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 Lesedauer: 5 Minuten

Satans Thron

Früher musste man sich auf Esoterikmessen begeben, um auf abgefahrene Weltbilder zu stoßen. Inzwischen kommen die Esoterikmessen zu uns. Vor wenigen Tagen wurde der Anschlag auf mehr als 60 (!) antike Kunstschätze in Berlin bekannt.

Der Verdacht steht im Raum, dass Verschwörungsglaube – der Pergamonaltar als angeblicher Versammlungsort für Satanisten – ein mögliches Motiv gewesen sein könnte.

Die Attacke passierte offenbar bereits am Tag der Deutschen Einheit, am ersten Tag nach der Corona-Schliessung. Antike Kunstwerke wurden von unbekannter Seite und unbemerkt mit einer öligen Flüssigkeit bespritzt. Die Polizei prüft derzeit noch, ob es ein gezielter Anschlag oder ›nur‹ Zerstörungswut war. Schon in den Monaten zuvor hatte Vandalismus im Aussenbereich der Kulturstätten auffällig zugenommen.

Corona – ein Gruss von Satan?

Der Verdacht, dass der Anschlag verschwörungsmythisch motiviert sein könnte, stützt sich vor allem auf Aktionen und Videobotschaften des veganen Kochbuchautors und bekannten Konspirationisten Attila Hildmann. Als Betreiber einer veganen Snackbar in Berlin ist Hildmann unmittelbar von Corona-Einschränkungen betroffen. Im Sommer 2020 sieht man ihn auf verwackelten Handybildern vor den Toren das Pergamonmuseums: dieses stehe, meint er, nur vorgeblich »für Weltoffenheit und demokratische Werte«. Die Wahrheit aber sieht – natürlich – ganz anders aus:

»In diesem Museum ist der Thron Satans.« Kunstpause, und weiter: »Da kommt man gar nicht aktuell öffentlich rein. Da ist wohl Umbau. Wir wissen alle, was das bedeutet. In Berlin trifft sich die internationale Satanistenszene. Was weiss ich, was die da alles machen. Satanismus, Menschenopfer. Das hat man schon damals in der Antike gemacht.«

Der Sympathisant der rechtsextremen Reichsbürger, der einen radikalen Umsturz herbeisehnt, stellt eine abenteuerliche Verbindung her zwischen angeblichen Satansmessen und dem, was er »Corona-Verbrechen« nennt.

Talibaneske Anwandlungen

Hildmanns Videos werden zum Teil hunderttausendfach angeklickt. Die Behörden haben noch im Sommer öffentliche Kundgebungen von ihm und seinen Anhänger*innen verboten und einige Social-Media-Kanäle geschlossen. Dennoch könnten seine Botschaften talibaneske Aktivitäten getriggert haben. So weit, so wahnwitzig, kennt man, muss sich damit nicht dabei aufhalten, denkt man. Und doch lohnt ein zweiter Blick auf dieses Fantasy-Märchen von ›Satans Thron‹ im Pergamonmuseum. Denn hier lässt sich einmal die Genese eines Verschwörungsnarrativs relativ stringent re- und damit dekonstruieren.

Die Deutung des Pergamonaltars als ›Thron des Satans‹ ist nicht einfach aus der Luft gegriffen. Wie meist bei Verschwörungsmythen, findet sich auch hier ein ernsthaftes Element.

In diesem Fall ist es das Schreiben dessen, der das ›zweischneidige Schwert‹ trägt, an die Gemeinde von Pergamon aus der Offenbarung: »Ich weiss, wo du wohnst: da, wo der Thron des Satans steht« (Offenbarung 2:13). Diese Verbindung aus Satans Thron und Pergamon hatte schon länger in fundamentalistischen Kreisen das Begehren nach Vereindeutigung geweckt und mit dem in Berlin ausgestellten Pergamonaltar aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert eine mögliche Befriedigung gefunden.

Satans Wohnsitz: Bodestraße 1-3, Berlin, Deutschland.

