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 Lesedauer: 6 Minuten

Der Götterhimmel der Neuzeit

Mein Superhelden-Anzug

Es muss irgendwann zu Beginn meiner Primarschulzeit gewesen sein. Ich konnte es zuerst nicht glauben, aber mein Klassenkollege hatte mir hoch und heilig – sogar bei Gott! – geschworen, dass es wahr sei:

Er besass einen Superhelden-Anzug, mit dem er nachts über die Stadt fliegen konnte.

Die Vorstellung, mit diesem Anzug der Schwerkraft zu trotzen und in meiner kleinen Schaffhauser Vorstadtwelt luftige Abenteuer zu bestehen, nahm mich für einige Wochen völlig in Beschlag. Unablässig bedrängte ich meinen Kollegen, mir dieses wundersame Textil doch wenigstens einmal, nur ganz kurz, auszuleihen – bis er mir dann lachend eröffnete, er hätte mich doch nur zum Narren gehalten.

Zwei Dinge berühren mich im Rückblick auf dieses Erlebnis eigenartig.

Zum einen war es für mich offenbar derart undenkbar, dass jemand den Namen Gottes für eine blosse Flunkerei missbrauchte, dass ich der Behauptung meines Kollegen einfach glauben musste.

Zum anderen aber scheint meine Sehnsucht danach, endlich Teil einer Superhelden-Geschichte zu werden, so überwältigend gewesen zu sein, dass ich bereit war, ihr meinen durchaus schon vorhandenen Sinn für Realismus zu opfern.

Blütezeiten für Spezialbegabte

Natürlich war ich nicht der Einzige, der solcherart fantastische Träume hegte. Das Superhelden-Genre erlebte in meinen Kindheitsjahren eine neue Blütezeit: Die bahnbrechenden Superman-Filme mit Christopher Reeve lockten Millionen in die Kinos, fast jeder Junge wünschte sich He-Man-Plastikpuppen oder Hörspiele zu Weihnachten, und auch Spiderman, Batman und Hulk flimmerten schon über den Fernseher (die Conan- und RoboCop-Filme musste man wegen ihrer unsäglichen Brutalität heimlich schauen).

Es war eine schillernde Zeit, welche die Gedankenwelt vor allem junger Menschen mit unzähligen Figuren bevölkerte, denen aussergewöhnliche Fähigkeiten geschenkt waren, um die Menschheit vor dem Bösen zu retten.

Im Rückblick war es zugegebenermassen eine auffallend männliche und sehr weisse Welt. Gestört hat mich das damals nicht, es ist mir schlicht nicht aufgefallen. In neuerer Zeit wird dieser Umstand deutlich sensibler wahrgenommen und auch mit Nachdruck korrigiert:

Mit Supergirl, Wonder-Woman, Ms. Marvel, She-Hulk und den Held:innen der «Eternals», sowie mit Black Panther, Black Lightning, Black Adam, Miles Morales, Luke Cage oder auch Shang-Chi haben längst auch viele Frauen und BiPOC (Black/Indigenous/People of Color) einen festen Platz im Universum der Hochbegabten. Und nicht nur in solcher Hinsicht hat sich dieses Universum weiter ausgebreitet:

Die Blütezeit der 1980er Jahre verblasst im Vergleich mit dem konkurrenzlosen Siegeszug des Superhelden-Genres durch sämtliche Unterhaltungsmedien unserer Zeit.

Angestossen durch die Neuverfilmung der Avenger-Geschichten aus den Marvel-Comics in den Jahren um 2010 (MCU Phase 1) bewegten sich die Superhelden aus der B-Movie und Liebhaber-Nische definitiv ins Zentrum der Popkultur. Die grossen Blockbuster der Gegenwart sind fast samt und sonders Superhelden-Filme, oft in erstaunlicher Starbesetzung (Anthony Hopkins, Hugh Jackman, Jennifer Lawrence, Angelina Jolie, Charlize Theron, Benedict Cumberbatch, Morgan Freeman u.v.a. sind sich für Superhelden-Rollen nicht zu schade…), mit entsprechenden Computer-Games werden Milliarden umgesetzt, und sogar die Comic-Branche erlebt ein Revival.

