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Gott und die Welt auf Netflix: Part II

Hier geht’s zu: Gott und die Welt auf Netflix: Part I

Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zur zweiten Einsicht. Eigentlich hat schon Paulus den Weg dahin gewiesen, in seiner denkwürdigen Begegnung mit den Bewohnern der Stadt Athen. Dort ist er nach dem neutestamentlichen Bericht unterwegs, um als erster Anhänger der noch jungen Jesusbewegung das »Evangelium» zu den Menschen dieser Metropole zu bringen (vgl. Apostelgeschichte 17).

Und doch finden wir ihn in Athen nicht einfach beim Predigen vor. Vielmehr verbringt er Tage damit, sich in der Stadt umzusehen und mit den Leuten zu reden – mit den Juden in der Synagoge, mit den Menschen auf dem Marktplatz, mit den stoischen und epikureischen Philosophen: Paulus will wissen, wie diese Leute ‚ticken‘, denen er hier begegnet, er will wissen, was sie umtreibt, woran sie glauben, worauf sie hoffen.

Dass es sich hierbei nicht nur um eine Masche des Apostels handelt, um seine Message passgenau zu ‚verkaufen‘ und den USP (unique selling proposition) seines Deutungsangebotes zielgruppengerecht zu vermitteln, lässt uns die Fortsetzung der Geschichte hoffen: Als Paulus von den Bewohnern der Stadt nach seiner eigenen ‚Botschaft‘ gefragt wird, beginnt er nämlich damit, die Religiosität der Athener anzuerkennen – und seine Erwartung auszudrücken, unter diesen Menschen jenem Gott zu begegnen, von dem er selbst bewegt war: Er erzähle ihnen von dem Gott, der schon lange mit ihnen in Berührung kommen wolle und der keinem von ihnen fern sei, macht er klar.

Gesellschaft und Kultur als Ausdruck des Geisteswirkens

Ich halte das für durchaus bemerkenswert. Gerade sein christlicher Glaube lässt ihn damit rechnen, dass ihm Gott eigentlich überall schon zuvorkommt – ja dass er mitten in fremden Kulturen, in neuen Zeiten und Milieus dem Wirken und der Gegenwart Gottes begegnen kann. Seine eigene Botschaft wird durch diese Begegnungen mitgeformt:

Er kommt nicht mit einer auf Flaschen gezogenen, versandfertig verpackten Evangeliumsbotschaft in eine Zone heidnischer Unwissenheit, sondern gewinnt das, was er zu sagen hat, in Interaktion mit den Menschen. Und er bleibt selbst davon nicht unberührt, nicht unverändert. Er bringt m.a.W. Gott nicht nach Athen, sondern begegnet ihm dort auf überraschende Weise.

Eigene popkulturelle Erschliessungserfahrungen

Das deckt sich durchaus mit meiner persönlichen Erfahrung. Ich habe in Zusammenhängen, die mancherorts als ‚unreligiös‘ bezeichnen würden – an Konzerten von Bands, die mit Gott und Kirche wohl wenig zu tun haben wollen, in Kinofilmen, die sich kaum als ‚christliche‘ Produktionen qualifizieren, an Ausstellungen ganz ’säkularer‘ Künstler, und sicher auch in der Natur, beim Wandern im Engadin oder beim Laufen durch die Wälder meiner Heimatregion Momente der tiefen Ergriffenheit, der Gegenwart Gottes, auch der spirituellen Einsicht erlebt.

Dasselbe gilt eben auch für meinen Konsum von Netflix-Serien. Wer die tiefgreifende Charakterveränderung eines Jamie Lannisters über acht Seasons von «Game of Thrones» hinweg mitverfolgt und über die Rolle der Liebe in diesem Transformationsprozess nachgedacht hat; wer an der Marvel Figur «The Punisher» abgelesen hat, was Trauer und Gewalt mit einem Menschen machen kann; wer in «Black Mirror» oder «Westworld» den Ängsten des modernen Menschen vor seinen eigenen technischen Errungenschaften ins Auge geblickt hat; oder wer Zeuge jenes unschuldigen Kusses zwischen Mike Wheeler und Eleven in der berühmten Schluss-Szene der zweiten Season von Stranger Things geworden ist – der oder die wird an der existenziellen und spirituellen Dimension solcher Formate kaum mehr zweifeln wollen…

Eine Gesprächseinladung…

Ich halte die zahlreichen Serien auf Netflix und anderen Plattformen darum für eine hervorragende Gesprächsvorlage – ja für eine Einladung sowohl an Menschen, die mit dem christlichen Glauben, mit Gott und Kirche nicht viel am Hut haben, als auch an diejenigen, welche Gott in ihrer kirchlichen Bubble festhalten und »da draussen« keine wesentlichen Entdeckungen mehr erwarten, sich von den grossen Fragen des Lebens neu bewegen zu lassen.

 

Disclaimer

Dieser Blogbeitrag schliesst an den ersten Teil unter demselben Titel an – und interagiert mit dem RefLab-Podcast «PopcornCulture». Jeden Monat rede ich dort mit Künstlerinnen, Theologieprofessoren, Zeitgeistforscherinnen und anderen spannenden Persönlichkeiten über ihre Lieblingsserie auf Netflix (oder einer anderen Streaming-Plattform). Wir unterhalten uns über das, was uns an dieser Serie begeistert und auf gute Gedanken über Gott und die Welt bringt.

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