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 Lesedauer: 6 Minuten

Rückspiel: »Der Untergang naht!« – Zeit für freigespielte Hoffnung

 
Überblick über diese Blogserie
  1. Der Untergang naht – Zeit für freigespielte Hoffnung
  2. Rückspiel: Der Untergang naht – Zeit für freigespielte Hoffnung
  3. Selig sind die Sehnsüchtigen
  4. Rückspiel: Selig sind die Sehnsüchtigen
  5. Spielerisch leben – allen Ernstes
  6. Rückspiel: Spielerisch leben – allen Ernstes
  7. Die kreative Trinität – Heiliger Geist, Zeitgeist und ich
  8. Rückspiel: Die kreative Trinität – Heiliger Geist, Zeitgeist und ich
  9. Begeistert sein – Die Freude am Wandel

 

Die Schwarzseher und der andere Geist der Blauseher

Als der schmächtige Hirtenjunge zum ersten Mal den Riesen Goliath erblickte, dachte er: »Meine Güte! Der ist so gross … den kann ich gar nicht verfehlen!« Okay, steht zwar so nicht in der Bibel, führt aber humorvoll zum Kern der Geschichte. Viele dachten, David sei von allen guten Geistern verlassen. Dabei war es genau umgekehrt:

Die ach so klugen Köpfe der Realisten und Strategen waren unempfänglich für den Geist, der einen auf Riesen zugehen und sie mit jedem Schritt kleiner werden lässt.

Jim Knopf lässt grüssen. Genauso wie Josua und Kaleb. Die hatten es mit Goliaths Vorfahren zu tun. Zusammen mit zwölf handverlesenen Helden spionierten die beiden das verheissene Land aus. Zehn von denen verbreiteten Panik: Die Riesen werden uns fressen! Dystopie. Josua und Kaleb aber hielten fest an der göttlichen Utopie, die unmittelbar hinter den Hügeln lag. Wie ist ein solches Schauen durch den Horizont möglich? »Weil ein anderer Geist in ihnen ist« (4 Monse 14,24). Darin liegt für mich der Unterschied zwischen Schwarzsehen und Blausehen:

»Der Geist der Utopie hofft nicht zügellos ins Blaue hinein. Aber die Hoffnung lässt sich locken vom Blau des utopischen Horizontes« (Ulrich Körtner: Weltangst und Weltende, S. 32).

Vier geistliche Übungen in kerngesunder Apokalyptik

Denken Sie jetzt bitte nicht, dass ich Schwarzsehen und Apokalypse in einen Topf werfen will. Im Gegenteil. Hinter dem Satz »Der Untergang naht!« verbirgt sich eine ganz bestimmte Art und Weise, wie wir Menschen das Leben und die Welt erfahren. Wir haben Angst. Und diese Angst kann eine Enthüllung (Apokalypsis) herbeiführen:

Unsere Weltwirklichkeit ist im Untergang begriffen. Nun kommt alles darauf an, die apokalyptische Angst persönlich und kollektiv so zu bearbeiten (Apokalyptik), dass dabei etwas Heilsames herauskommt. Ein »Geist der Verzagtheit« hilft hier wenig, ein Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung schon.

Ein paar Übungen:

1. Der Untergang naht – wir gehen gemeinsam durch

Gerade in diesen infizierten Zeiten schwant uns, dass nichts in dieser Welt eine Garantie auf Lebenszeit oder gar Ewigkeit beanspruchen kann. Die Vergänglichkeit des Lebens schmerzt brutal und lässt uns stöhnen. Wenn das kollektiv geschieht, atmet auch der Zeitgeist schwer. Gemeinsames Ächzen geschieht im Heiligen Geist, dem göttlichen Co-Seufzer. Das holt uns aus der Einsamkeit apokalyptischer Ängste. Eine tröstende Allianz der geplagten Menschengeister, des Zeitgeistes und des göttlichen Geistes … immerhin!

2. Der Untergang naht – 5 nach 12 ist mein Lebensmodus

Manchmal, wenn es mal wieder 5 vor 12 sein soll, erinnere ich mich daran, dass ich eigentlich um 5 nach 12 lebe.

Die Geschichte von der Sintflut ist wohl eine der ältesten Erzählungen, die uns daran erinnert, dass wir Menschen nie anders leben als Davongekommene. Der apokalyptische High Noon liegt immer auch schon hinter uns.

Mich macht das gelassener und irgendwie auch grosszügiger. Und manchmal wage ich es und träume von einem post-Corona Leben: Ich nach der Sintflut – und nicht umgekehrt!

3. Der Untergang naht – eine andere Art zu leben ist möglich

Seit Menschengedenken erwachsen aus den apokalyptischen Ängsten jene kreativen Kräfte, mit denen der Untergang abgewendet wird. Wie eruptiv das sein kann, sehen wir an Bewegungen wie »Fridays for Future«. Eine prophylaktische Apokalyptik lässt Menschen millionenfach neue (Apfel)Bäumchen pflanzen.

Wir kennen diesen protestantischen Geist, der uns zum Nullpunkt der Hoffnung führt, damit wir dort seiner schöpferischen Gnade begegnen.

Nötig scheint also ein »Mut der Hoffnungslosigkeit« (Slavoj Žižek)? Hölderlin verdichtet ihn: »Nah ist/ und schwer zu fassen der Gott./ Wo aber Gefahr ist, wächst/ das Rettende auch.«

4. Der Untergang naht – na hoffentlich bald

Es gibt lebensverachtende Umstände, Dynamiken und Strukturen in dieser Welt, da kann ich es gar nicht abwarten, bis sie das Zeitige segnen. Jetzt wird aus der zunächst dunkel klingenden Drohbotschaft eine helle Frohbotschaft. Vor allem für diejenigen, die Opfer gewalttätiger Ungerechtigkeit sind.

