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Das nervende Kreuz

Der Verlust historischer Bauten bedingt mitunter eine Art von visuellem Phantomschmerz. Es stimmt etwas mit der Skyline nicht. Es fehlt was. Die Wirklichkeit stimmt nicht mit den inneren Bildern überein, mit den schönen alten Postkarten. Entsprechend wird die Schliessung baulicher Lücken durch Rekonstruktion oft als ›Heilung von Wunden‹ empfunden, gewissermassen als bauästhetische Traumatherapie.

Insbesondere aus Städten, die in Kriegen buchstäblich in ›Schutt und Asche‹ gelegt worden sind, kennen wir dieses Phänomen heilsamer Rekonstruktion. Selbst wer den ursprünglichen Zustand nicht selbst erlebt hat, kann sich über ›Stadtreparatur‹ freuen.

Im architektonischen Rückgriff auf die Vergangenheit gelangt mitunter allerdings auch Symbolik ans Tageslicht zurück, die schwierig ist. In manchen Fällen ist erheblicher Erklärungs- und Deutungsaufwand vonnöten, um überkommene Zeichen gewandelten Zeitbedingungen anzupassen. Ein aktuelles Beispiel schierer Inkompatibilität von vergangener Symbolik und gegenwärtigen Bedingungen bietet Berlin mit einem Kreuz auf einem Profanbau.

Ein Kreuz als Siegeszeichen

2002 hatte der Deutschen Bundestag den Wiederaufbau des Berliner Schlosses als ›Humboldt Forum‹ beschlossenen. Für mehr als eine halbe Milliarde Euro aus Steuermitteln sollte ein Ethnologiemuseum neuen Typs entstehen, ein ›Centre Pompidou des 21. Jahrhunderts‹. Daraufhin ist der sozialistische Palast der Republik (Honeckers ›Lampenladen‹), der diesem Unternehmen im Wege stand, mühsam abgetragen und 2013 der Grundstein für die Rekonstruktion des Schlosses gelegt worden.

Mit Unmengen von Stahl und Asbest wurden auch Erinnerungen an die untergegangene DDR weggeräumt.

Die Frage, ob sich mit Schuttbeseitigung auch Vergangenheit bewältigen lässt, blieb im Raum stehen.

Jetzt steht das Schloss kurz vor seiner Fertigstellung. Es fehlt nur noch die Krönung des Bauwerks: Die Laterne mit vergoldetem Firstkreuz.

Das fünf Meter hohe Kreuz ist fertig gegossen und wird in wenigen Tagen von Kränen auf die mit Bronze ummantelte Schlosskuppel gesetzt. Damit erhält die Skyline des Berliner Zentrums 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein wichtiges Element zurück. Aber selbst Christen fällt es schwer, sich unumwunden über das Kreuz auf dem ›Humboldt Forum‹ zu freuen.

»Das Kreuz bezeugt das Fehlen dessen, wofür es steht.«

Denn das Firstkreuz stellt vor allem eines dar: eine Verlegenheit, und zwar für alle. Erstens erinnert es an eine ehemalige Verbindung von Thron und Altar, zu der sich nach hundert Jahren Trennung von Staat und Kirche kaum jemand zurücksehnt, auch die meisten Christen nicht.

Zweitens fehlt dem Kreuz eine christliche Berechtigung. Die einstige Kapelle im Kuppelsaal wurde nämlich nicht rekonstruiert. Dass das ein Problem ist, zeigt sich an dem dialektischen Aufwand, der seit Bekanntgabe der Rekonstruktion der historischen Kuppel samt Laterne und Kreuz dank Grossspenden getrieben wird.

Der prominente Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Horst Bredekamp, der als einer der Gründungsdirektoren des Humboldt Forums am Begründungsnarrativ der neuen Institution mitwirkt, meint, das Kreuz nicht zu rekonstruieren wäre aus kunsthistorischer und kulturgeschichtlicher Perspektive eine besondere Form des ›Ikonoklasmus‹, der Bilderzerstörung. Und er verlegt in einer Art Salto mortale den Ikonoklasmus ins Kreuz hinein:

»Das Kreuz bezeugt das Fehlen dessen, wofür es steht.«

Aber unter dem Kreuz ist auch wieder – drittes Problem – nicht einfach nichts. In der rekonstruierten Version krönt das goldene Firstkreuz zwar keine christliche Kapelle mehr, aber eine buddhistische Kulthöhle. Die jahrhundertealten Wandbilder wurden bei Turfan-Expeditionen 1902 und 1914 recht brachial von im Wettstreit um kulturelle Trophäen stehenden Forschern aus asiatischen Höhlen an der Seidenstrasse gebrochen – es soll zwischen Russen und Deutschen sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein.

