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 Lesedauer: 6 Minuten

Böse Christen auf Netflix

Seit einigen Wochen läuft bei Netflix die Fantasy-Serie Cursed – Die Auserwählte. Wie The Witcher wird auch diese Serie nicht das neue Game of Thrones sein.  Aber für Freunde des Genres, die von immer neuen Varianten von Artus und Merlin, Morgana und Lancelot nicht genug bekommen, ist sie einen Versuch wert.

Diversity matters

Bemerkenswert an dieser Serie ist zweierlei. Bei der Besetzung der wichtigsten Rollen zeigt die Serie ein selten erreichtes Diversitätsniveau. Unter den Hauptfiguren Merlin, Nimue, Morgana und Arthur sind zwei Weiße und zwei PoC (People of Colour). Helden und Schurken sind ausgewogen männlich und weiblich. Auch bei den Nebenfiguren ist eine Vielzahl von Hautfarben vertreten. Einen Stoff des englischen Frühmittelalters so inklusiv zu besetzen wie Orange is the new Black, das ist ambitioniert. Und es funktioniert auch.

Wo steht denn, dass Arthur weiß sein muss?

Zugegeben, Arthur und Morgana sind eher hellhäutig. Aber die Serie enthält wichtige männliche wie weibliche Figuren, deren Hautton dunkler ist. Und nicht nur die Hautfarbe war im Blick. Nimue ist straight. Morgana ist es nicht.

Neben dieser Diversität der Figuren ist auch etwas anderes bemerkenswert. Die absolute Verkommenheit der Bösen; der Christen.

Killermönche

In Arthurs und Nimues Welt verbreiten die Roten Paladine Furcht und Schrecken unter den teilweise magisch begabten Naturvölkern. Dabei handelt es sich um eine Art Folter- und Mörderorden. Die Killermönche tragen nicht nur Tonsur. Auf ihrer kahlen Stelle ist ein Kreuz eingeritzt, kurioserweise bei allen noch so blutig und roh, als wäre es vor zwei Wochen geschehen. Sie foltern und töten. Gerne auch Kinder. Sie zelebrieren die öffentliche Verbrennung ihrer Opfer. Mit riesigen Kreuzen auf der Brust.

Und sie sind nicht die einzige Gestalt des Bösen. Unterstützung und auch Konkurrenz erfahren sie durch die sogenannte Trinitätswache. Sie sind die Elitetruppe des Papstes, die als noch gnadenloser gilt. Sie tragen nicht nur das Kreuz vor der Brust, sondern auch starre Masken, um durch ihre Gesichtslosigkeit Grauen zu verbreiten. Und weiter: Auch eine erbarmungslose Killernonne möchte sich bei der Jagd auf die Feinde der Kirche beteiligen. Sie sieht sich von Gott berufen, die magische Heldin Nimue zu töten. Am Ende bekommt sie für ihre Mordlust höchste kirchliche Anerkennung und päpstlichen Segen.

Beim Zusehen hatte ich sehr gemischte Gefühle. Erforsche deine Gefühle!, lasse ich mir von Darth Vader zurufen, und mache mich an die Arbeit.

Also, mir ist unwohl. Warum?

Gemischte Gefühle

Nun spricht grundsätzlich nichts dagegen, christliche Gruppen als böse, grausam und brutal zu zeichnen. Das ist nicht neu. Und die Christentumsgeschichte bietet dafür leider genug Anregungen. Ich könnte mein Unwohlsein rationalisieren und sagen: Geschichtlich ist das eine kolossale Verzeichnung! Die Christianisierung Europas vollzog sich sehr weitgehend friedlich. Die übelsten christlichen Fehlleistungen wie Ketzerverfolgungen und Hexenverbrennung gehören eher der frühen Neuzeit an. Gerade der Hexenwahn wurde von kirchlichen Autoritäten eher gebremst als forciert. Aber hey, es ist eine Fantasy-Serie und kein Beitrag zum History Channel. Es ist doch ein Film! Dergleichen weiß man; oder man will es nicht wissen.

Nun sprach ich von gemischten Gefühlen. Vielleicht ist das Unwohlsein der christlichen Zuschauer:innen das Ziel.

Ja, ihr lieben Christenmenschen, darum geht es: Auch ihr sollt einmal spüren, wie das ist: Auf Klischees reduziert werden. Opfer stereotyper Verzeichnungen zu sein. Als die Bösen gezeigt zu werden, deren Tötung man mit erleichtertem Aufatmen zur Kenntnis nimmt.

Warum solltet nicht auch ihr diese Erfahrung kennen lernen? Japaner müssen Filme wie Pearl Harbour ertragen. Wie viele böse Russen kennt das westliche Nachkriegskino, von Rambo III bis Rocky IV? Selbst in Stranger Things wird das Klischee des bösen Russen noch einmal bedient! Wieviel Freude bereitet der Film 300 den heutigen Nachfahren der Perser? Und vor allem: in wie vielen Film- und Serienstoffen wurde die Verknüpfung von Islam und Terror hergestellt?

