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Post-traumatisches Kirchen-Syndrom

Vor einiger Zeit erschien in den USA ein Buch mit dem Titel «Post-Traumatic Church Syndrome». Den Begriff hatte die Autorin, die Amerikanerin Reba Riley, frei erfunden. Doch als ich Leuten von diesem Buch erzählte, erkannten ihn viele Postevangelikale wieder: Aus eigener Erfahrung.

Posttraumatisches Kirchen-Syndrom: Klingelt’s da auch bei dir?

Vielleicht war es bei dir das Thema Hölle. Überhaupt, das Vorhandensein einer Hölle im Glauben an einen liebenden Gott. Vielleicht auch, dass die Angst vor der Hölle von kirchlichen Menschen als «Druckmittel» dafür eingesetzt wurde, Menschen zu einem bestimmten Lebensstil zu überzeugen. Jedenfalls war dieses Thema der Tropfen, der das Fass bei einem Bekannten von mir zum Überlaufen brachte: Er kehrte seinem Glauben an Gott den Rücken.

Die Welt ist nicht schwarz-weiss

Bei jemand anderem aus meinem Freundeskreis war es die Diskrepanz zwischen dem selbständigen Denken, das an der Universität vorausgesetzt wurde, und dem konservativen Glauben, mit dem sie aufgewachsen war. Ihre christlichen Verwandten und Freunde sahen die Welt schwarz-weiss. Hingegen erlebte sie mehr und mehr, dass es auch Graustufen gibt, und dass auch andere spirituelle Perspektiven Sinn ergaben.

So kenne ich eine Handvoll Geschichten: Von dem Paar, welches seine Freikirche verliess, weil schwierige Fragen nicht zugelassen wurden. Von dem Bekannten, dessen Ehe scheiterte und der deswegen auch an Gott zweifelte. Von der Freundin, die es nicht mehr ertrug, dass die Gemeinde vor allem ihre körperliche Behinderung sah – «Gott will dich heilen!» – und sie nicht so akzeptierte, wie sie ist. Von dem Familienvater, der sich als schwul outete, was in der Kirche ein Problem war.

Im Buch «Post-traumatic Church Syndrome» erzählt Reba Riley ihre eigene Geschichte. Aufgewachsen war sie in einer evangelikalen Kirche in den USA, es gab Bekehrungsaufrufe und im Kindergottesdienst wurden die ‚Schlümpfe‘ als dämonisch bezeichnet. Als junge Erwachsene bricht sie mit diesem System. «Ich konnte all diesen Kirchenmist einfach nicht mehr glauben», schreibt sie. Das Buch beginnt Jahre später – an einem Punkt, wo Riley entdeckt, dass die Narbe, die der Verlust ihres Glaubens hinterlassen hat, nicht von selbst zu schmerzen aufhört. Sie ist Ende zwanzig und steckt in einer Sinnkrise.

«Dekonstruktion»: Der Glaube wird auseinandergenommen

Beim Lesen von «Post-Traumatic Church Syndrome» erkannte ich mich in einigen Passagen wieder. An Jahre, in denen ich das Gefühl hatte, beim Beten an eine Wand zu reden, Menschen suchte, die mich verstanden, und sie in der Kirchgemeinde nicht fand. Wie Riley erinnere ich mich an das eine, letzte Gebet, in dem ich Gott alles vor die Füsse warf, mich umdrehte und weglief.

Wenn Kinderglaube erwachsen wird, verändert er sich.

Manchmal wird daraus ein Prozess der «Dekonstruktion»: Glaubenssätze zerbrechen oder werden rational auseinandergenommen. Man gehört plötzlich zu den «Postevangelikalen», oder sogar den «Ex-Evangelikalen».

Oft sieht die Fassade noch gut aus, wenn so ein Prozess der Dekonstruktion schon längst in Gang ist. Man schirmt sich von der Gemeinde ab, weil man fürchtet, als Zweifler abgelehnt zu werden, und das Herz entfernt sich vom Glauben. Enttäuschung um Enttäuschung wird geschluckt, bis es schliesslich zu viel wird. Und dann, für das Umfeld vielleicht ganz plötzlich, zieht man einen Schlussstrich. Oder nimmt subtiler Abstand, etwa beim einem Umzug oder durch ein neues Hobby, wodurch man nicht mehr in die Kirche geht.

