Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 3 Minuten

Facebook ist vorbei. Wenn du willst.

In den vergangenen zwei Wochen war ich nicht besonders treu. Ab und zu habe ich ein Familienfoto oder ein Bild vom Strand hochgeladen. Gelegentlich habe ich etwas in meiner Insta-Story gepostet. Aber Facebook hat es bemerkt. Ich war nur mit halbem Herzen dabei. Und das passt Facebook gar nicht!

Der Zauber des Anfangs

Früher – als Facebook eine interessante Plattform war, um am Leben geografisch entfernter Freunde oder alter Liebschaften teilzunehmen – habe ich von Facebook Benachrichtigungen erhalten, die mich wirklich interessierten. Ein Freund hat Geburtstag, eine Freundin hat einen meiner Beiträge kommentiert, jemand hat mich angestuppst.

Längst habe ich mich daran gewöhnt, dass die meisten Meldungen uninteressanter Spam oder richtig schlecht gemachte Partizipationsanimationsversuche der Datenkrake sind. Freundschaftsanfragen von Frauen mit mehr als einem Vornamen lösche ich direkt. Irgendjemand hat irgendetwas in irgendeiner Gruppe gepostet. Irgendjemand lädt mich zu irgendeiner Gruppe ein und ich werde daran erinnert. Jemand hat ein neues Video gepostet. Ich soll ein «Top-Fan-Abzeichen» entgegennehmen. Viele meiner Freunde sind gar nicht mehr auf Facebook. Und andere, die ich irgendwann als Freunde angenommen hatte, schreiben seltsame Dinge über Impfungen, Corona, das generische Maskulinum oder teilen Vorher-Nachher-Bilder ihrer Abnehmerfolge. Und dazwischen erhalte ich haufenweise Werbung für Laufschuhe. Täglich. Seit Monaten.

Zufallspause & Phantomschmerz

Trotz all dieser Nachteile hätte ich wahrscheinlich nicht bemerkt, wie sehr mich Facebook nervt. Bis ich mein Handy in der Ferienwohnung gelassen habe und mich nur mit meinem E-Reader ausgerüstet am Strand ausgeruht habe. Ein paar Mal meinte ich ein Surren zu hören oder zu spüren. So eine Art Phantomschmerz meines abwesenden IPhones. Aber insgesamt hat mir nichts gefehlt! Ich musste keine Bilder machen. Ich konnte das Meer anschauen. Ich musste keine Angst haben, dass jemand mein IPhone klaut. Ich konnte mich in die Wellen stürzen. Und ich hatte ununterbrochene Zeit zu lesen, ohne dass mich Facebook benachrichtigt, ablenkt, aufwühlt und langweilt.

Das ist mir erst beim Abendessen – ich hatte das IPhone wieder dabei – klar geworden. Daraufhin durfte mich Facebook nicht mehr zum Strand begleiten. Und hat dann sein wahres Gesicht gezeigt. Alles wurde aufgefahren: Ferienrückblicke, Umfragen, Fotos vom Geburtstag meiner Frau vor 6 Jahren… Der Algorithmus drehte im Roten. Ich aber las, spielte Fussball, schwamm und genoss die Sonne. Nein, ein Co-Abhängiger will ich nicht werden.

Nicht so toll

Aber ich bleibe abhängig. Ich habe die App nicht deinstalliert. Bin immer noch auf Facebook. Seitdem beobachte ich aber bewusster, was ich dort tue. Häufig like ich Beiträge von Menschen, ohne sie genau zu lesen, fast aus Pflichtgefühl. Manchmal finde ich Artikel von «Republik», die ich wirklich lese und die meinen Horizont erweitern. Häufig schüttle ich den Kopf über mir peinlich erscheinende Beiträge von Impfskeptikern. Ganz selten kommentiere ich einen Beitrag oder schreibe jemandem eine Direktnachricht. Ab und zu gratuliere ich zum Geburtstag. Ich drücke täglich ca. 30 mal auf die App und schliesse sie meist nach weniger als zwei Minuten wieder. Das ist nicht so toll. Es ist eher eine verinnerlichte Angst, etwas zu verpassen.

Wenn nicht die guten Erinnerungen an meine Facebook-Anfänge vor über 10 Jahren wären, wäre ich weg. Das wäre wohl das Beste. Instagram ist etwas besser. Die Stories finde ich oft beiläufig unterhaltsam. Aber weder Facebook noch Instagram sind so interessant wie eine Zeitung oder ein Buch. Sogar an die schlechtesten Bücher, die ich gelesen habe, erinnere ich mich noch gut. Ich habe aber keine Ahnung, was ich mir vor 90 Minuten in der Mittagspause auf Facebook oder Instagram angeschaut habe. Nichts davon bleibt hängen. Gar nichts. Ich glaube, Facebook war ein Hype, der bald vorbei sein wird. Für mich selbst hoffe ich das jedenfalls.

3 Kommentare zu „Facebook ist vorbei. Wenn du willst.“

  1. Interessanter Artikel. Es ist aber in der Tat schwer, aus den sozialen Netzwerken den Absprung zu finden, weil man dort ja eben auch reale Kontakte hat, Kontakte, die man vielleicht nicht so oft sieht, die man aber behalten möchte.

  2. Rainer Kirmse , Altenburg

    HOMO DIGITALIS

    Vom tiefen Westen zum fernen Osten
    Ein endloses Mailen und Posten.
    Das Handy ist Körperteil geworden,
    Gehegt und gepflegt allerorten.

    Wir legen es kaum noch aus der Hand,
    Eine Manie überzieht das Land.
    Man geht gebeugt mit gesenktem Blick,
    Schaut nicht nach vorn und nicht zurück.

    Nachrichten checken, Tweets abschicken,
    Mit Selfies die Freunde beglücken.
    Man ist ständig beim Interagieren,
    Google und Facebook triumphieren.

    Man kann auf so mancherlei verzichten,
    Auf’s elektronische Glied mitnichten.
    Das Smartphone demonstriert seine Macht,
    Wir sind im Netz gefangen Tag und Nacht.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus der Skatstadt

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