Christen werden es nach unzähligen Hollywood-Jesusfilmen doch wohl aushalten, die Bösen zu sein.

Es soll auch Filme geben, in denen Deutsche in Uniform wahrlich keine Sympathieträger sind. Und Amerikaner – sind selbst in amerikanischen Filmen immer wieder mal Gegenstand schärfster Kritik.

Also, alles okay? Das alles ist richtig. Vielleicht stört mich schlicht das Missverhältnis: das große Gerechtigkeitsbedürfnis in Sachen Gender oder Hautfarbe auf der einen Seite, und die absolute Schwarzzeichnung der Christen auf der anderen. Unterbietet diese Serie an dieser Stelle nicht ihre eigenen Maßstäbe?

Umkehrung der Perspektive

Was würden die Macher der Serie antworten? Vielleicht dies: Nein, wir unterbieten nicht unsere eigenen Ansprüche. Wir achten auf ausgewogene Darstellung solcher Menschen, die bislang marginalisiert worden sind. Frauen, Schwarze bzw. PoC oder nicht heterosexuelle Menschen wurden in einer langen Filmgeschichte häufig auf Klischees reduziert oder unsichtbar gemacht. Die Umkehrung solcher Perspektiven ist nun nicht einfach Diskriminierung von Weißen oder Männern. Diese verlieren nur die bisherige Vorzugsbehandlung. Und das gilt eben auch für christliche Gruppierungen. Wie Weiße oder Männer werden sie lernen müssen, dass sie nicht benachteiligt oder verfolgt werden, wenn sie jetzt einmal die Bösen sind. Tragt es mit Fassung und Würde!

Hilft mir das? So ganz überzeugt es mich nicht.

Das Christentum hat nicht als weiße Religion begonnen. Es ist heute mehrheitlich auch nicht mehr die Religion des weißen Westens. Dieser Blick auf das Christentum ist selbst weiß und westlich.

Es ist die vermeintlich aufgeklärte Perspektive auf eine Unterdrückerreligion, von der man sich in der Neuzeit befreit hat.

Fehlt es an der Qualität?

Gute Serien gewinnen noch ihren Schurken Komplexität ab. Sie machen Ambivalenz sichtbar, verweigern sich einer allzu platten Gegenüberstellung von Gut und Böse. Killer mit Kreuz, fromme Folterer, mörderische Mönche, mag es so sein. Aber zwischen Idealisierung und Verteufelung gibt es eine breite Klaviatur. Diese bespielen zu können, macht die Qualität von Filmen aus. Bei Cursed – Die Auserwählte gibt es in dieser Hinsicht noch sehr viel Luft nach oben.

Aber wäre Beschweigen dann nicht das Beste? Mir fehlt es schlicht auch an Debatte. Wir reden vielfältig über Film- und Serienklischees. Wir messen Filmschaffende daran, wie viel Diversität sie sichtbar machen oder verdrängen. Ob sie antimuslimische Vorurteile schüren oder überwinden. Wir feiern es, wenn vielschichte Realitäten im Verhältnis der Geschlechter und Kulturen abgebildet werden. Und genau das wünsche ich mir für Religion im Film. Auch für die christliche Religion. In religiösen Welten gibt es viel Unheimliches, Gefährliches, auch Lächerliches. Und auch mehr. Schönes. Faszinierendes, Geheimnisvolles. Wird unsere Film- und Serienwelt der Vielfalt religiöser Wirklichkeiten gerecht? Selig sind die Ehrgeizigen, die überzeugt sind: da muss mehr gehen.

 

Illustration: Rodja Galli

3 Kommentare zu „Böse Christen auf Netflix“

    1. Die unterschiedlichen Reaktionen der Menschen auf diesen Messias fand ich sehr gelungen. Charisma hatte der Schauspieler auch hinreichend. Seine Reden – waren leider nicht auf dem Niveau, das man von Vorgängern gewohnt ist… Luft nach oben!

  1. Hab die Serie bis zum Ende geguckt. Fing interessant an, wurde dann aber zunehmend albern. Handlung vorhersehbar. Viele unnötig brutale Gewaltszenen mit übertriebenen „Splatter“-Effekten. Gewalt feiert sich selbst. Einzige Sympathieträgerin war für mich die Rothaarige, die als Ärztin notgedrungen bei den Wikingern anheuert (Name vergessen). Ich gebe 3 von 10 Punkten. Empfehle stattdessen „The Outpost“ auf amazon prime. Da kommt wenigstens der Humor nicht zu kurz.😊

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