Ein frisch bestückter Pantheon

Es ist sicher nicht weit hergeholt, von einem neuen Pantheon zu sprechen, einem (post-)modernen Götter- und Göttinnen-Himmel, der nicht nur zufällig an die grossen Figuren der griechischen oder auch germanischen Sagenwelt erinnert – an Zeus und Athena, Hades, Poseidon, Ares und Aphrodite, sowie an die grossen Helden des Altertums, oder an Odin, Thor und Loki.

Die drei letztgenannten tauchen im Marvel-Universum sogar ausdrücklich auf – Thor ist als mächtigstes und wohl auch beliebtestes Mitglied der Superhelden-Erstauslese «Avengers» besonders prominent –, und die Verwandtschaft des DC-Helden Aquaman, der mit dem Dreizack in der Hand über die Meeresstadt Atlantis regiert, mit dem Meeresgott Poseidon, ist offensichtlich.

Auch die Geschichten anderer neuzeitlicher Superhelden, die nicht unmittelbar an mythologische Vorbilder angelehnt sind, atmen doch meist unverkennbar den Geist antiker und mittelalterlicher Mythologien oder lassen mindestens die Motive wieder aufleben, die aus der Welt der Götter und Helden bekannt sind:

Sie erzählen von aussergewöhnlichen Begabungen und Kräften, von göttlichen Bestimmungen und Schicksalen, von magischen Gegenständen, geheimnisvollen Wesen und unsichtbaren Realitäten, vom abgrundtief Bösen und der Rettung der Menschheit.

Was ist es, was unsere aufgeklärte, hochtechnisierte, durch wissenschaftliche Erkenntnisse scheinbar entzauberte Gesellschaft in solch infantilen Fantasien festhält, könnte man sich fragen.

Der Verweis darauf, dass die heutigen Menschen diese Geschichte ja nicht wirklich glauben würden, entschärft die Sache kaum. Denn erstens ist durchaus fraglich, inwiefern Menschen der Antike in einem historisch-realistischen Sinne an ihre Göttersagen und Heldenmythen geglaubt haben – und zweitens spielt die Frage nach der Existenz von Superhelden und gottgleichen Übermenschen für deren persönliche und gesellschaftliche Funktion keine entscheidende Rolle:

Auch wenn völlig klar ist, dass es Superman, Wonder Woman, Spiderman und Mrs. Marvel im «realen Leben» nicht gibt, so prägen deren Geschichten trotzdem unser Denken, formen unsere moralischen Kategorien, definieren Tugenden wie Mut, Hingabe oder Gerechtigkeit, modellieren Menschenbilder und Geschlechterverständnisse und haben gerade für junge Menschen eine ausgeprägte Vorbildwirkung.

Doppelte Neugierde

Auf den Punkt gebracht lohnt es sich also, einen eingehenderen Blick auf diese Figuren und Narrative zu werfen. Aus religiös-theologischer Warte kann man dabei zwei Perspektiven einnehmen:

Sicher eignet sich der Kosmos zeitgenössischer Superhelden und Superheldinnen trefflich für gesellschaftsanalytische Beobachtungen zu den Sehnsüchten, Träumen, Selbstverständlichkeiten und Motiven besonderer jüngerer Generationen.

Auch kritische Anmerkungen zu blinden Flecken und Einseitigkeiten vieler Geschichten legen sich nahe. Was ich in einem früheren Blogbeitrag von TV-Serien überhaupt gesagt habe, gilt für die Welten von Marvel, DC und Co. im Besonderen: An ihnen lässt sich der Puls der Zeit tiefenschärfer und zeitnäher ablesen als in mancher soziologischen Literatur.

Dann lässt sich meiner Überzeugung nach aber nicht nur über unsere Zeit und Gesellschaft vieles lernen, sondern auch über Gott und das Leben überhaupt. Zumindest, wer theologisch keiner rabenschwarzen Anthropologie verpflichtet ist, wird schnell wahrnehmen, wieviel Gutes, Schönes und Wahres, wieviel Spiritualität und göttliche Einsicht uns in den popkulturellen Produkten dieses Genres auch entgegenkommen – nicht zuletzt in den sich über viele Episoden und Staffeln erstreckenden Superhelden-Serien auf Netflix, Amazon Prime, HBO oder Disney Plus, die eine viel eingehendere Charakterzeichnung erlauben als die üblichen 2-stündigen Kinofilme (vgl. hierzu einen weiteren Blogbeitrag von mir über die wunderbare Welt von Netflix).