«Postevangelikal» heisst nicht gleich «atheistisch»

Meistens ist dieser Schnitt aber gar nicht so klar. In einem Winkel ihrer Seele glauben viele auch nach dem Bruch mit der Kirche, dass es einen Gott gibt. Sie sind vor allem von der institutionalisierten Religion enttäuscht. Und von dem Gott, dessen Charakter ihnen dort vermittelt wurde.

«The De-Churched», die «Entkirchlichten», sind mittlerweile ein Begriff. Auch der Begriff «Postevangelikal» hat eine Hochkonjunktur. Dabei sind diese Labels nicht gleichbedeutend mit «atheistisch»: In einer Umfrage unter ehemaligen Freikirchlern gaben über 80 % an, sich immer noch als Christen zu bezeichnen, obwohl 57 % der Teilnehmenden keine Kirche mehr besuchen.

Befreiung oder Verlust?

Häufig ist das ein Befreiungsschlag. Reba Riley schreibt über den Glauben, mit dem sie aufgewachsen war:

«Diese ‚Wahrheit’ hat mich nicht frei gemacht, sie hat mich eingesperrt. Diese ‚Wahrheit’ hielt mich von Gott fern.»

In die Befreiung mischt sich aber auch Wut, Trauer – der Abschied von einer Kirche kann auch ein Verlust sein. Ein Verlust von Freunden, Heimat, Gewohnheiten. Es ist mitnichten ein Weglaufen, eine feige Lösung.

Riley, die seit ihrer Kindheit kein Leben ausserhalb der Kirche kannte, beschreibt, dass es sich anfühlte, als werde ihr der Boden unter den Füssen weggerissen: «Als ich meinen Glauben verlor, blickte ich in ein Kaleidoskop, wo einst ein Spiegel gewesen war. Dieser hatte mir früher gezeigt, wer ich war und wohin ich ging. Nun wurde jede Erinnerung nur noch in gebrochenem Licht wiedergegeben, das Bild meiner Zukunft war verschleiert. Ich kannte mich selbst nicht ohne meinen Glauben. Er hatte jeden einzelnen meiner Lebensbereiche beeinflusst.»

Ein unvorstellbarer Verlust, eine traumatische Erfahrung, die beginnt, lange bevor man endgültig einen Schlussstrich zieht. Die Vorstellung, wie «man glaubt», hat sich nicht als praktikabel gezeigt. Soziale Kontakte trennen sich, der Alltag verliert einen Teil seiner Struktur.

Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung

Viele Betroffene haben Wunden oder Narben. Bei Reba Riley brechen diese manchmal wieder auf, wie sie in «Post-Traumatic Church Syndrome» beschreibt. Tränen schiessen ihr in die Augen, wenn sie bei einem Kirchenbesuch in der hintersten Reihe sitzt und Lieder gesungen werden. Andere Symptome: «Gebet kommt nicht in Frage. Die Bibel ist etwas, womit du höchstens noch verschütteten Kaffee aufputzen würdest. Du kriegst feuchte Hände, wenn du die Tür einer religiösen Stätte öffnest. Übelkeit, Wut, Trauer, Verzweiflung, Depression, Schwerelosigkeit, Leere.»

Und: Sie ist unfähig, das Wort «Gott» zu benutzen. Zu belastet ist es, zu definiert. Fortan spricht sie vom «Godiverse», vom «Gottiversum», um die höhere Macht zu beschreiben, deren Existenz sie nach wie vor nicht ausschliesst. Mit einem bittersüssen Gefühl erinnert sich Riley an die Gewissheit ihrer Kindheit.

Die von Reba Riley beschriebenen Symptome ähneln denen bei einer posttraumatischen Belastungsstörung. Deswegen auch der pseudo-wissenschaftliche Begriff «posttraumatisches Kirchensyndrom», den Riley erfunden hat. Er benennt, dass die Abkehr von einer Kirche oder sogar vom Glauben eine Art Trauma sein kann. Neben den körperlichen Symptomen gibt es aber auch eine seelische Parallele: Nach einem Trauma erkennen viele Menschen den Sinn ihres Lebens nicht mehr. Das, was sie vorher geglaubt und für richtig gehalten haben, ist zerstört worden. Das Gefühl von Sicherheit etwa, welches bei einem körperlichen Übergriff oder einem Terroranschlag verloren geht. So kann auch der Zusammenbruch von Denk- und Glaubenssystemen ein grosser Verlust sein.

