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 Lesedauer: 5 Minuten

Das Phänomen Donald Trump

Wie ist es möglich, dass ein Präsident, der sich mehrmals rassistisch und gegenüber Frauen diskriminierend geäussert hat, der Fehler am Laufmeter macht, täglich ins Fettnäpfchen tritt, abstruse und hirnrissige Theorien teilt, die USA ideologisch spaltet, während der Pandemie zusammen mit seinem Stab verheerende Entscheidungen traf, immer noch im Rennen für eine Wiederwahl ist? Was zum Geier ist mit den US-Amerikaner*innen los? Und was machen die Demokraten falsch?

Ein Klagegedicht

In «Homeland Elegien» von Ayad Akhtar fand ich einige Antworten zu diesen Fragen. Ayad Akhtar ist ein erfolgreicher US-amerikanischer Schriftsteller und Dramatiker, wuchs als Sohn pakistanischer Einwanderer in Milwaukee auf und hat im Jahr 2013 den Pulitzer-Theaterpreis gewonnen. Interessanterweise war sein Vater jahrelang der Kardialoge von Donald Trump.

Das Buch gibt Einblick in Parallelwelten, die normalerweise nicht zugänglich sind: Wie ist es, als Muslim*in in den USA zu leben (besonders nach dem Attentat von 9/11)? Wer ist Donald Trump wirklich – und wollte er überhaupt Präsident werden? Woran lag es, dass auch Afroamerikaner*innen und Pakistaner*innen jemanden wie Trump gewählt haben? Wie denkt, fühlt und lebt die amerikanische Elite?

Wie der Titel suggeriert, hat das Buch einen klagenden, aber auch sehnsuchtsvollen Charakter (Elegie = Klagegedicht), und es nähert sich seiner Aufgabe essayistisch und biografisch an. Der Autor prangert all das an, was in den USA gerade schief läuft:

Die Definition des Erfolgs in allen Lebensbereichen nur anhand ökonomischer Kriterien, die Unterdrückung von Minderheiten, eine Spaltung der Gesellschaft in Stadt und Land, in gut Situierte und sozial Abgehängte.

Gleichzeitig steht er als erfolgreicher Autor für die positive Seite des American Way of Life, die er selbst verinnerlicht hat: Wenn man es wirklich will, dann schafft man es in den USA auch. Es gibt genügend Optionen, die wahrgenommen werden können, genügend reiche Leute, die in dich investieren und dich weiter bringen können.

Diese Ambivalenz zieht sich durch alle Kapitel durch.

Es ist komplex

Ayad Akthar liefert keine eindeutigen Erklärungen, bietet vielmehr unterschiedliche Perspektiven an, indem die Figuren ihre Motive erläutern. Die Sympathie, die sein Vater für Donald Trump hegt, ist persönlich begründet. Er wird sein Hof-Kardiologe, erhält deshalb Zugang zu Luxus-Dienstleisungen (First Class-Flüge, Essen in luxuriösen Hotels, usw.) und ist als Einwanderer plötzlich Teil der amerikanischen Elite. Aufgrund seiner Fachkompetenz wird er von Trump geschätzt, es entsteht eine Beziehung auf Augenhöhe:

„Wodurch fühlte er sich diesem Mann so sehr verbunden? War es wirklich bloss die Erinnerung an die Hubschrauberflüge, die geräumige Suite, die Prostituierte, das Massband des Schneiders, eine Anstecknadel? Konnte es wirklich so banal sein? Oder stand das alles stellvertretend für etwas anderes, etwas Grösseres, Ungreifbares? […] Ist es vielleicht das, was mein Vater in Trump sah? Eine Vision von sich selbst, unglaublich vergrössert und vergröbert, befreit von der Last der Schulden, der Wahrheit oder der Geschichte, befreit von aller Konsequenz, ganz der reinen Selbstbespiegelung hingegeben, vollkommen aufgegangen in der individualistischen Verheissung der amerikanischen Ewigkeit? […] In Amerika konnte man alles haben, oder? Sogar die Präsidentschaft? Wenn ein Idiot wie Trump es schaffen konnte, müsste man selbst es doch auch schaffen können. Selbst wenn man die Präsidentschaft gar nicht wollte. Immerhin wollte dieser Idiot sie offenbar auch nicht. Er wollte nur wissen, dass er sie haben konnte. Aber vielleicht muss man hier die Betonung verschieben: Er wollte nur wissen, dass er sie haben konnte.“ *(Seiten 49 und 50).