Neue Wirksamkeit entfaltete eine seriöse Publikation in der amerikanischen Fachzeitschrift »Biblical Archaeology Review«, wo Adela Yarbro Collins, Expertin für Neues Testament und die Apokalypse des Johannes, 2006 eben diese These vertrat. Die im Offenbarungstext Christus in den Mund gelegte christliche Polemik richtete sich demnach gegen einen bestimmbaren Kultort heidnischer Opferpraxis.

Vieles spricht gegen diese Hypothese, aber sie ist ohne Zweifel catchy. Die in Israel erscheinende Zeitung »Jedijot Achronot« hatte daraufhin ihren Lesern in einer Glosse süffisant-ironisch erklärt, dass sich Berlin nun nicht mehr nur mit braunen Flecken aus der NS-Vergangenheit plagen müsse, sondern zudem von einer amerikanischen Forscherin als ›Sitz des Satans‹ ausgewiesen worden sei.

Verschiedene Medien griffen das Thema in der Folgezeit auf, formulierten schmissige Überschriften und verkürzten und vereindeutigten dabei die fachwissenschaftliche Hypothese. So zum Beispiel 2011 die Tageszeitung »Die Welt«:

»Die frühen Christen wussten noch ganz genau, ›wo der Thron Satans‹ ist – in Pergamon. So steht es in der Offenbarung des Johannes.« Die heutigen Verschwörungsgläubigen wissen noch genauer, wo Satan wohnt: Bodestraße 1-3, 10178 Berlin, Deutschland.

Vom Spiritualismus zum Konspiritualismus

Denn gerade von der wissenschaftlichen Herangehensweise, Hypothesen als vorläufige und falsifizierbare Annahmen zu diskutieren, und Texte als vieldeutig und interpretationsbedürftig zu begreifen, wollen religiöse Spiritualisten und Fundamentalisten ebenso wie Verschwörungsanfällige meistens nicht viel wissen. Und beide kommen hier, mit Satans Thron, eigentümlich zusammen. Spiritualismus plus Verschwörungslaube = Konspiritualismus.

Zweifel ist nicht ›geil‹. Elektrisierend und ermächtigend wirkt dagegen, wenn es gelingt, unterschiedliche Puzzleteile zu einem Aha-Knalleffekt zusammenzubauen und zehn- oder hunderttausendfach im Netz zu verbreiten.

So etwas steigert die Credibility selbsternannter ›Truther‹ oder ›Infokrieger‹. Und hier kommt das letzte Puzzleteil, das gerade QAnonisten elektrisieren musste:

Das deutsche Pendant zu QAnon?

Raten Sie mal, wer direkt gegenüber vom Eingang des Pergamonmuseums wohnt? Genau, Angela Merkel! Kann das ein Zufall sein?! QAnon & Co. aber wollen aus geheimen Quellen wissen, dass die Eliten dieser Welt in Wirklichkeit satanistische Kinderschänder sind (die altbekannte bösartige Deutung der jüdischen Knabenbeschneidung als ›Kindermord‹). Satans Thron im Museum – das deutsche Pendant zu den Wahnvorstellungen von QAnon?

Und damit stechen beim Berliner Satansmärchen die strukturellen Parallele zum Pizza-Gate-Fall während der letzten US-Präsidentschaftswahlen ins Auge:

Was dort Hillary Clinton und die angebliche Verstrickung der demokratischen Präsidentschaftskandidatin in einen Kinderpornoring war, sind hier Merkel, das Pergamonmuseum und satanistischer Kindermord.

In Washington machte sich bekanntlich ein Bewaffneter 2016 tatsächlich auf den Weg, um geschändete Kinder aus dem Keller der Pizzeria Comet Ping Pong, dem mutmasslichen Zentrum eines von Netzaktivisten angeprangerten Kinderpornorings, zu befreien. Das Problem: Die Pizzeria hatte gar keinen Keller. Verschwörungswahn stiess hier so unvermittelt auf Realität, dass der Bewaffnete sich widerstandslos abführen liess. Und jetzt hält man es immerhin für möglich, dass irregeleitete Konspirationist*innen für den »grössten Angriff auf die Kultur in Deutschland nach dem Krieg« (Deutschlandfunk) verantwortlich waren.