Das Trauma aufarbeiten

Reba Riley merkte, dass sie mit der Bitterkeit gegenüber ihrer Vergangenheit nicht mehr leben konnte. In einer Art Konfrontationstherapie beschloss sie deshalb, in dem Jahr vor ihrem 30. Geburtstag 30 unterschiedliche Religions- und Glaubensgemeinschaften kennen zu lernen. Von der evangelikalen Gemeinde ihrer ausgerissenen Wurzeln, über orthodoxe Kirchen, das Judentum, Scientology und Wicca, fand sie schliesslich zurück zum Glauben an Gott. Zu einem anderen, erwachsenen Glauben. Einem Glauben, der Fragen zulässt, Kritik, selbständiges Denken.

So ging es auch mir: Einige Jahre lang betete ich selten und besuchte ebenso selten eine Kirche. Und wenn, dann mit den bitteren, schmerzhaften Gefühlen, die auch Reba Riley beschreibt. Doch irgendwo in meinem Innersten glaubte ich immer noch, und dieser Glaube wuchs wieder heran. Auf die «Dekonstruktion» folgte eine «Rekonstruktion».

Indie-Christen oder Atheistinnen?

Rekonstruktion: Man sucht eine Art, an Gott zu glauben, die für einen Sinn ergibt. Viele werden dabei von Büchern, Menschen, Podcasts etc. inspiriert und finden so zu einer neuen, stimmigen Spiritualität (um solche Fragen dreht sich auch der RefLab-Podcast «Ausgeglaubt»). Manche bewegen sich als «Indie-Christ:innen» zwischen verschiedenen spirituellen Lagerfeuern hin und her. Manche werden zu Agnostiker:innen oder Atheist:innen oder wenden sich einer anderen Religion zu.

Wichtig in diesem Prozess ist, herauszufinden, was einem guttut. Menschen zu finden, die einen gesunden Glauben leben, wo Freiheit spürbar ist, deren Lebensstil einen selber überzeugt. Auch in Punkto Werte und Ethik.

Wenn es Gott wirklich gibt, dann lässt Gott einen nicht los. Dann gibt Gott Raum, lässt Freiheit zu. Raum, erst einmal auszubrechen. Zu dekonstruieren.

Dass dies nicht einfach ist, tönt der Begriff «posttraumatisches Kirchen-Syndrom» an. Deswegen mag ich ihn. Er ist eine Diagnose, welche für manche vielleicht auch zum ersten Mal die vielen gemischten Gefühle und Gedanken benennt – und so den Heilungsprozess erst ermöglicht.

Reba Riley: «Post-Traumatic Church Syndrome: A Memoir of Humour and Healing»

Zu Thorsten Dietz‘ RefLab-Artikelserie über Postevangelikale

15 Kommentare zu „Post-traumatisches Kirchen-Syndrom“

  1. Unglaublich hilfreich zu lesen, dass meine Geschichte in anderen Geschichten auftaucht und die fast identisch anmutenden Anpassungsprozesse zu erkennen sind. Fühle mich gehört und gesehen. Danke für diesen ehrlichen Beitrag 🙏🏻

  2. Diesen Satz finde ich wunderschön:
    „Wenn es Gott wirklich gibt, dann lässt Gott einen nicht los. Dann gibt Gott Raum, lässt Freiheit zu. Raum, erst einmal auszubrechen. Zu dekonstruieren.“

    Auch ich kenne seit Kindheit nichts anderes als meinen christlichen Glauben und habe in den letzten Jahren immer wieder viel hinterfragt und tiefe Zweifel an der Existenz Gottes kamen auf, an der Form wie Kirche und Glaube ausgelebt werden soll, sowieso.

    Ich weiss nicht ob es ein feiges Ausweichen oder eine ehrliche Ermutigung ist, als ich für mich gemerkt habe: „Wenn Gott, der Gott ist, für den ich ihn halte, dann ist er und sein Ja zu mir grösser als meine Zweifel und er wird mich festhalten.“ Und an einen anderen Gott will ich nicht glauben.

    1. Evelyne Baumberger

      Danke für deinen Kommentar! Ich wünsche dir, dass du deine Gedanken und Fragen in aller Freiheit weiter verfolgen kannst. Alles Liebe!

