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 Lesedauer: 6 Minuten

Liebe Hulda

Hulda, du bist eine der faszinierendsten Frauenfiguren der Bibel und gleichzeitig eine der unbekanntesten. Du tauchst nur kurz auf, in 2 Kön 22,8–20 und 2 Chr 34,22–28, aber du spielst eine echte Hauptrolle. Und das kann man nicht von vielen biblischen Frauen sagen. Die meisten Frauen der Bibel haben, musst du wissen, nicht einmal Sprechrollen.

Das kommt dir wahrscheinlich komisch vor, waren Frauen in deiner Zeit doch geschätzt als Prophetinnen, Schriftgelehrte und Theologinnen! Du warst eine dieser gebildeten Frauen des Altertums, nicht wahr? Hattest in Jerusalem eine eigene Theologieschule, an der du Frauen unterrichtet hast, richtig? Rabbinische Quellen legen dies nahe.

Aber die Zeugnisse aus deiner Zeit wurden später stark redigiert, wahrscheinlich in der Zeit des babylonischen Exils (nach 587 v. Chr.). Dies nehmen wir zumindest an. Und womöglich wurde insbesondere der weibliche Anteil an der Vermittlung von Gottes Heilplänen heraus gekürzt. Deswegen, unter anderem, schreibe ich dir.

Vor allem aber interessiert mich natürlich, was es mit dem mysteriösen Buch (oder Schriftrolle?) auf sich hat, das zu deiner Zeit im Tempel «aufgefunden» wurde.

Ein Buch «taucht auf»

Das Gotteshaus war sanierungsbedürftig. Eigenartig ausführlich berichtet die Bibel von Reparaturarbeiten im Tempel, Handwerkern und sogar der Art ihrer Belohnung. Aber weniger, wie es scheint, aus einer Wertschätzung für derartige notwendige praktische Dienste heraus, sondern um die angeblich zufällige «Auffindung» des Gesetzbuchs in irgendeiner Ecke des altersschwachen Gebäudes zu kolportieren.

Der Hohepriester ist des Lesens nicht mächtig. Man bringt das Buch zum König. Es wird diesem vorgelesen. Der König zerreisst seine Gewänder und verfällt in Klagen. Eine Delegation wird zu dir Nachhause gesandt. Dein Urteil als angesehene Prophetin wird eingeholt. Das Buch bringen sie gar nicht mit. Ist nicht nötig. Du weißt Bescheid.

Du trittst mit ungeheurem Selbstbewusstsein auf und bestätigst die Sicht des Königs. An einem grossen Wendepunkt, einer tiefgreifenden Kultreform, weissagst du und deine Worte sind für den König und die Priester Befehl. Fortan ist bei euch Schluss mit polytheistischen Fruchtbarkeitskulten, Muttergöttinnenstatuen, Kultpfählen etc. Es ist Schluss mit der omnipräsenten Aschera/Astarte. Was zählt, ist allein der Vätergott JHWH.

Waren die alten Kulte wirklich so fürchterlich, wie es uns die Bibel suggeriert? Wenn ihr damals, im 7. Jahrhundert vor Christus, von rituellen Menschenopferungen wegkamt, so war das wirklich ein grosser Fortschritt. Archäologische Grabungen, etwa auf Kreta, legen nahe, dass es im Altertum tatsächlich ritualisierte Kinderopferungen gegeben hat. Auch Moloch steht in der Bibel für eine derartige Ungeheuerlichkeit.

Wir haben heute keine Menschenopfer und keine Sklaverei mehr. Zumindest nennen wir es nicht so. Wir arrangieren uns mit Formen der Arbeitssklaverei. In Kriegen werden zwar nach wie vor Menschen zu Tausenden geopfert, aber das wird als vermeintlich ungewollter Nebeneffekt vermeintlich notwendiger geostrategischer «Interventionen» gewertet.

Die coole, lebenslustige Prophetin

Aus welchem Milieu stammst du, Hulda? Leider wird in der heiligen Schrift nur der Name deines Mannes übermittelt sowie der seiner männlichen Sippenangehörigen – typisch, oder?  Die Schrift verrät immerhin, du hättest in der Jerusalemer Neustadt gewohnt, also westlich von Residenz und Tempel. Dies lässt offen, ob du eine Tempel- und Hof-Prophetin warst, also dem König verpflichtet, oder aber freischaffend.