Wer will, kann das auch «pneumatologisch» einholen, wie die Theologinnen sagen würden.

Das heisst, man darf mit guten theologischen Gründen damit rechnen, dass Gott nicht nur in den engen Grenzen seiner Kirche(n) wirkt und Einsicht in die Wahrheit schenkt, sondern dass sein Geist überall am Werk ist, wo Menschen sich für das Gute öffnen, Liebe erfahren und schenken und Gerechtigkeit üben.

All das findet sich auch in den Narrativen des Superhelden-Genres. Ein Grund mehr, die Geschichten nicht nur zu geniessen, sondern auch neugierig darüber nachzudenken…

 

Illustration: Rodja Galli

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4 Kommentare zu „Der Götterhimmel der Neuzeit“

  1. sehr interessant – als Musik Typ finde ich The Script – Superheroes interessant – da gibt es ja die Stelle „Turn the pain into power“ das ist ja bei vielen der Superhelden auch – da ist irgendein Schmerz, eine Verletzung aus der die Superkräfte wachsen. Die Problemlösungsstrategien der Helden sind ja meistens mit Gewalt verbunden und oft auf eine Sache fokussiert, was da alles sonst so kaputt geht ist egal. Ich mache ja den 7Tage1Song Podcast – vielleicht hat ja jemand Lust zu überlegen, ob Jesus auch „the pain into power“ gewandelt hat. Die Idee habe ich schon lange, aber diese ganzen Marvelsachen kenne ich nicht gut genug. Also wenn das hier jemand liest, ich freue mich zu überlegen, ob das eine meiner Folgen werden könnte.

  2. Sensibles Marvel-Universum? Moment mal.

    Wenn Reflab sich die Superhelden zur Brust nimmt, werde ich hellhörig. Das hat drei Gründe. Erstens bedeutet mir dieses Genre die Welt, zweitens prägt es seit Jahrzehnten unser Denken und drittens ist diese Prägung nicht über alle Zweifel erhaben. Aber der Reihe nach.

    Bei mir war es Batman. Das Kostüm habe ich mir selbst gebastelt. Nachts, wenn alle schliefen, schlich ich mich aus dem Haus und wachte über den Menschen meines Dorfes. Kein Scherz. In Batman habe ich als Autist etwas gefunden, was die reale Welt nicht bieten konnte:

    Ein Mensch, dessen Maske das Gesicht ist, dass er der Öffentlichkeit zeigt. Der als Einsiedler lebt und dem soziale Gepflogenheiten fremd sind. Der sich für Menschen einsetzt, zu denen er irgendwie nicht gehört. Erst im Schutz der Dunkelheit lässt der (zufällige stinkreiche) Einzelgänger alle sozialen Masken fallen und wird zu dem, der er ist – in aller Gebrochenheit, aber auch in aller Entschlossenheit.

    Regisseur Tim Burton hat dieses unfreiwillige Spiel mit den Masken in seinen zwei Filmen wunderbar inszeniert. Christopher Nolan machte die Fledermaus in seiner Trilogie schliesslich zur christologisch geladenen Märtyrerfigur. Über diese drei Filme liesse sich eine ganze Abhandlung verfassen, so dicht gefüllt sind sie mit christlichen Reminiszenzen.

    Nolans Batman (Spoiler-Alarm!) opfert sich am Ende selbst, nur um schlussendlich wieder aufzuerstehen – physisch und ideell. So viel christliches Pathos kann der eigentlich allmächtige Superman kaum hinbekommen, auch wenn der Comic-Messias jüdischer Autoren (!) sich in beinahe jedem Film aufopferungsvoll in die Kreuzespose fallen lässt. Ein Schelm, wer hier an religiöse Aneignung denkt.

    Mit dem Marvel-Universum kann ich mich hingegen weniger identifizieren, zumal die Helden dort oftmals nach einem imho wesentlich einfacheren Muster gestrickt sind (Robert Downey Jr.’s Iron Man einmal ausgenommen). Die Filme habe ich dennoch gerne angeschaut, die Sensibilisierung für prominenten Themen mit Interesse verfolgt. Captain Marvel und Wonder Woman wurden als starkes Zeichen für die Gleichberechtigung gefeiert. Black Panther wurde gar einer der erfolgreichsten Marvel-Filme überhaupt.