  3. Danke für diesen hilfreichen Post, der mir hilft, meine aktuelle Situation einzuordnen. Ich habe mit der Kirche, die ich besuchte und in der ich angestellt war, gebrochen, bzw ich bin rausgefallen. Ich fühle Herzschmerz und Verlust, auch eine Sehnsucht. Aber ich kann, ich KANN nicht zurück. Es ist zu eng. Kaum höre oder lese ich etwas, das mir einengend vorkommt, „löscht es mir ab“ und alles kommt in mir hoch. Gehe ich wieder mal in ein gemeindliches Angebot oder bin ich mit Menschen zusammen, die treu evangelikal leben (notabene Menschen, die ich als eher freiheitlich im christlichen Kuchen bezeichnen würde), habe ich drei Tage lang die Krise und muss mich neu ablösen, nur um die Angst wieder loszuwerden, dass die Verdammnis über mir hereinbricht, weil ich nicht mehr so lebe, wie ich mal dachte, dass es gut wäre. Ich sehne mich nach Gott und danach, glauben zu können, die Bibel geht aber gar nicht. Das Problem ist: Ich traue meiner Art zu glauben nicht mehr. Und auf die andere Seite möchte ich es immer noch richtig machen. Ich habe einmal zusammen mit einer Beraterin definiert: „Ich bin im Exil.“ Nichts ist mehr, wie es war. Das Bild hilft mir, ist jedoch auch traurig. Exil ist anstrengend und herausfordernd.

    1. Evelyne Baumberger

      Liebe T., danke vielmals für deinen Kommentar und dass du so ehrlich deine Situation beschreibst. Es klingt nach einem grossen Verlust, auch, weil du dort angestellt warst und weil die Trennung, so klingt es jedenfalls, nicht sauber ablief. Ich wünsche dir viel Gelassenheit und Frieden für deinen weiteren Weg. Dass du nicht versuchen musst, an etwas festzuhalten, sondern dass du weisst, Gott ist und bleibt. Unabhängig von Gemeinden, Menschen und der Bibel. Das Bild vom Exil ist gut!! Und: Du bist nicht die Einzige dort, es gibt sozusagen ein Flüchtlingslager. Alles Liebe!

      1. Caroline Hardegger

        Liebe Evelyne, oh ja. Weisst du, dass Menschen in Flüchtlingslagern teilweise 20 Jahre und länger leben? Dass Gott im Hier und Jetzt ohne Schale und Definitionshülle immer noch der ist, der DA IST (Ex 3,14), ist eines meiner Lernings, auf die ich meinen Glauben neu aufbauen lerne. Gruss aus dem Zelt, Caroline

    2. Danke für deinen Kommentar. Ich kann dich gut verstehen… . Sei ermutigt: Die Sanftheit des himmlischen Vaters kannst du auch im Exil finden. Seine liebevollen Augen sehen, seine Stimme hören. Ich bin selber durch so manches Dickicht gegangen. Heute liebe ich es, andern dabei zu helfen, das Trauma zu heilen… ein Tor, um die Liebe Gottes zu erleben, ihn selber zu finden, spüren & hören.
      LG, Sarah Fischer aus der Schweiz

  4. Durch „Zufall“ kam ich heute zum ersten Mal auf diese Seite.
    Vielen Dank für den Artikel, der so viel Bekanntes in Worte fasst! Danke auch für die Kommentare! Es ist eine wertvolle Erfahrung, das eigene ErLeben auch in Worten von anderen zu finden!
    Es hilft zu Verstehen.
    Den Gott meiner Kindheit hatte ich aus VernunftsGründen in der Jugend aufgeben „müssen“ (im FreundesKreis war klar, dass es Gott nicht gibt, sonst gäbe es ja nicht so viel Leiden… ich konnte damals nichts dagegen halten) – das war schmerzlich, da ich mein AbendGebet ja auch nicht mehr sprechen konnte.
    Ich ging auf Suche – viele Jahre später fand ich IHN (ER mich) in Indien, wo ich in der Bibliothek eines Ashrams Meister Eckehart entdeckte… daraus wurde ein neuer Weg zu Gott… mit Gott.
    Erwachsenen Glauben finden…
    Als ich den Artikel las wurde mir auch die Parallele wieder bewusst zu „erwachsenen Beziehungen“.
    Nach einer schmerzlichen Scheidung – ist es ähnlich, wie nach der „Trennung von Gott“:
    Fragen zulassen, Kritik konstruktiv leben, Zweifel nicht ängstlich unter den Teppich kehren, selbständiges Denken… und eine neue Beziehung wagen; nicht „für immer“ ohne Beziehung leben (zu Gott/zu Menschen) nur weil es mal so viele Konflikte gab.
    Danke für den Artikel und die Kommentare, die mir diese „Bestätigung“, es kann „ein Neues“ werden, nochmal so deutlich formuliert haben.