Warst du erstaunt, als die Delegation aus dem Tempel und Palast bei der eintrudelte? Heute würden wir vorher anrufen oder eine E-Mail schreiben. Sind sie einfach gekommen oder haben sie einen Boten vorausgesandt? Wie hast du sie empfangen?

Was für ein Typ bist du, Hulda? Ich stelle mir dich wie die coole Prophetin aus dem Film «Matrix» vor: eine tiefenentspannte, überaus zugewandte, abgeklärte, aber dennoch lebenslustige Frau und Charismatikerin, die gleichzeitig Lieblingsplätzchen bäckt, Inspirationen und Gäste empfängt.

Religiöser Extremismus

Offenbar warst du mit dem Star-Propheten deiner Zeit, mit Jeremia, verwandt. Stell dir vor, Theologen haben im 20. Jahrhundert darüber gerätselt, wieso bei einer derartig wichtigen Mission wie einer kompletten Umstellung des Staatskultes eine Frau und nicht der grosse Jeremia konsultiert wurde.

Jetzt schnall’ dich bitte an: Jeremia sei gerade nicht da gewesen und habe netterweise dich die Sache erledigen lassen; oder: Der König Josia habe sich an dich gewandt, weil er auf die grössere Weichherzigkeit einer Frau gebaut habe, oder: Es habe womöglich ein Priesterkomplott gegeben und du als Frau seist leichter manipulierbar gewesen als dein männlicher Berufskollege. Dazu würde dein Name passen, Hulda leitet sich von «Maulwurf» her. (Vgl. Marie-Therese Wacker, «Hulda – Prophetin vor dem Ende».)

Dein König hat damals Altäre der alten Kulte zertrümmern lassen und deren Priesterinnen und Priester blutig verfolgt. Das hört sich nach religiösem Extremismus und Fanatismus an und wird gelegentlich auch so gedeutet (z.B. von Heinz-Werner Kubitza, «Der Glaubenswahn»). Hast du das wirklich mitgetragen, Hulda? Und wenn ja, wieso?

Eine neue Matrix

Lass mich dich rundheraus fragen: Bist du die Autorin des angeblich im Tempel wie zufällig aufgefundenen und vermeintlich steinalten Gesetzbuches, das bei euch damals alles umgekrempelt hat? Ist die Geschichte mit der «Auffindung» also eine literarische Fiktion? Mein theologischer Lehrer, Georg Braulik OSB, hielt dies für möglich.

Was waren die Hintergründe, die euch an die ältere, die mosaische Tradition, kultisch-religiös anknüpfen liess? Hat es hier ältere schriftliche Quellen gegeben, die euch vorlagen? Hing die Umorientierung auch mit dem damaligen Zerfall der assyrischen Oberherrschaft zusammen und einer Erosion der mit dieser Herrschaft verbundenen Kulte? Konntet ihr euch deswegen wieder stärker auf den Stammesgott JHWH verlegen? Wie reagierten die Menschen auf die Kultreform?

Probleme deiner Zeit haben du und der König als Spätfolgen frevelhaften Verhaltens in der Vergangenheit wie auch in eurer Gegenwart gedeutet. Das ist bemerkenswert, kündigt sich hier doch eine transgenerationale Sichtweise an, eine Unheilsverstrickung, die Theologen später «Erbsünde» nannten.

Die von dir überlieferten Worte gehören dem Typ der Unheilsverkündigung an. Beeindruckend ist deine Schonungslosigkeit. Du weißt, dass Umkehr nur möglich ist, wenn du Fehlverhalten möglichst schonungslos benennst und nicht gleichzeitig mit Hoffnung und Wird-schon-wieder-gut winkst.

Ob die angemahnte Umkehr, sollte sie erfolgen, zu spät kommt, kannst aber auch du nicht sagen. Eine solche Situation ist uns, wenn wir etwa an die globale Klimakrise denken, keineswegs fremd. Durch deine Worte, Hulda, sprichst du auch zu uns.

Herzliche Grüsse,

Johanna

 

Wer über die Prophetin Hulda in der Bibel nachlesen möchte, findt die zentralen Passagen hier.

In dieser Serie schreiben wir Briefe an Frauen aus der Bibel. Die Briefe sind inspiriert von feministischer Exegese und von der afroamerikanischen Bibelauslege-Praxis der «sanctified imagination». 

Illustration: Rodja Galli.

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