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 Lesedauer: 4 Minuten

Vom Gedenken, von Brücken und Fenstern: Zum Transgender Day of Rememberance

Es hat etwas Absurdes an sich, in einer katholischen Kirche in einem Gottesdienst zu sitzen, der plötzlich von einer lauten Horde vermummter Männer mit einem grossen, weissen Kreuz gestürmt wird. Mein erster Gedanke war: «Schaut doch, wo wir hier sind, Leute, wir finden den gleichen Jesus cool.»

Als genau das beim Gottesdienst der Zürich Pride vergangenen Juni geschah, war die Angst aber grösser als die Verwunderung. In dem Moment, in dem eine Gruppe vermummter Männer sich Zutritt in die Kirche verschafft, weiss man nicht, was in der nächsten Sekunde geschehen wird. Ob sie nur ein grosses Kreuz und ein Megafon dabeihaben oder auch Knüppel, Messer, Schusswaffen.

Die vermummten Störer des Pride Gottesdienst wurden von mutigen Gottesdienstbesucher:innen nach kurzer Rangelei in die Flucht geschlagen. Sie waren nicht bewaffnet und schlecht organisiert. Das grosse Holzkreuz liessen sie zurück.

Die Angst ist nicht unbegründet

Beim Angriff wurde niemand körperlich verletzt. Trotzdem waren die Gottesdienstbesucher:innen erschüttert und Tränen flossen.

Vorkommnisse in unseren benachbarten Ländern zeigen, dass Angst in einem solchen Moment nicht unberechtigt ist: Im Umfeld von Pride-Veranstaltungen kam es dieses Jahr zu zahlreichen gewaltsamen Angriffen und Toten. Trans Personen sind besonders häufig betroffen.

Auch ohne Verletzte und Tote sass der Schock bei mir tief. Menschen greifen mich mit dem an, was ich doch selbst für mich einfordere: Das Kreuz, das Symbol, in dem ich Gottes «Ja» zu mir sehe, auch gerade als queerer Person, wird als mahnende, drohende Waffe gegen mich eingesetzt.

Der Gottesdienst wurde nach dem Angriff weitergefeiert – emotional und trotzig.

Es wurde gesungen, gepredigt, gebetet. «Unser Vater im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe –».

Die Worte kamen mir nicht über die Lippen. Denn ich weiss, dass auch Menschen diese Worte beten, die der Ansicht sind, dass ich als trans Person nicht dem Willen Gottes entspreche und keinen Platz im Reich Gottes habe.

Sprechen und Verstehen

Im Pride-Gottesdienst blieb mir das «Unser Vater» im Hals stecken. In den Wochen und Monaten danach lernte ich jedoch, dass es gerade diese Worte sind, die trotz allem verbinden können.

Die säkular-politische Sprache kann dies nicht leisten: Wenn ich mit einer Person, die gesellschaftspolitisch völlig anders denkt, über unsere Ansichten spreche, dann arbeiten wir uns nur aneinander ab. Unser Jargon, unsere eingefleischten Floskeln aus unserem jeweiligen politischen Lager regen den anderen schon zu sehr auf. Wir hören einander nicht zu. Wir verstehen einander nicht.

Wenn ich jedoch mit einer Person spreche, die sich ebenfalls dem Christentum zugehörig fühlt, haben wir eine gemeinsame Sprache.

Wir benutzen beide die Worte «Bibel», «Gott», «Jesus» und «Gnade» – vielleicht auch die Begriffe «Wille Gottes» und «Reich Gottes».

Darüber ins Gespräch zu kommen, was wir uns darunter vorstellen, schafft eine Brücke des Verstehens. Eine Brücke hinein in unsere menschliche Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit. Oder ein Fenster, das mir Einblick in die Wünsche und Sehnsüchte und Hoffnungen meines Gegenübers gibt.

Manchmal erblicke ich durch dieses Fenster das Bild eines mächtigen, strafenden Gottes. Der Weg in das Reich dieses Gottes ist unendlich schmal. Manchmal erblicke ich im Anderen einen wählerischen Gott, dessen Gnade an viele Bedingungen geknüpft ist.

Und vielleicht erblicken andere in mir die Hoffnung auf Jesus, wie er mit den Menschen am Rand der Gesellschaft am Tisch sitzt – als einer von ihnen. So kommen wir ins Gespräch.

Das beseitigt unsere Differenzen nicht und macht Gewalt nicht ungeschehen. Trotzdem, diese Brücke, dieses Fenster, diese Sprache gibt mir Hoffnung.

Also bestehe ich darauf, dass ich Anteil an dieser Sprache habe, an diesen Worten – und bete das «Unser Vater» langsam, aber sicher, wieder selbstbewusster mit.

Gewalt beginnt nicht erst bei Schlägen

Auch hierzulande geschieht physische und psychische Gewalt an trans Personen nicht nur im Umfeld von Pride-Veranstaltungen. Sondern auch auf der Strasse, hinter verschlossenen Türen, in der Medizin, im Bildungswesen und vielen anderen Institutionen.

Transfeindliche Gewalt beginnt nicht erst bei körperlichen Verletzungen und Toten.

Sondern bei einflussreichen Menschen wie J. K. Rowling, die trans Frauen zu Dämonen stilisieren, Ueli Maurer, der kein «Es» als Nachfolge im Bundesrat will, und Hans-Ueli Vogt, der auf politischem Wege gegen den «Transgenderwahn» vorgehen will.

Wenn es «oben» in der Politik wieder salonfähig ist, transfeindlich zu reden und handeln, dann steigt auch die erschreckend alltägliche verbale und körperliche Gewalt gegen trans und non-binäre Personen. Und diese kann nicht ungeschehen gemacht werden.

Aber wir können der Betroffenen heute gedenken. Und ich halte fest an der Hoffnung, dass wir Brücken und Fenster bauen können, damit wir einander in unserer Verletzlichkeit verstehen lernen.

Rhea Dübendorfer (they/keine) studiert Theologie in Zürich. They wirkte hier auf RefLab bereits in den drei «Gender-Gaga»-Folgen des Buchvlogs von Fabienne Iff mit.

 

Photo by Kyle on Unsplash

1 Kommentar zu „Vom Gedenken, von Brücken und Fenstern: Zum Transgender Day of Rememberance“

  1. Die Schriftstellerin J.K.Rowling stellt einfach fest, dass biologisch nur Frauen und Männer gibt.Sie demonisiert gar nichts – hingegen
    dämonisiert hier Rhea Dübendorfer eine andere, biologisch einwandfreie Realität.
    Ueli Maurer hat einfach seine rein persönliche Ansicht zu „es“
    als eventuelle Nachfolge geäussert, ist wohl jedem frei.
    Auch kein Freund von Transgender zu sein steht jedem frei und es ist noch keine Feindschaft,

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