    1. Evelyne Baumberger

      Liebe Mechthild, willkommen beim RefLab! Das ist ja eine bewegte Lebensgeschichte, danke fürs Teilen. Ich wünsche dir alles Gute auf deinem Weg!

  5. Vielen Dank für euren Artikel! Er hat mich nocheinmal in meiner kürzlichen Entdeckung des Religious Trauma Syndrome (http://marlenewinell.net/leaving-fold-former) bestätigt. Ich bin zwar nicht vom Glauben an Gott abgefallen, da ich meine Nase bereits zu tief in die „praktische Spiritualität“ gesteckt habe, aber es gibt immer noch zuviele Kirchen, die von kontrollierendem, manipulativem Verhalten so „durchseucht“ sind (und es selber noch nicht einmal merken – Thema „Emotionale Reife“), dass es zu ernsthaften, gesundheitlichen Schäden führen kann (wie auch bei mir). Und ich finde, das muss endlich aufhören. Und (penetrante) Aufklärung auf angemessene Art und Weise (wie hier in diesem Artikel) ist hilfreich und heilsam. Danke!

    Tja, und Auslöser bei mir war auch das Höllenthema. Ich musste irgendwann feststellen (nach Gesprächen mit vielen Pastoren und Leitern), dass hier eine biblisch fundierte Argumentation grundsätzlich NICHT die Basis der Sichtweise ist, sondern das persönliche Daran-Glauben-Wollen. Nicht hilfreich fand ich auch, dass dieses „Höllenweltbild“ dann in Alphakursen präsentiert wird und Menschen damit in eine (unterschwellig) angstdurchdrungene Gottesbeziehung eingeführt werden, die in einer Narzissmus-Co-Abhängigkeitsdynamik aufrechterhalten wird und Depression erhalten, vertiefen oder gar erst ausbilden kann. Natürlich verfestigt all dies auch die emotionale Dissoziierung, was einen echten Kontakt zu Gott behindern oder gar blockieren kann. Fragen Sie doch mal einen Durchschnitts-Christen, wie real Jesus für ihn in seiner alltäglichen Wahrnehmung ist – gefühlt – auf einer Skala von 1 bis 10. Ich habe bisher in 4-Augen-Gesprächen immer Werte unter 5 genannt bekommen. Und das von Leuten, die christlich erzogen worden sind. Warum? Ist Jesus etwa nicht so real existierend wie alle anderen Menschen auch, die man mit einer 10 bepunkten würde?

    Vielen Kirchen befinden sich – zumindest in Deutschland – diesbzgl. in einem absolut psychisch kranken Sumpf, merken es nicht und wundern sich, warum ihnen die Mitglieder weglaufen oder sie über die Jahre nicht wesentlich wachsen („Blinde versuchen Blinde zu führen“). Vielleicht müsste in den theologischen Ausbildungseinrichtungen auch ein psychotherapeutisches Angebot für die Studenten existieren, zumindest aber eine theoretische Ausbildung in diesen Zusammenhängen. Dann wäre schonmal ein Schritt nach vorn getan.

    1. Evelyne Baumberger

      Hi Daniel, danke fürs Lesen und für deinen Kommentar! Meiner Erfahrung nach haben viele Theologiestudierende kein so dunkles Höllenbild, es ist v. a. die Gruppe der (Post-/Ex-)Evangelikalen. Inzwischen wissen wir ja dank Blogs, Podcasts etc., dass es sehr vielen so geht, und diejenigen, die eine Dekonstruktion durchmachen, fühlen sich nicht mehr so allein, wie das bei mir vor knapp 20 Jahren war. Wenn es schon keine psychotherapeutischen Angebote gibt, so wenigstens informelle „Selbsthilfegruppen“. Und Communities wie das RefLab.
      Alles Gute dir!

  6. Prima Name für eine von der Psychiatrie verdrängte
    Erkrankung. Ich nannte die Krankheit 2005 auf Anraten einer Ärztin das Sacco-Syndrom. Und schickte das vor 2 Jahren ein für den ICD-10. 6 Bücher sind von mir darüber im Handel: zuletzt „Religionsmedizin“ von Frank Sacco. Über 500 Seiten Kirchen- und Psychiatriekritik.

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