Eine vielleicht langweilig klingende, aber widerholungsbedürftige Lehre aus derartigen Vorfällen: Bildung ist systemrelevant! Mehr geisteswissenschaftliche, mehr hermeneutische, und auch: mehr theologische Bildung. Und: Die Einübung in Ambiguitätstoleranz, die interkulturelle Tugend schlechthin: als Mittel gegen Wahn, der wirklich werden will.

 

Foto: Luca Di Blasi (2020-10-22)

4 Kommentare zu „Satans Thron“

  1. Was hier geschrieben wird, ist mir neu, es dockt an schon vorhandenes Wissen an. Und weil ich weiss, dass „RefLab“ eine Veranstaltung der „Reformierten Landeskirche Zürich“ ist. Als „digital immigrierter Boomer“ hätte ich diesem Gedankengang, wäre er Gegenstand einer Predigt gewesen, eines Erwachsenenbildungsvortrags eines anerkannten Referenten oder in einem Interview mit der Sektenstelle von Georg Schmid, hätte dies alles für mich einen höheren Grad von Glaubwürdigkeit gehabt. Nun bin ich in Kontakt mit „digital natives“, menschen zwischen 20 und 26 Jahren und sehe, wie sehr sich diese über Youtube-Kanäle informieren oder just „Verschwörungstheorien“ lieben. In meiner Jugend spielte der „reformierte Gott der Eidgenossenschaft“ noch eine wesentliche Rolle im Liederbuch für die Mittelstufe, auch in jenem der Oberstufe. „Die Kirche“, gerade die reformierte, war eng mit dem Staat verbunden. Und ich fasste Evangelium, Gesellschaft und Staat als eine Einheit auf. Nicht so Menschen, die heute konfirmiert werden. Theologen sagen Ihnen, der Kirchgang und die Verkündigung am Sonntag seien nicht wichtig, „Gott sei überall“, wohl auch im Internet im RefLab (im besten Fall). Die Kirche meiner Jugend ging vom „Lagerfeuer“ der sonntäglichen Verkündigung und dem Vertrauen auf die Kraft der Predigt aus. Sie fand von der Kanzel, in einer Kirche statt, in der oft auch die politische Gemeinde ihre Versammlungen abhielt. Die Kommunikation war so klar „gelabelt“, etikettiert und adressiert und aus ihrem Usprung, dem biblischen Quell, legitmiert. Ich schlüpfe nun in das Hirn eines digital natives, der in der öffentlichen Schule das Christentum (mit seiner verwirrlichen konfessionellen Vielfalt) in Religion und Kultur als eine von fünf bis sechs Religiösen Welterzählungen vermittelt bekommen hat, die alle nebeneinander bestehen, sich widersprechen und darum per se unglaubwürdig sind. Fazit: „Religion schafft nur Krieg und Konflikte“. Wird ein so ausgestatteter „digital Native“ über das Verfolgen von „RefLab“ im Netz zu einem freudigen Kirchensteuerzahler in einer Multioptionsgesellschaft? Stiftet Anmutung, Design, Wording und Sound dieses Blogs einen Unterschied zu den sehr attraktiven Angeboten der gleichaltrigen Youtouber? Selbst wer in der Jugend sich konfirmieren liess, wird nicht auf Anhieb RefLab mit seiner Katechetin im Dorf in Verbindung bringen. Hier wird theologische Kreativität (im besten Fall) in einen Kanal verpulvert, der unglaublich streut, wenig klar gelabelt ist und in eine mörderische Konkurrenz sich befindet. Als Boomer wusste ich noch wenn Pfr. Dr. Dr. Matthias Krieg sich äussert, dann hat es Hand und Fuss. Hier schreiben, „bloggen“ oder „predigen“ zum Teil ordinierte Theologen ihren akkademischen und kirchlichen Hintergrund vernebelnd als wären sie coole content producer und „digitale natives“. Für heutige Jugendliche ist dies nur ein Angebot neben anderen im Internet und in den Social media. Der Züricher Staat hat mit der Reformation ein Medienhaus sich angeeignet. Das Abo war obligatorisch. Jeder Haushalt hatte – mindestens! – einen Sitz in der Kirche. 1830 kam die Presse- und Religionsfreiheit. Die liberalen Druckereibesitzer stellten nun in den „amtlichen Anzeigen“ Öffentlichkeit her, nicht mehr der Pfarrer am Sonntag mit dem „Kanzelruf“. Seit 2019 müssen die „amtlichen Anzeigen“ nicht mehr im Druck erscheinen. Die Öffentlichkeit wird über das Internet hergestellt und ist nun dadurch manipulierbar wie nie zuvor. Einen Blog mit Kirchensteuern zu betreiben, der ganz auf die hergebrachten vertrauensstiftenden „Label“ der Kirche verzichtet (Bibel, Kanzel, Talar, akkademische Ausbildung) und sich im Universum der Geschichtenerzähler „auf Augenhöhe“ im WWW bewähren will, ist ein sehr kühne, waghalsiges Unterfangen. Wir wünschen Hals- und Beinbruch. Und gehen heute Sonntag eine Predigt hören. Es sind ja so wenige, die das noch Tun, dass man unter den verbotenen Versammlungsgrössen auch in Coronazeiten dies tun kann.