Im Kuppelraum, wo ursprünglich der König betete, erhält also Kunst des Buddhismus Raum, gewissermassen als symbolisches Gegengewicht zum Kreuz. Im kuratorischen Jargon des Humboldt Forums nennt sich das Prinzip des symbolischen Austarierens ›Multiperspektivität‹.

Der Generalintendant des Hauses, Hartmut Dorgerloh, Spross aus einer DDR-Pfarrersfamilie, setzt auf Tieferhängen des Religionsthemas, Perspektivenpluralismus und weist jegliche Beanspruchung irgendeiner ›Deutungshoheit‹ des Humboldt Forums weit von sich. Man kann in der Maxime der ›Multiperspektivität‹ vielleicht eine aktuelle Übersetzung der preussischen Toleranz in Glaubensfragen auf das Gebiet der Kultur erblicken. Die Maxime von Friedrich II., »Jeder soll nach seiner Façon selig werden«, übertragen auf das Museale als: »Jedem seine Deutungsfreiheit«.

Ein schmetternder Kommentar

Aber das Geschmäckle bleibt: Das Kreuz thront nun über einem Gebäude mit kolonialen Sammlungen. Und wer würde sich wundern, wenn es Nachkommen der Opfer des Kolonialismus als Hohn erschiene, wenn Objekte ihrer Kulturen, die seinerzeit von Kolonisatoren geraubt und von christlichen Missionaren entwertet, verteufelt und für die Musealisierung eingesammelt worden sind, unter ein triumphalistisch aussehendes Kreuz gestellt werden? Zumal die architektonische Hülle des bekreuzigten Völkerkundemuseums auch noch den Palast eines Königshauses zitiert, das eine Weile, wenn auch mässig erfolgreich, in ›Colonial Affairs‹ investierte und im transatlantischen Sklavenhandel mitmischte.

Das gleiche Problem mangelnder Kontextsensibilität betrifft im Übrigen nicht nur das Kreuz, sondern auch ein bereits sichtbares Schriftband auf der Kuppel unterhalb des Kreuzes. In goldenen Lettern auf blauem Grund steht geschrieben:

»Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.«

Diese Sätze hat ein eigenwilliger Spross aus dem reformierten Hohenzollernhaus, Friedrich Wilhelm IV., auf dessen Konto auch das Firstkreuz geht, aus der Bibel kompiliert. Auch hier zeigt sich die Tücke der Rekonstruktion. Denn welchen neuen Beiklang erhält ein solcher Spruch auf dem Dach eines Weltkulturenmuseums? Wie klingen die Worte, sobald unter ihnen aussereuropäische und kolonial belastete Sammlungen gezeigt werden?

Ein ›Engel‹ aus Davidstern, Kreuz und Halbmond

Viertens soll das Humboldt-Forum erklärtermassen ein Begegnungsort der Kulturen der Welt ›auf Augenhöhe‹ sein, ein Identifikationsort für die polykulturelle migrantische Stadtgesellschaft. Aber steht ein Kreuz einem solchen Identifikationsort für Diversität nicht von vornherein entgegen?

Deutschlands Kulturstaatsministerin, die CDU-Politikerin Monika Grütters, versucht das Kreuz mit einem ausgleichenden Argument zu retten: Es markiere die christlichen Wurzeln bzw. die christliche Identität als Grundlage des Gesprächs mit ›den Anderen‹. Das ist gewiss richtig, und allemal aufrichtiger als der Vogelblick eines herkunftsvergessenen Multikulturalismus.

Gleichwohl muss die Betonung der Herkunft mit der gelebten Gegenwart und Zukunft der Metropole in Spannung gehalten bleiben, soll sie nicht in identitäre Gegenwartsvergessenheit münden. Nur noch ein Viertel der Berliner gehört einer christlichen Kirche an und der beliebteste Name für Jungs ist mittlerweile Mohammed. Mit Blick darauf würde ein multireligiöses Zeichen vermutlich besser passen als ein Kreuz.