Der Geist des Lebens, zieht sich – ganz ähnlich wie der Zeitgeist – aus dem, was nicht dem Leben dient, zurück, um es untergehen zu lassen, während er an anderer Stelle neues Leben schafft.

»Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub. Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu das Antlitz der Erde« (Psalm 104,29-30).

Das macht Lust auf einen Akt Gottes, in dem endgültig all das vergeht, was in der vollendeten Schöpfung keinen Platz haben soll. Es ist eines der hoffnungstrunkenen Gebete der Christenheit: »Komm, Schöpfergeist!«

Die eingesperrte Zukunft in der Enge unserer Denkart

Leider ist nicht jede Apokalyptik gesund. Das liegt vielleicht daran, dass wir vernunftbegabten Menschen eine echte Stärke haben: Die Extrapolation. Wir analysieren die Vergangenheit und ziehen unsere Gedankenlinien durch die Gegenwart aus, so dass eine wahrscheinliche oder gar berechnete Zukunft entsteht.

Der chronologische Zeitpfeil fliegt mit bestechender Intelligenz. Er steigert sich immer mal wieder zur Hybris, dass wir Menschen die Vollendung der Geschichte in der Hand haben.

Bis ausgerechnet die Erfolge unseres Weltprojektes des Katastrophenrisiko heraufbeschwören.

Die apokalyptischen Zeichen der Zeit kommen, und die Hybris weicht einer Tristesse, die nichts anderes mehr als das Ende der Welt zu sehen vermag.

Auch Gläubige haben sich öfters aus der Welt pessimiert und in Endzeitberechnungen verloren. Was übrigbleibt, ist die heimliche Freude auf den Untergang, weil die eigene Prophezeiung dann Recht bekommt. Noch schlimmer ist das lieblose „Nach uns die Sintflut“. Und ganz übel wird es, wenn Menschen ihrer Lust am Untergang frönen.

Die befreite Zukunft im umgekehrten Zeitstrahl des Geistes

Was aber, wenn der Zeitstrahl des Heiligen Geistes in die andere Richtung fliegt? Wenn er die unendlichen, schöpferischen Möglichkeiten des Lebens und der Welt in sich trägt und uns aus der Zukunft entgegenspielt? So jedenfalls gibt sich der Heilige Geist zu erleben. Er kann nicht aufhören, immer wieder zu kommen und sich zu versprühen. Als würde er sich permanent selbst überbieten. Die Menschen der Bibel haben ihn daher Erstlingsgabe, Anzahlung, Unterpfand oder auch Siegel genannt.

Göttlicher Credit aus der Zukunft, der uns in seinen Sog lockt und sagen lässt: Credo! Ich glaube und hoffe und liebe es: Bis in alle Ewigkeit überrascht uns der Geist Gottes mit neuer Inspiration, beflügelt unsere Imagination, zieht ins in die Zukunft durch Antizipation und ermächtigt uns zu Reformation und Transformation.

Der Geist Gottes hat das unwiderstehliche Blau der Utopie bereits aufstrahlen lassen, als er den Sohn Gottes in die Welt brachte. Vor allem in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten erwacht die Hoffnung: Gottes Geist kann selbst die höllische Apokalypse überbieten.

Heiliger Geist ist das, was kommt, wenn wir den Untergang kommen sehen.

 

Photo by Kyle Cleveland on Unsplash

2 Kommentare zu „Rückspiel: »Der Untergang naht!« – Zeit für freigespielte Hoffnung“

  1. Während des Lesens dachte ich… bereits seit einer Weile wird vom möglichen coronabedingten „Ausfallen“ des Weihnachtsfests gesprochen. Ich kann mir nicht helfen und denke immer wieder… vielleicht fällt aus, wie wir das Fest traditionell begehen. Doch das Event Weihnachten fällt deshalb doch nicht aus!? Natürlich fällt da einiges schmerzlich weg. Aber doch nicht das Entscheidende?!
    Bald beginnt das neue Kirchenjahr – mit dem Advent. In unserer Hemisphäre in der dunkelsten Zeit des Jahres. Da kündigt sich etwas an. Da kommt etwas.
    Gott kommt mitten in unsere auch dunkelsten Umstände. Wieder und wieder. Jedes Jahr erinnern wir uns an Weihnachten daran. Und dieses Jahr ist das vielleicht besonders markant. Bei jeder Kerze, die wir in dieser Zeit entzünden, können wir uns daran erinnern, daß der „Zeitstrahl des Heiligen Geistes in die andere Richtung fliegt“. In unsere Richtung. Und daß er „die unendlichen, schöpferischen Möglichkeiten des Lebens und der Welt in sich trägt und uns aus der Zukunft entgegenspielt“. In diesem Sinne freue ich mich dieses Jahr umso mehr auf Weihnachten! #adventseason #freigespieltehoffnungohneende #adieutristesse
    (Danke für den Artikel, D.!)

    1. So schön! An Weihnachten feiern wir dann wohl auch den Heiligen Geist. Das Erinnerungsfest wäre dann zugleich ein Hoffnungs- und Zukunftsfest. Zukunftsspiel neben Krippenspiel! Danke für diese Einsichten.

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