    1. Lieber Herr Girardet,
      herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, die mir erlauben, ein Missverständnis aufzuklären.
      Das RefLab ersetzt die institutionelle Kommunikation der Reformierten Landeskirche nicht, sondern schafft innerhalb affiner Lebenswelten ein zusätzliches Angebot, um sich mit Spiritualität, Glaube, Ethik und Kultur auseinander zu setzen.
      Mit freundlichem Gruss!
      Stephan Jütte

  2. Mit Interesse habe ich Ihren Blog-Artikel verfolgt, und ich empfinde die erwähnten und mir bekanntenVerschwörungstheorien auch sehr einfach gestrickt, entbehren meist Hand und Fuß. Was mich allerdings ebenso beschäftigt, ist, wie Sie Bibeltexte zitieren: eine Textstelle aus der Offenbarung des Johannes, die sie als „polemisch Jesus in den Mund gelegt“ betiteln.
    Außerdem die heute allgemein vermehrte Unwilligkeit, andere Ansichten und ihre Gründe dafür wirklich anzuerkennen, ohne selbst polemisch zu reagieren. Archäologisch ist durchaus festgestellt, dass dieser Altar ein Opfer-Altar war, der mit seinen sehr schmalen Zugängen nicht für Tieropfer geeignet war und darauf hindeutet, dass Menschen geopfert wurden.
    Ich glaube keine der genannten Verschwörungstheorien in dem Zusammenhang mit unserer Regierung und Corona, aber eine Frage darf und muss man meiner Ansicht stellen dürfen, ohne als schräg und krude angesehen zu werden, – auch wenn Sie das in der Schweiz nicht beschäftigen muss: Warum steht so ein Altar, von dem man dies weiß und der eben für verschiedene Gruppen der Gesellschaft nicht nur ein Kunstwerk oder Kulturgut ist ( und nicht mal unseres) – in unserem Land, in unserer Hauptstadt, und warum werden dafür soviel Steuergelder in die Hand genommen? Und warum gibt es darüber keine öffentliche Debatte? Bildung, – vor allem demokratische – bedeutet, auch Fragen und Bedenken gegenüber offen zu begegnen, zu ergründen und nicht arrogant zu ignorieren und zur Seite zu wischen, und damit neue Theorien zu produzieren. Und wir müssen vorsichtig sein: Zu schnell eignet sich heute die Schublade „ Verschwörungstheorie“ auch leider für alles, was nicht in den Mainstream passt.

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