    Manuel Schmid hat recht, wenn er von einer Korrektur mit «Nachdruck» schreibt. Eine Korrektur, welche die Wahrnehmung mehr als einer Generation wesentlich mitprägt. Die Filme mögen inhaltlich keine Meisterwerke sein, ihr Beitrag zur Wahrnehmung sozialer Ungleichheiten darf nicht unterschätzt werden.

    Trotzdem möchte ich den Machern entgegen halten, dass sie Themen aufnehmen, die sich ohnehin schon im gesamtgesellschaftlichen Gärprozess befinden. Marvel ist nicht richtungsweisend in Sachen Gleichberechtigung. Marvel nimmt nur gekonnt die Bälle auf, der sich gerade gut verkaufen lassen.

    Deutlich wird das an einem Thema, das aktuell weit weniger populär ist: Beeinträchtigungen (impairment*). Denn hier geht Marvel sogar den umgekehrten Weg und untermauert mit seiner wenig reflektierten Darstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen gar alte, zum Teil christlich portierte Menschenbilder.

    Wie die Theologin Helena L. Martin in dem Artikel «Martyrs and Monsters of the Avengers: Christianity and Disability in the Marvel Cinematic Universe» (Yale, 2020) aufzeigt, sind bei Marvel sowohl Heldin wie auch Schurke bereits am äusserlichen Erscheinungsbild zu erkennen. Sie schreibt:

    «In den meisten Fällen sind die Helden attraktiv, mit ‘idealen’ Körpern, damit sie für die gute Seite kämpfen können. Schurken und Antihelden erreichen dieses Ideal nicht oder verzerren es sogar. Sie haben oft eine physische Differenz oder Beeinträchtigung, die ihre mangelhafte Moralität repräsentiert.» (eigene Übersetzungen)

    Der Schurke ist daran zu erkennen, ob er äusserlich eine Beeinträchtigung hat oder in irgendeiner Form von der ‘Norm’ abweicht. So wie Scar im «Lion King» durch seine Erscheinung unmittelbar als der Böse erkennbar ist, so muss auch der rotköpfige Red Skull bei Captain America zwingend ein Bösewicht sein.

    Seit meiner Geburt habe ich ein unübersehbares rotes Feuermal im Gesicht. Ich merke, die einseitige visuelle Darstellung des Bösen macht etwas mit mir. Noch heute erlebe ich, dass Menschen, die mich nicht kennen, mich als Bedrohung wahrnehmen und entsprechend reagieren. Wie muss es erst Menschen gehen, welche mit schweren Beeinträchtigungen leben? Hier geschieht das, was man im Sozialen Modell Behinderung nennt: Kulturell und sozial bedingte Konsequenzen infolge der persönlichen Einschränkungen. Menschen mit Einschränkungen sind nicht behindert. Sie werden behindert. Filme wie jene von Marvel untermauern das aus dieser Perspektive resultierende Verhalten.

    Natürlich hat auch der Held bei Marvel gelegentlich so seine Verletzungen. Allerdings sind diese dann Zeichen seine Aufopferung für die Gerechtigkeit. Das steht dann in schöner Tradition zu dem, was Paulus und später auch Augustinus unterstreichen: Die Glorifizierung von Leiden. Wenn Paulus sagt, dass er die Zeichen des Gekreuzigten trägt (Gal 6,17), unterstreicht er damit seine Autorität und seine Leiden-schaft für die Sache Christi. Augustinus schreibt gar davon, dass die Zeichen des Leidens ein Ehrenabzeichen seien.

    Anders als bei den Schurken und den Antihelden (zu denen komme ich gleich), haben die Zeichen aber keine Einschränkung auf die Handlungsfähigkeit und keine Auswirkung auf die gute Moral der Helden. Eher im Gegenteil. Als Thor im Film Ragnarok sein Auge verliert, gewinnt er dadurch am Ende nur noch mehr Macht. ‘Fun’-Fact am Rande: Der Thor-Darsteller Chris Hemsworth trug nie eine Augenbinde im Film. Diese wurde später digital eingefügt, weil sie den Schauspieler beim Spiel behindert hätte.