Von muslimischer Seite ist genau das vorgeschlagen worden. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, hat den »Engel der Kulturen« der Künstler Gregor Merten und Carmen Dietrich als Dachschmuck ins Spiel gebracht: eine Mischung aus Davidstern, Kreuz und Halbmond. Die Idee eines multiperspektivischen Zeichens wurde jedoch nicht aufgegriffen. Und tatsächlich wäre auch damit das Repräsentationsproblem nicht gelöst – man denke an den hohen Anteil der Atheisten und Agnostiker gerade in Berlin.

Die Rache des Kreuzes

Doch gerade in dieser eigentümlichen Lage, den Gläubigen ein Ärgernis, den Ungläubigen eine Torheit, – oder ist es umgekehrt?, – nimmt dieses von niemandem wirklich gewollte und von niemandem geliebte Kreuz wieder eigentümlich für sich ein. Es erinnert an ein zweites Problemkreuz Berlins: Das unter bestimmter Sonneneinstrahlung auftretende grosse Lichtkreuz auf der silbernen  Kuppel des Fernsehturms, das den meisten Berlinbesuchern bekannt sein dürfte.

Weil der futuristische Fernsehturm die Überlegenheit des (atheistischen) Sozialismus über den Westen repräsentieren sollte – er ist mit 365 Meter Höhe bis heute das höchste Gebäude Deutschlands –, wurde das unerwartete Kreuzzeichen seinerzeit zum veritablen Ärgernis für die DDR-Führung und entsprechend hämisch als ›Rache des Papstes‹ bezeichnet.

In Kürze bekommt Berlin eine zweite Rache: Ein Kreuz, das auf unangenehme Weise an Instrumentalisierungen durch Thron und Mission erinnert und uns gleichzeitig die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis, unserer Identität und Situierung aufgibt.

 

Bild: © bbz Landschaftsarchitekten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

6 Kommentare zu „Das nervende Kreuz“

  1. Typische Falle – nur weil es keine Staatskirche gibt, heißt das nicht dass es in D Staat und Kirche getrennt sind. Dieses seltsame Verhältnis zwischen Staat und Kirche hätte der*die Autor*in hier nochmal besserit einbezogen und den Satz von hundert Jahre Trennung sowieso besser gestrichen.

  2. Völlig einverstanden.
    Nur zweierlei: es ist nicht so, dass das Kreuz niemand gewollt hätte. Vielmehr haben sich die meisten Befürworter des Wiederaufbaus vehement dafür eingesetzt, immer mit dem schalen Argument der Rekonstruktion, die bei dem ganzen Bau immer dann ins Feld geführt wurde, wenn es passte. Das Schriftband an der Kuppel jedoch wurde tunlichst verheimlicht, bis es dran war.

    Außerdem kommt mir Monika Grütters in dem Artikel zu gut weg. Sie hat zum Kreuz gesagt: „Das Christentum ist eine Religion, die zur Nächstenliebe und zu Toleranz einlädt.“ Das ist angesichts der Kolonialverbrechen, die immer auch im Namen der Bibel verübt wurden, reichlich unverfroren.

  3. Hans-Jörg Sieber

    Ich verstehe nicht recht, warum man das Kuppelkreuz nicht einfach als das akzeptieren kann, was es ist: ein Teil des auf Bundestagsbeschluss errichteten Berliner Stadtschlosses. Es wegzulassen hätte ein ganz anderes „Geschmäckle“: wir wollen mit dem Kreuz nichts mehr zu tun haben…
    Ich glaube nicht, dass der unbefangene Besucher mit dem Kreuz das assoziiert, was die Verfasserin vermutet. Er wird es einfach als Teil des alten Schlosses sehen – ein Teil, der übrigens, wie viele Fotos zeigen, nach dem Kriege nach wie vor vorhanden war und erst mit dem ideologisch begründeten Schlossabriss durch die Kommunisten verschwand!!!
    Ein Viertel der Berliner Bevölkerung gehört einer christlichen Kirche an? Ja und? Das sind doch immerhin Zigtausende, die mit dem Kreuz für sich etwas verbinden können. Das Christentum ist immerhin eine Wurzel unserer Kultur. Das schreibe ich als Nichtkirchenmitglied.

  4. Harald Stroedecke

    Ein sehr interessanter Artikel. Aber identitätsstiftend für Deutschland war in erster Linie das Christentum, zumindest im Zusammenhang mit der Dynastie der Hohenzollern.
    Und deshalb gehört das Kreuz, und nur dieses auf das Schloss.

  5. Johann Hinrich Claussen

    Ein Kulturpolitiker sagte mir: „von mir aus kann das Kreuz auf die Kuppel, aber nur wenn man gleich das Schloss darunter wieder abreißt.“

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