gebet etwas Gemeinschaftliches. Beten ist somit auch politisch und Gegenstand der Politikwissenschaften, und es ist dies zunehmend mehr. Dies hängt mit veränderten Gebetspolitiken zusammen wie auch mit einer radikal gewandelten Medienwelt und der Durchschlagskraft, die diese ermöglicht.

Ein Beispiel für politisiertes Gebet oder auch strategisches Politikbeten ist das PPT – Presidential Prayer Team. Es wurde unter dem Eindruck der Erschütterungen von 9/11 ins Leben gerufen, dem Jahr des Amtsantritts des 43. Präsidenten der USA, George W. Bush.

Millionen von Amerikaner:innen beten nach PPT-Angaben seither konzertiert durch seine Website regelmässig für den US-Präsidenten, die amerikanische politische und wirtschaftliche Elite und für das amerikanische Militär.

Miliz für Mr. President

Das Logo der «spiritual-warfare website» greift das berühmte Motiv des pathetisch knienden und für sein Land betenden ersten US-Präsidenten George Washington auf. Der Schriftzug lautet: «One Nation Under God». PPT bezeichnet sich selbst als nichtdenominational und unparteiisch. Laut Website geht es darum, ein «Schutzschild des Gebets» über dem Präsidenten und den nationalen Führern zu bilden, zur Förderung von Glaube, Familienwerten und Freiheit («faith, family, and freedom»).

Hierfür wird laut Homepage ein «robuster Gebetsstil» implementiert. Es wird «strategisches Investment» in Personal und Technologie betrieben, um die Truppenstärke Betender zu erhöhen («aggressively grow the active number of praying members»), «Values Voters» zu «mobilisieren» und die Verantwortlichen im Kapitol «zu erziehen und zu beeinflussen», denn: «Gebet wirkt».

Eine ideologische Nähe des von Arizona ausgehenden PPT zu konservativen Think Tanks wie dem Family Research Council (FRC) ist unübersehbar. Das FRC ist eine einflussreiche Denkfabrik der amerikanischen religiösen Rechten und eine Lobbyorganisation mit offen antihomosexuellen und rassistischen Tönen.

Mobilmachung mit dem Mobile Phone

Im Vergleich dazu bediente sich das PPT bisher einer moderaten Sprache. Die Stimmung und Gebetsanliegen jedoch schwanken, je nachdem, aus welchem Lager der jeweilige US-Präsident kommt.

Mit dem Amtsantritt von Barack Obama 2009 verschwanden beispielsweise die Geister von George Washington und Abraham Lincoln, die ihre Hände segnend auf die Schultern von George W. Bush gelegt hatten. Statt um Schutz für den amtierenden Präsidenten wurde der Himmel für effizienteren Schutz der Grenzen und gegen mexikanische Drogenkartelle angefleht. «Vater, die Grenzen unserer Nation benötigen Schutz». Es wurde sogar eine digitale «Gebetsmauer» eingerichtet.

Als 2017 Donald Trump ins Oval Office gelangte, kehrten die Schutzgebete für den Präsidenten zurück. Gegenwärtig hat das PPT von Militärstrategie auf Diplomatie umgeschwenkt. Aktuell wird für «Weisheit» für die politische Führungselite in Bezug auf die Einschätzung des wirtschaftlichen Einflusses der USA auf die Taliban in Afghanistan gebetet und der US-Diplomatie in Bezug auf Rohstoffe, «die in die Hände der chinesischen Regierung gelangen könnten.»

Was sind «Values Voters»? Es sind Wähler:innen, die überdurchschnittlich hohes «Commitment» mit Opferbereitschaft verbinden, sprich Spendenfreude. Kein Wunder, dass christliche Gruppierungen zunehmend ins Visier von Politstrategen und Fundraising geraten.

Das Empowerment klappt

Wie erfolgreich Mobilmachung via Gebets- und Spendenaufrufe in Zeiten global-digitaler Vernetzung  sein kann, konnte man bei der letzten amerikanischen Präsidentschaftswahl beobachten. Es bildeten sich in- und ausserhalb der USA konservativ-christliche Gebetstrupps. Vormals unpolitische Beter:innen sahen sich auf einmal in einen aufregenden Kampf von Gut und Böse hineingestellt. Sie waren bereit, im demokratischen Herausforderer eine Inkarnation des «Bösen» zu erblicken und fürchteten das Ende zivilisatorischer Werte.

Konservative Christ:innen auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz, v.a. Evangelikale und Rechtskatholik:innen, beteten 2020 leidenschaftlich für die Wiederwahl von Donald Trump in den USA. Gebetsaufrufe erfolgten über private Emailverteilernetzwerke, an die zunehmend auch Pensionist:innen angeschlossen sind. Der Tenor war apokalyptisch, die Informationsquellen blieben häufig opak.

Seit 2001 haben sich Grenzen verschoben und neue «Frontiers» gebildet. Ideologische Grenzen verlaufen heute quer durch Konfessionen und Kontinente. Sektenbeauftragte arbeiten sich zunehmend an dubiosen Onlineaktivitäten und der strategischen Irreführung und emotionalen und monetären Ausbeutung Leichtgläubiger ab.

Das Politikbeten 2020 scheiterte, weil Gott christlich-konservative Politikgebete nicht erhörte. In den USA wurde statt des Hoffnungsträgers jenes Lagers ein Demokrat demokratisch gewählt: der moderate Katholik Joe Biden. Die Enttäuschung war gross.

Von muslimischen Gruppen wird erwartet, sich von fundamentalistischen Strömungen zu distanzieren und gegen die politische Instrumentalisierung und ideologische Entstellung von Religion aufzustehen. Zunehmend wird dies auch ein christliches Thema.

Das World Trade Center and die St. Nicholas Greek Orthodox Church in der Cedar Street, die durch die Anschläge von 9/11 in New York City 2001 ebenfalls zerstört wurde. Photo by Steve Harvey on Unsplash

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