    Die Augenbinde ist nur ein freundlicher Reminder für die Opferungsbereitschaft des Gottes. Mit den scheinbaren Zeichen des Martyriums verhält es ich demnach ganz ähnlich wie bei Augustinus, welcher betont, dass die Zeichen im Himmelreich frei von Schmerz als Hinweis auf das Opfer erhalten blieben. So können alle diese Übermenschen bestaunen.

    Ein wenig anders sieht es bei den Antihelden aus. Martin zieht als Beispiel unter anderem die Marvel-Figur Bucky Barnes (Winter Soldier) heran. Bucky ist der beste Freund von Captain America. Er verliert aber bei einem Einsatz seinen Arm und ist infolge einer Gehirnwäsche sozusagen des Teufels Adjutant – ein Bösewicht mit gleichsam amputiertem moralischem Kompass.

    Der fehlende Arm, ersetzt durch eine Maschinenprothese mit dem roten Stern (als Hinweis auf den ‘Besitzer’), verweist laut Martin auf das fehlende Stück in Buckys Moralität hin: «Die Prothese beweist seine Identität als unkontrollierbarer Bösewicht.» Anders als Thor, dessen Beeinträchtigung nur eine scheinbare ist, muss Bucky seine im Handlungsverlauf überwinden. Seine Figur und deren Entwicklung ist deutlich auf seine Beeinträchtigung reduziert. Bucky muss sich von der Sünde reinwaschen und infolge dessen das sichtbar Sündige an seinem Körper abstreifen.

    Moralisch ‘rein’ ist Bucky erst, als die böse Prothese zerstört wird und er im neo-paradiesischen Wakanda nach einem todesähnlichen Gefrierschlaf wieder aufersteht und physisch sowie psychisch geheilt wird. Auch Augustinus meint, dass abgetrennte Gliedmassen im Himmelreich wieder ergänzt werden müssen. Das ist dann schon nicht mehr so nobel wie die Narbe des Märtyrers und dringend korrekturbedürftig.

    In derselben Logik wird Buckys notwendige Entwicklung auf seine offensichtlich fehlerhafte körperliche Verfasstheit zurückgeführt. Die Filme ermuntern uns, die Figuren über ihre Körperlichkeit zu bewerten. Die offenbar nötige visuelle Unterscheidung von Gut und Böse wird zum Damoklesschwert für jeden Menschen mit einer Beeinträchtigung.

    Comics bieten uns eine grosse Projektionsfläche für unsere eigenen Hoffnungen und Ängste. Sie spieleln uns die Welt, die wir uns erträumen, aber eben auch die Welt, die ist. Mit Popcorn und Soft-Drink im Kino identifizieren wir uns mit den übergrossen HeldInnen und solidarisieren uns innerlich im Kampf gegen das offen-sichtliche Böse. An diesem Spass ist nichts auszusetzen. Ich zumindest möchte ihn auf keinen Fall missen. Doch scheint es angezeigt, bei allem Beifall für die kulturprägende Offenheit des Comic-Universums auch dessen Schattenseiten zu bedenken. Denn diese sind eben nicht auf den ersten Blick sichtbar – so wie das im realen Leben auch der Fall ist.

    Anmerkungen:
    • Ich verwende das Wort «impairment» (Beeinträchtigung) in Abgrenzung zum Wort «disability» (Behinderung). Im Rückgriff auf das Soziale Modell von Behinderung verstehe ich Beeinträchtigung als physische oder psychische Einschränkung, Behinderung jedoch als soziale und kulturelle Konsequenzen eben jener Einschränkung.
    • Den Artikel von Helena L. Martin, auf den ich mich hier weitgehend stütze, findet man im «Journal of Disability & Religion» 24:4 (2020).
    • Die Gedanken zu Augustinus findet man unter anderem in Brian Brocks Buch «Disability in the Christian Tradition». Zur Ehrrettung des Kirchenvaters: Anders als im Blick auf das Himmelreich, bewertet Augustinus Beeinträchtigungen hier auf Erden fast durchweg positiv. Brock schreibt: «Augustinus weist darauf hin, dass das, was für uns wie eine Missbildung aussieht, in Wirklichkeit ein Artefakt der sündhaften Fähigkeit sein kann, Gottes Wirken in allen Menschen zu sehen.»

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