Diese persönliche „Arzt-Patient“-Verbindung ist aber exklusiver Natur und kann kaum Antworten liefern, wieso sich die amerikanische Bevölkerung am Schluss doch für Donald Trump entschieden hatte. Die Motive sind disparat, manchmal auch diffus, als gäbe es eine generelle Unzufriedenheit mit dem wirtschaftlichen und politischen System.

Lieber dem schlauen Selfmade-Man die Stimme geben (Parallelen zu Silvio Berlusconi in Italien legen sich nahe), als einer korrumpierten politischen Elite. Und wenn die Titanic sowieso sinken wird, dann wenigstens schadenfreudig dem Ereignis entgegentreten.

Der Hollywood-Agent des Autors, der als Afroamerikaner eigentlich den Demokraten näher stehen sollte, erklärt in einem Gespräch, er würde lieber Donald wählen, da er sich künftig eher für Steuersenkungen einsetzen wird. Wenn er als Agent am Ende des Tages mehr Geld hat, dann kann er für seine Community auch mehr tun. Demokraten seien scheinheilig, würden sowieso nur besser Situierte schützen. Die Republikaner wären gradliniger, transparenter und authentischer:

„Mike sah keine politische Lösung. In seinen Augen hatten die Demokraten nicht nur die Schwarzen, sondern auch das ganze Land verraten. Der heutzutage praktizierte Liberalismus war ebenso wie sein Gegenteil ein Weg zur Selbstbereicherung. Man brauchte sich ja nur die immer höheren Honorare der Clintons nach Bills Präsidentschaft anzusehen – exorbitante Buchverträge, eine Dreiviertelmillion Dollar für eine Rede –, um zu erkennen, dass es in Amerika keine konkurrierende Ideologie mehr gab. Es ging ausschliesslich darum, reich zu werden.“ *(S. 334)

Der Agent hat pragmatische Gründe für seine Wahl, gehört aber selbst zur vermögenden Bevölkerungsgruppe.

Bei den Amis brodelt es

In ein paar Wochen werden wir erfahren, ob Joe Biden der neue US-Präsident wird. Als einigermassen vernünftiger, politisch interessierter Mensch kann ich kaum verstehen, wieso das Rennen nicht schon gelaufen ist. Zu krass waren die Fehlleistungen von Donald Trump in den letzten Monaten. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, mit Ambivalenz leben zu müssen, das hat die Pandemie mehr als genug gezeigt: Gibt es eine einzige Wahrheit? Woran soll ich mich orientieren? Wie kann ich echte von unechten Nachrichten unterscheiden? In einem anderen Blog-Artikel habe ich geschrieben, wir befänden uns in einer Zeit, in der Donald Trump nie im Leben gewinnen sollte, aber Joe Biden auch keine echte Alternative ist.

Vielleicht bin ich zu pessimistisch: Falls Joe Biden gewinnt, dann ist ein Bürgerkrieg möglich, da der amtierende US-Präsident mehrmals gesagt hat, er würde eine Niederlage nicht akzeptieren. Falls Trump gewinnt, dann sind auf dem politischen Parkett vier weitere unberechenbare Jahre garantiert. Können die USA nur verlieren?

Und was macht das mit uns? Stehen wir dieser Sache gleichgültig gegenüber, werden wir schadenfreudig oder entsetzt sein, falls das Unmögliche möglich wird und der Republikaner in seinem Amt bestätigt wird?

 

*Literatur: Homeland Elegien, Ayad Akhtar. Deutsche Erstausgabe 2020.

Foto: Digital photograph, 2016. Library of Congress Prints & Photographs Division

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